Buchrezensionen

Rubens und sein Vermächtnis. Inspiration für Europa, E.A. Seemann Verlag 2014

Peter Paul Rubens' Werk und seine Rezeption in der europäischen Kunst widmet sich der Band aus dem Seemann Henschel Verlag. Dabei stellt er den Werken des Flamen die anderer Künstler von Jordaens bis Picasso gegenüber. Robert Bauernfeind hat sich in das gute Stück vertieft.

Die Ausstellung »Rubens und sein Vermächtnis« mit Stationen im Palais voor Schone Kunsten, Brüssel, sowie der Royal Academy, London, zählte zu den großen Schauen des vergangenen Frühjahrs. Das Begleitbuch ist auch auf Deutsch erschienen und soll noch einmal nachvollziehbar machen, wie weitreichend Rubens‘ Wirkung auf die Malerei bis in die Moderne blieb.

Das Buch ist analog zur Ausstellung gegliedert. Nach einem einführenden Text von Kurator Nico van Hout unterteilt es Rubens‘ Werk und dessen Rezeption in sechs Kategorien: Gewalt, Macht, Lust, Mitgefühl, Eleganz und Poesie. Jedes Kapitel besteht aus einem einführenden Essay und einem Katalogteil, der auf Abbildungen von Rubens‘ Originalen solche von Bildern folgen lässt, die technisch oder motivisch Rubens‘ Vorbilder verarbeiten. Teils ausgiebige Beiträge kommentieren die Darstellungen. Essays und Katalogteile werden gerahmt von Grußworten und einem Epilog, die Rubens als eine Art paneuropäisches Genie deuten.

Nicht nur Rubens‘ Werk, sondern auch dessen Rezeption in der europäischen Malerei und Graphik zu repräsentieren, ist eine gigantische Herausforderung. Ihr kann auch der Katalog, trotz Abbildungen von nicht in der Ausstellung gezeigten Spitzenwerken wie dem »Reiterbildnis des Herzogs von Lerma« und Delacroix‘ »Tod des Sardanapal«, nur schlaglichthaft begegnen. Eine Einordnung der Rubens-Originale in das Gesamtwerk unterbleibt leider in den meisten Fällen, wie überhaupt Rubens‘ stilistische Entwicklung nur marginal berücksichtigt wird. Dies ist bedauerlich, da auch Hinweise auf die profunde Bedeutung von Rubens‘ Studien von Antiken und Renaissance-Künstlern jeweils knapp ausfallen.

Die neben dem immensen Umfang des Gesamtwerks wohl größte Schwierigkeit beim Aufzeigen von Rubens‘ Vorbildhaftigkeit für die Kunstgeschichte besteht in der Bestimmung der künstlerischen Anteile von Rubens an den einzelnen Werken. Bekanntlich arbeitete der Künstler mit einem der größten Werkstattbetriebe seiner Zeit; bei einer Vielzahl der ihm zugeschriebenen Gemälde dürfte er lediglich den Vorarbeiten seiner Lehrlinge und Mitarbeiter den letzten Schliff verpasst haben. Am zeitweise leicht verwechselbaren Stil und der Technik von Jordaens, van Dyck und heute weniger bekannten Schülern wie Erasmus Quellinus ließe sich aufzeigen, dass Rubens‘ Vermächtnis direkt in seiner Werkstatt eingesetzt hat. Entsprechende Zuschreibungen referiert der Katalog nur am Rande, etwa im Fall des Londoner »Triumph des Silen«. Ausführlicher wird hingegen die Bedeutung der Druckgraphik zur Verbreitung von Rubens‘ Kompositionen erläutert, nicht zuletzt, weil nicht wenige Rubens-Kompositionen nur in der graphischen Version in den Katalog aufgenommen wurden.

Das Konzept, die gezeigten Rubens-Werke um Begriffe wie Gewalt und Lust zu gruppieren, scheint auf jene Forschungsansätze zu reagieren, die Rubens als Meister der Affektdarstellung untersuchten. Da Rubens‘ Auseinandersetzung mit antiker und zeitgenössischer Affektlehre hier jedoch nicht an einzelnen Werken aufgezeigt wird, ergibt sich der etwas verkürzte Eindruck von Rubens als dem Maler »barocker Leidenschaftlichkeit«, dessen Formelhaftigkeit als Generalschlüssel zum Verständnis seiner Malerei bereits zuvor kritisiert worden ist.

