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Sabine Engel: Das Lieblingsbild der Venezianer. »Christus und die Ehebrecherin« in Kirche, Kunst und Staat des 16. Jahrhunderts, Akademie Verlag 2012

Warum war das Bildmotiv »Christus und die Ehebrecherin« im Venedig des 16. Jahrhunderts so beliebt? Dieser Frage widmet sich Sabine Engel in einer minuziös recherchierten, auf ihrer Hamburger Dissertation beruhenden Studie, die Franz Siepe hier vorstellt.

Die Geschichte von Christus und der Ehebrecherin findet sich im Johannesevangelium (8,1-11). Erzählt wird, wie die Pharisäer dem immer so mitleidigen Jesus eine Falle stellen wollen. Sie führen nämlich eine Ehebrecherin zu ihm und wollen wissen, was er mit ihr machen würde; denn nach dem Gesetz müsse sie gesteinigt werden. Jesus sagt zunächst nichts, sondern schreibt irgend etwas mit den Fingern auf die Erde. Endlich, nachdem die Pharisäer nicht ablassen wollen, spricht er das berühmte Wort: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.« Und als daraufhin alle still fortgehen, verurteilt auch er die Ehebrecherin nicht, gibt ihr aber auf, in Zukunft nicht mehr zu sündigen.

Nun hat die Bibelwissenschaft herausbekommen, dass diese Perikope aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum ursprünglichen Bestand des Johannesevangeliums gehört, sondern wohl im 3. Jahrhundert nachträglich eingefügt worden ist, um, so eine Vermutung, eindringlich die Möglichkeit der Sündenvergebung zu demonstrieren.

Vor allem bereitet die Frage Kopfzerbrechen, was Jesus wohl in den Sand schrieb. Außerdem fällt es schwer einzusehen, warum und wieso er die Ehebrecherin deshalb nicht verurteilt, weil sich die Pharisäer beschämt davon gemacht haben. Gewiss aber soll Gottes Barmherzigkeit vor Augen geführt werden.

Wenn also diese Geschichte eine von sich aus schon nicht unkomplizierte Angelegenheit ist, so besteht eine andere, nicht weniger interessante Frage in der nach der Ikonografie, in der sich diese Szene kunstgeschichtlich realisiert hat. Im 19. Jahrhundert hatte Jacob Burckhardt sich gewundert: »Dieses Thema der ›Adultera‹ [Ehebrecherin] in Venedig fast von allen namhaften Meistern, anderswo viel seltener behandelt, rührt einige Fragen auf.« Burckhardt überlegte weiter: »[W]oher die Vorliebe mit welcher es jetzt [im Cinquecento] dargestellt wurde?« Am Ende ihrer Untersuchung beansprucht Sabine Engel, exakt dieses Problem des »venezianischen Lieblingssujets« gelöst zu haben.

Die Autorin beginnt mit der Analyse von Rocco Marconis großformatigem Ölgemälde »Christus und die Ehebrecherin« (1516) aus dem Kapitelsaal des Klosters San Giorgio Maggiore und gelangt zu dem primären Resultat, dass das Gemälde – es hing ursprünglich so, dass die Mönche während der Prozedur ihres Schuldbekenntnisses vor den Mitbrüdern und dem Abt darauf blickten – die Benediktiner dazu ermunterte, sich mit der Ehebrecherin zu identifizieren und im Vertrauen auf die Milde des vergebenden Gottesgerichts ihre Vergehen freimütig zu bekennen. Zugleich klagte das Bild die grassierende Sittenlosigkeit der Serenissima an, erlaubte aber auch die Interpretation, selbst dieses neuzeitliche Sündenbabel werde durch Christus in Gottvater einen milden Richter finden. Ferner gehen Engels Überlegungen dahin, dass Marconis »Ehebrecherin« als Plädoyer für die autonome Gerichtsbarkeit des Klosters gedient haben könnte nach der Devise: Wenn über die Ehebrecherin niemand urteilt, dann darf auch über uns niemand urteilen.

