Biedermeier, die Kunst zwischen Wiener Kongress und den Revolutionsjahren um 1848, scheint nicht so recht zu fassen zu sein. Vor allem die beliebten Genre- und Landschaftsmalereien prägten sie, doch was macht den Stil nun eigentlich aus? Das fragten sich auch Sabine Grabner und Agnes Husslein-Arco im Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Spunk Seipel hat ihn gelesen.
Die Kunst des Biedermeiers hat ein schlechtes Image: Zu gerne werden ihr sentimentaler Kitsch und Spießertum unterstellt. Doch tatsächlich fehlt für diese Verurteilung einer ganzen Kunstepoche die Grundlage, da es keine klare Definition gibt, was das biedermeierliche in der Malerei ausmacht.
Die Kuratorin Sabine Grabner ging dieser Frage mit der Ausstellung »Ist das Biedermeier« im Unteren Belvedere Wien nach. Der Katalog gibt dazu weitere Einblicke, die vor allem eines deutlich machen: Das Klischee des biedermeierlichen Kitsches und Spießertums lässt sich so nicht halten. Die Frage, ob alles, was wir leichtfertig als Biedermeier abstempeln, auch wirklich Biedermeier ist und welche Qualitäten diese Kunst hat, wird uns auch in Zukunft beschäftigen.
Schon im 19. Jahrhundert hatten Kunsthistoriker Schwierigkeiten, die Epoche und ihre Kunst zu definieren. Der Epochenbegriff Biedermeier geht auf die karikaturhafte Schilderung eines schwäbischen Dorfschullehrers namens Gottlieb Biedermeier durch die Dichter Ludwig Eichrodt und Adolf Kußmaul zurück. Sein Name wurde, wie so viele andere Stilbeschreibungen, als abwertender Begriff Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt.
Für Sabine Grabner ist dieser Begriff für die österreichische Ausformung dieser Kunstepoche unpassend. Sie schlägt vor, die Malerei aus der Zeit zwischen 1830 und 1860 nach dem Wiener Theaterschriftsteller Nestroy zu benennen. Seine Stücke würden den Geist der damaligen Zeit mit all ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Widersprüchen besser als das deutsche Wort Biedermeier widerspiegeln. Ob damit die Kunst, die zwischen Spätbarock, Klassizismus und Realismus geschaffen wurde, tatsächlich besser definiert wird, bleibt fraglich. Auch Nestroy wäre kein Name, der aus der bildenden Kunst abgeleitet wird.
In weiteren Aufsätzen, wie der Darstellung von Eszter Békefi , wird deutlich, wie schwierig sich in den letzten 130 Jahren viele Wissenschaftler taten, den Epochenbegriff Biedermeier zu benutzen. Kann man mit einem deutschen Begriff einer Kunst, die am Beginn des ungarischen Nationalismus steht, gerecht werden? Nicht nur Nationalisten, sondern auch die Sozialisten hatten ihre Problemedamit. Zudem gab es immer Diskussionen, wie diese Epoche der ungarischen Kunstgeschichte zu deuten sei. War das Biedermeier hier eine Form des Protests gegen die Habsburger oder handelte es sich dabei um eine großbürgerlich-elitäre Kunst, die sich eng an die Wiener Kultur der Zeit anlehnte? Interpretationen so mancher Motive wurden den jeweiligen politischen Gegebenheiten angepasst. Folkloristische Motive von Miklós Barabás oder Károly Marko dem Älteren wurden mal als Symbol des ungarischen Freiheitskampfes, dann wieder als frühe Form des Realismus interpretiert.