Die einzelnen Essays sind kenntnisreich, mit hoher Materialdichte und sichtlichem Vergnügen an Assoziationen geschrieben. Allen ist das Bemühen gemein, die doch sehr breiten Themen in einen Überblick zu stellen, der sowohl Reaktionen auf Rubens‘ Stil und Themen beinhaltet als auch auf technische Übernahmen späterer Maler eingeht. Dies kann ebenso verblüffend wie amüsant sein, wenn etwa Gerlinde Gruber einen sarkastischen Kommentar Ingmar Bergmanns zu »Nessus und Deianeira« zitiert, um die kontroversen Reaktionen auf Rubens‘ typische Frauenfiguren zu belegen. Die Vergleichsbilder in den Katalogteilen sind hingegen weitgehend motivgeschichtlich ausgesucht. Sie zielen weniger auf die technische Rezeption von Rubens‘ Malerei ab als auf die Übernahme bestimmter Bildfindungen und einzelner Motive.

Sowohl die Essays als auch die Katalogteile lassen aber in ihrer jeweils sehr breiten Themensetzung eine klare Historisierung in den Vergleichen von Rubens‘ Werken und ihrer Nachfolge vermissen. Wenn etwa Nico van Hout in seinem Text über Gewalt darlegt, dass französische Maler des 19. Jahrhunderts Rubens‘ Jagdszenen wegen »deren Orientalismus und Exotik« schätzten, bleibt unklar, dass Rubens hier antike Themen in größtmöglicher Nähe zu den ihm verfügbaren Quellen (und die Kompositionen von Stradanus) aufgriff, Maler wie Delacroix hingegen den Orient zum Sehnsuchtsort eines authentischen Lebens verklärten. Der Katalog macht deutlich, wie sehr sich Delacroix kompositorisch an Rubens orientiert hat; in der Kontextualisierung des Sujets bleibt er undeutlich.

Dies gilt auch für die scheinbar private Bildgattung der Landschaft. Unter dem Begriff der Poesie deutet Tim Barringer Rubens‘ Landschaften als Pastoralen, die vom Rückzug des Malers ins Private zeugten. Der mag Vergnügen daran gefunden haben, im flämischen Weideland Charakteristika des Arkadischen zu erkennen, doch fehlt auch hier der Hinweis, dass es sich bei diesen Bildern weniger um den Ausdruck einer gewissen Empfindsamkeit handeln dürfte als um an antiken Dichtungen orientierte Bilderzählungen. Indem Barringer überdies das Thema des Liebesgartens in seinen Essay aufnimmt, kommt es zu einer von mehreren – und schlicht unvermeidbaren – thematischen Überschneidungen in den einzelnen Texten, denn Erotik ist auch das Thema von Gerlinde Grubers Beitrag.

Die Autorin umgeht damit elegant die eigentliche Themenstellung der Lust. Indem sie ihre Fragestellung auf Schönheitsideale, Rubens‘ Hautdarstellung und Erzeugung von Mehrdeutigkeit richtet, bleibt die Problematik des Schlagworts ausgespart, dass Lust keine kulturelle Konstante ist. Rubens mag Lust nicht – wie noch Pieter Brueghel – als die Todsünde der luxuria dargestellt haben; im Gegensatz zu seinen Bildern einer heiter-regulierten Erotik wie dem »Liebesgarten« zeigte er sexuelle Begierden jedoch stets als verderblichen Kontrollverlust. Nur bedingt können denn auch Gemälde etwa von François Boucher in seine Nachfolge gestellt werden. Sie scheinen weniger eine direkte Auseinandersetzung mit Rubens zu repräsentieren als die Fortentwicklung von Typen und Themen im Rokoko.

Ähnlich schwierig gestaltet sich das Thema der Eleganz. David Howarth gibt in seinem Essay einen Überblick über die Rubens- und mehr noch van Dyck-Rezeption im englischen Porträt sowie auf die Vorbildhaftigkeit von Rubens‘ Medici-Zyklus auf Kostümdarstellungen im Rokoko. Leider bleiben dabei die Forschungen unberücksichtigt, die vor allem in Rubens‘ Selbst- und van Dycks Künstlerporträts Hinweise auf die gesellschaftliche Prätention der Maler erkannten. Rubens‘ Selbstinszenierung war ein bedeutender Orientierungspunkt für Künstlerfürsten wie Makart, Lenbach und Stuck; dieser Strang der Rubens-Rezeption wird kaum beleuchtet.

Insgesamt ist es bedauerlich, dass der Katalog keine systematischere Darstellung der Rubens-Rezeption im 18. und 19. Jahrhundert anstrebt. Grundlegende Entwicklungen wie der Streit zwischen Rubenisten und Poussinisten werden nur am Rande erwähnt; ebenso die Entwicklung vom Hofkünstler zum Künstlerfürsten, für die Rubens gleichsam die Gallionsfigur abgab. Solcherart spezialisierte Fragestellungen scheinen jedoch nicht das Anliegen des Buches gewesen zu sein, das eine breit angelegte Einführung in den Themenkomplex gibt. Diese macht allerdings umso mehr Vergnügen, als der Katalog mit Hardcover und großen, hochwertigen Abbildungen ausgesprochen anmutig gestaltet ist.

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