Ausstellungsbesprechungen

Romane Holderried und Julius Kaesdorf - Zeichnungen und Bilder, bis 1. August

Beide könnten für sich spielend ganze Museumswände füllen: Julius Kaesdorf (1914–1993), von Haus aus Rechtsanwalt und wie im Selbstversuch auch Maler, sowie Romane Holderried Kaesdorf (1922–2007), die schlicht und einfach als eine der besten und originellsten Zeichnerinnen der Gegenwart durchgeht. Selten hat man beide, die seit 1953 verheiratet waren, zusammen ausgestellt. Dabei kann man sich kaum ein Künstlerpaar vorstellen, das im künstlerischen Schaffen so eigenständig Parallelwege ging wie diese beiden – gleichsam in Welten entfernt und über phantastische Querverbindungen vereint.

Nun hat der Galerist Rainer Wehr, der die Kaesdorfs seit Jahren vertritt, rund 50 Arbeiten zusammengestellt. Eigentlich würde man erwarten, dass etwa das benachbarte Kunstmuseum in Stuttgart sich dieser Doppelausstellung angenommen hätte. Angesichts der Qualität der Werke kann man sich nur wundern, dass sie noch – und das postum – den mühsamen Galerienweg durchschreiten müssen, zumindest in der Landeshauptstadt, wo immerhin die Galeristen sehr genau wissen, welch außergewöhnliche Kunst uns da entgegentritt (auch die Galerie Schlichtenmaier hat gelegentlich Interesse am Nachlass insbesondere Holderried Kaesdorfs bekundet). In Romane Holderried Kaesdorfs Heimatstadt und Julius Kaesdorfs Wahlheimat Biberach an der Riß sorgt wenigstens das Braith-Mali-Museum für deren museales Ansehen – neben Jakob Bräckle und Ernst Ludwig Kirchner. Man sieht: Es ist sozusagen »im Schwange« mit dem Renommee der Künstler und wer weiß, wahrscheinlich kann man in einem solchen diffusen Umfeld noch Schnäppchen machen (wobei die Preise vor allem für Romane Holderried Kaesdorf nach ihrem Tod vor zwei Jahren schon leicht angezogen haben).

Rainer Wehr empfängt den Besucher zunächst mit Arbeiten der Zeichnerin, die ihre Wurzeln im sozialkritischen Verismus eines George Grosz und im kindlich-naiven Art brut hat, angereichert mit einem Witz, der im besten Sinne des Wortes die beißende Ironie genauso enthält wie den charmanten Humor, wie auch der gewitzte Sinn hier als intellektuelle und intelligente Hintergründigkeit zu verstehen ist. Die Leichtigkeit des Seins spricht aus Blättern mit (immer sprechenden) Titeln wie »getragener Stuhl, niedere Wolken«, aber derartig luftige Umschreibungen stoppen stets an der Bürde des nichtigen Alltags, wenn man sich etwa die Handlung in »Daumen richtig stellen« vorzustellen versucht. Holderried Kaesdorf ist eine scharfe Beobachterin, die in ihrem skizzenhaft erscheinenden Zeichenstil nichts dem bloß spontanen Gestus überlässt: Nachdenklich und phantasievoll fragt sie nach der Lebenstüchtigkeit des Menschen, der sich in Banalitäten verzettelt oder im großartig angelegten (Schein-)Auftritt grandios scheitert.

Im folgenden Raum sind die feinsinnigen Ölporträts von Julius Kaesdorf zu sehen, die dem klassischen Büstenbildnis bewusst zuwiderlaufen, weil auf jegliche Form individueller Gestaltung verzichtet wurde. Auf den ersten Blick sehen alle »Köpfe« gleich aus, zumal die Titel – anders als die Bezeichnungen auf den Zeichnungen seiner Frau, die sich linear-integrierend dem Bild einschreiben – nur über die separierte Titelliste einsehbar sind. Dadurch wird die nahezu monochrome Kopf-Parade zu einem Porträtkollektiv im Raumgeviert verwandelt, ohne dass der Betrachterblick vom malerischen Aspekt abgelenkt wird. Verzichten mag man indes auf die poetischen Titelsentenzen genauso wenig wie auf die lapidaren Handlungsnotizen und Gebrauchsanweisungen auf den Blättern von Holderried Kaesdorf. So begegnet etwa Kürzestprosa oder konkrete Poesie vom Schlage eines »Am Straßenrand von Ulm verkaufte einst der alte Marquis Melonen« oder »Der Schatten des aufgeweckten alten Marquis war klein«. So erhalten die Köpfe vielleicht kein Gesicht, wohl aber Eigenschaften, und die Bilder selbst eine Dynamik, die sich auch mit dramatischer Zuspitzung »lesen« lässt: etwa vom »Kopf vor dem Tuch« über »Kopf vor keinem Tuch« zu einem »Freund von Hemden mit grauen Kragen« und weiter bis zum Gipfel des Running Gags »Es zählt zu den Ungereimtheiten der reichen Bankstadt Frankfurt, dass er als 14. ein weißes Hemd mit grauen Streifen nicht tragen soll«. Doch selbst ohne Titel vor Augen spürt man den Schwung von anonymisiertem Konterfei zu Konterfei.

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