Auch der Blick in das Königreich Lombardo-Venetien macht deutlich, wie politisch die Kunst eines Francesco Hayez im Zeitalter des aufkeimenden Nationalismus von seinen Zeitgenossen aufgefasst wurde. Heute wirken viele seiner Bilder wie kitschige Idyllen und nicht wie die Sinnbilder eines Unabhängigkeitskampfes. Selbst harmlos scheinende Stadtansichten von Mailand, etwa von Angelo Inganni und Giovanni Migliara hatten eine politische Bedeutung. Sie verwiesen auf die große Tradition und die Leistungen der italienischen Kultur und setzten sie in Kontrast zu den österreichischen Besatzern und deren Kultur. An diesen Beispielen wird deutlich, wie die Kunst des Biedermeiers und seiner Zeit heute oft missverstanden wird.
In Böhmen vermied man, wie Radim Vondrácek ausführt, aus politischen Gründen den Begriff Biedermeier und fand für die Kunst der Epoche die Formulierung des »Patriotischen Realismus«, der dennoch viele Parallelen zur Wiener Biedermeiermalerei aufwies: etwa eine möglichst detaillierte Deskription der Natur, das Ideal einer maximalen Objektivierung des Gesehenen und eine Anschauung der Dinge im Detail.
Dieser hier schon illustrierte Blick weit über Österreich hinaus ist das Besondere an dem Katalog. Er bringt dem Leser die Verflechtungen und Besonderheiten in den unterschiedlichen Teilen des ehemaligen k. u. k.-Reiches nahe – Länder, deren Kunst im deutschsprachigen Raum noch immer viel zu selten wahrgenommen werden. Auch der Blick nach Westen und Norden – Frankreich, England, Skandinavien und Deutschland – macht sowohl die internationalen Verflechtungen als auch die nationalen Eigenheiten der Kunst des 19. Jahrhunderts deutlich. Ein Blick nach Russland oder Spanien dagegen fehlt leider. Natürlich war der Einfluss der Kunst verschiedener Länder auf die österreichischen Künstler von unterschiedlichem Ausmaß. Während Frankreich für viele Vorbildfunktion hatte und sie anzog, blieb der Einfluss der englischen Kunst minimal. In Österreich wurde englische Kunst weder ausgestellt noch gesammelt.
Neben der künstlerischen Dimension des Biedermeier untersuchen fast alle Autoren zudem die Bedeutung des Kunstmarkts und neu entstehende Formen der Kunstvermittlung durch Kunstvereine und Kunstlotterien. 1830 wurde in Wien der erste Kunstverein gegründet – nicht von Künstlern, sondern von Kunstfreunden. Ihr Ziel war es, durch Ankauf die Produktion von Kunst zu fördern und ein Publikum für die bildende Kunst zu bilden. Ein ungemein wichtiges Vorhaben in ökonomisch schwierigen Zeiten. Der Kunstverein und folgende Kunsthandlungen standen damit in direkter Konkurrenz zur kaiserlichen Akademie der Bildenden Künste und wurden zur geschmacksbildenden Institution in Österreich. Auch durch Verlosungen von Ölgemälden wurden der Kunstverein und die von ihm geförderte Kunst ungemein populär. Kunst wurde zum bürgerlichen Gesprächsthema. Damit zeigt der Katalog einen nicht zu unterschätzenden Aspekt auf, der den Wandel von einer höfischen zu einer bürgerlichen Kunst erst möglich machte. So verschob sich im Biedermeier das Augenmerk beim Porträt von der status- und standesbetonten Darstellung zu einem intimen Blick auf die Persönlichkeit im privaten Rahmen. Auch die Landschaftsdarstellungen wurden nicht mehr konstruiert, sondern vor Ort gemalt – Innovationen, die noch auf Jahrzehnte ihre Wirkungen hatten und doch selten mit dem Biedermeier verbunden werden.
So stellen Sabine Grabner und die anderen Autoren des Katalogs zu Recht die Frage, ob unser Blick auf Amerling, Waldmüller und viele andere Künstler der Epoche als spießige Biedermeierkünstler gerechtfertigt ist. Was ist Biedermeier? Eine Frage, die die Autoren des Katalogs nicht endgültig beantworten können. Aber sie machen neugierig auf diese oft abschätzig bewertete Kunst und schärfen den Blick für die Kunst des Biedermeiers.