Im folgenden durchmustert Sabine Engel »bildlich-literäre« Werke (insbesondere Emblembücher), um einer eventuell zu jener Zeit gegebenen typischen Ikonografie des Ehebruchs nachzuforschen. Doch fällt der Befund so aus, dass die Zeichner und Texter jener »bimedialen Kunstwerke« ausschließlich auf griechisch-römische Geschichten – paradigmatisch auf die Affäre der Venus mit Mars – zurückgriffen. Also ist mit der Autorin zu konstatieren: »Ein Bezug zum biblischen Thema der ›Adultera‹ ... ließ sich dementsprechend nicht ausmachen.« Ähnliches gilt für Cesare Ripas »Iconologia«. Überhaupt scheint die namenlose Frau aus unserer Johannes-Perikope eher im allgemeinen Sinne als Sünderin denn im speziellen Sinne als Ehebrecherin wahrgenommen worden zu sein.

Ein zentrales Kapitel des vorliegenden Buches gilt dem Vorkommen der »Ehebrecherin« in der Markuskirche. In der dortigen Cappella Nicopeia findet sich ein monumentales Mosaik als Produkt barocker Restaurationstätigkeit, welchem, wie Engel nachweist, eine hochmittelalterliche »Adultera« vorausgegangen war. Sodann existiert in der Staatskirche der Serenissima ein Alabaster-Relief an einer Säule des Ziboriums (6. Jh.), das ebenfalls Zeugnis dafür ablegt, dass dieses Sujet in Venedig über die Jahrhunderte präsent war. Die »dritte ›Ehebrecherin‹ von San Marco« hatte ihr Dasein in liturgischer Gestalt; und zwar so, dass wenn die Evangelienlesung von Joh 8, 1-11 auf den 25. März (Fest Mariä Verkündigung und zugleich Gründungstag der Republik) fiel, sich das Ehebrecherin-Motiv mit dem Bild der jungfräulichen Gottesmutter wie auch mit dem Gründungsmythos der Stadt verband.

Insofern in der neutestamentlichen Geschichte von Christus und der Ehebrecherin vor allem die gnädige Barmherzigkeit Gottes zur Darstellung gelangt, konnte sie auch als Exempel einer guten Regierung (»Buon governo«) und einer schätzenswerten Gerichtsbarkeit fungieren: Die göttliche Tugend der »Clementia« (Milde) zeichnet einen guten Fürsten ebenso aus wie einen wahrhaft gerechten Richter. Tatsächlich gab es »Adultera«-Bilder in Gerichtssälen (so von Jacopo Bassano, 1535), womit Engel die Vermutung Jacob Burckhardts zurückweisen kann, derartige Gemälde seien für Privathäuser gefertigt worden. Diesem Gesichtspunkt kann hinzugerechnet werden, dass man hoffte, Gottes Milde werde jener Stadt zuteil werden, die sich mit der Liebesgöttin Venus, der mit Mars erwischten Ehebrecherin wohlgemerkt, identifizierte.

Während der Untersuchungsgang zu allermeist sozial- und politikgeschichtliche Wege einschlägt, verpflichtet Engel die Betrachtung von Nicolò de' Barbaris »Adultera« dem »Gender-Ansatz«. Dieses Gemälde sollte gemäß ihrer umfänglichen Bild- und Quellenanalysen seinerzeit eine jungvermählte Venezianerin zur ehelichen Treue ermahnen und so dem öffentlichen Skandal vorbeugen.

Hier wie auch sonst über weite Strecken der Studie geht man mit der kundigen Autorin weitverzweigte Bahnen zu den unterschiedlichsten Stationen des Venedig-spezifischen Ehebruchsthemas. Immer begegnet man einer immensen Fülle minuziös recherchierten Materials. Vielleicht hätte Sabine Engel die Lektüre etwas erleichtert, wenn sie den Aufbauplan ein wenig systematischer und transparenter konzipiert hätte. Unverständlich scheint mir die Preisgestaltung, zumal die Qualität der ohnehin nicht reichhaltig bemessenen Abbildungen nicht durchwegs überzeugt.

Die Arbeit der Autorin verdient hohe Anerkennung. Sie hat die Geschichte der bildenden Kunst Venedigs wesentlich bereichert.

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