Ausstellungsbesprechungen

Sarah Lucas, Galerie Sadie Coles, London, bis 30. Dezember 2012

Anlässlich der Eröffnung von neuen Räumlichkeiten widmet die Galerie Sadie Coles ihrer Objektkünstlerin Sarah Lucas bis Dezember eine Serie von Ausstellungen unter dem Titel »Situations«. Anett Göthe hat sich die mit visuellen Wortspielen und einem öbszönen Humor gestaltete Installation »Situation: Make Love« angeschaut.

Es scheint ganz so, als ob der Geist der 90er Jahre-Kunst in London zurück ist. Überall wo man hinschaut werden Retrospektiven der YBA (Young British Artists) regelrecht zelebriert. Zu sehen waren und sind große Namen wie Tracy Emin — letzten Sommer in der Hayward Galerie —, Damien Hirst — zurzeit in der Tate Modern — und Sarah Lucas — aktuell in der Galerie Sadie Coles.

Sadie Coles, eine der erfolgreichsten und dazu eine der sympathischsten Galeristinnen Londons, wählte für ihre Galerieräume die hervorragende Location am New Burlington Place. Der Galerieraum liegt versteckt in der ersten Etage aber in direkter Nachbarschaft zu den prominenten Adressen von Picadilly und New Regents Street. Der Weg zur Galerie gestaltet sich beim ersten Besuch als eine kleine Entdeckungsreise, vorbei an den großen und heiligen Korridoren von Tradition und Kunst der Royal Academy of Arts.

Seit Februar diesen Jahres ist nun bei Sadie Coles in einem neuen und extra für Lucas geschaffenem Galerieraum die Ausstellung »Situation: Make Love« zu sehen. Noch bis Ende 2012 werden in fünf Einzelausstellung verschiedene Positionen der Künstlerin präsentiert.

Lucas’ Kunst zeugt von einer deftigen und frechen Erotik, die vielleicht manchmal zu viel und zu erschreckend für das breite Kunstpublikum ist, das sie aber hervorragend zu unterhalten versteht. Oft fühlt sich der Betrachter ihrer Werke zugleich fasziniert und abgestoßen.

In ihren Werken verschiedenster Medien, wie etwa Fotografie, Skulptur und Installation, spielen die Materialieneine große Rolle. Alltagsgegenstände wie frisch gebratene Spiegeleier, finden sich hier genauso wie Damennylonstrümpfe oder ein Bügelbrett. Damit versucht sie die Idee einer Verbindung von Humor, visuellen Wortspielen und sexueller Metapher zu transportieren. Das zentrale Thema in Lucas‘ Arbeiten, die durchaus als eine künstlerische Form der Gender-Forschung betrachtet werden können, ist die Beziehung von männlicher Lust und weiblichem Rollenverständnis.

Der Ort, an dem »Situation: Make Love« umgesetzt wird, ist genau das, was man von einem Setting für Lucas‘ Werke erwartet — ein großer spartanischer Raum mit einem rissigen Fußboden aus schmutzig grauem Zement, in dem einige vereinzelt platzierte Objekte ohne jegliches Pathos und Dramatik präsentiert werden. Beim Eintreten fällt der Blick sofort auf die gegenüberliegende Wand, die mit einer riesigen Fotografie namens »Priere de Toucher« (»Please Touch«) tapeziert wurde und ursprünglich aus dem Jahre 2000 stammt. Es ist eine vergrößerte Aufnahme von Lucas‘ Brust in einem T-Shirt, das durch strategisch platzierte Löcher Einblicke auf ihre Brustwarzen gewährt und somit den Hintergrund für die Show kreiert. Das Brustmotiv setzt sich in den aus ausgestopften Nylonstrümpfen geschaffenen Objekten in dieser Ausstellung fort. Man bekommt den Eindruck, dass in jeder Ecke des Raumes Brüste lauern, die nur darauf warten den Besucher anzuspringen. Eine Fortsetzung dieses Motives erfolgt in zwei Stühlen, die durch die Drapierung mit eben diesen ausgestopften Nylonstrümpfen in der Farbe Beige weibliche Körperformen imitieren.

Des Weiteren zeigt die Ausstellung zwei Skulpturen in Bronze, die trotz des harten Materials sehr weich und organisch wirken und an ineinander verschlungene Teile des Körperinneren denken lassen. Wieder ist der Betrachter in Gefühlen zwischen Faszination und Abneigung gefangen. Abgesehen von den Gefühlen, die diese biomorphen Formen erzeugen, verweisen diese Skulpturen natürlich auch auf die britische Moderne, wie etwa Henry Moore und Barbara Hepworth. Aus diesem Blickwinkel heraus, erscheinen die Bronzen jedoch sogleich viel akademischer und weniger provokativ.

Der kleine Nebenraum, der auch als Küche für die Aufsichtsperson genutzt wird, gibt das perfekte Environment für das dort positionierte Objekt. Mitten im Raum stellte Lucas ein hölzernes Bügelbrett auf, mit dem sie auf die Stereotype des häuslich Weiblichen anspielt. Verstärkt wird diese Anspielung durch zwei Brüste aus ausgestopften Nylonstrümpfen, die vorn an das Brett montiert wurden. Auf dem hinteren Bereich des Bügelbrettes thront ein, ebenfalls aus prallgefüllten hautfarbenen Nylons geschaffenes, katzenähnliches Wesen, das weder niedlich wirkt, noch zum knuddeln einlädt, jedoch eine gewisse Art von Humor besitzt. Diese Installation namens »Pussy« ist erst dieses Jahr entstanden und zählt zu den neusten Werken von Lucas.

Die Objekte in dieser Ausstellung sind alle sehr ähnlich gehalten und bestehen hauptsächlich aus prallen Nylonstrümpfen, die weibliche Körperformen nachempfinden. Wer sich etwas mit Lucas‘ frühen Werken auseinander gesetzt hat, vermisst hier die Arbeiten, in denen sie ihre Aussage durch Naturprodukte, wie Eier und Früchte transportiert. Doch ist natürlich auch nachvollziehbar, dass eine Ausstellung über so einen langen Zeitraum auch die permanente Erneuerung dieser verderblichen Materialen mit sich bringen würde.

Die Größe des Raumes und die Platzierung der Objekte erlauben, dass man vom Zentrum aus mit einem Rundumblick nochmals alle Werke dieser Ausstellung erfassen kann und sollte. So wird klar, dass Lucas eine beeindruckende Künstlerin ist, die mit ihrer kraftvollen weiblichen Stimme in ihren Werken unerbittlich unser sexuelles Ego entblößt.

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