Ausstellungsbesprechungen

Sasha Waltz – Installationen. Objekte. Performances, ZKM, Karlsruhe, bis 2. Februar 2014

Die Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin Sasha Waltz hat im ZKM ein ganz wunderbares Konzept erdacht: die Anpassung des menschlichen Körpers an den Museumsraum. Wie es funktioniert, sagt Ihnen Gudrun Latten.

Und sie bewegen sich doch! Sehr langsame Bewegungen gehen von den geschmeidigen, durchtrainierten Körpern aus. Bedacht und kontrolliert wirkt dieser unheimliche, surreale Tanz. Mit einem Kreuz aus ellenlangem Haar verbunden, drehen sich vier Frauen langsam im Kreis. Das Arrangement erinnert an Marionetten ohne den Puppenspieler. Es sind in der Tat lebende Skulpturen, welche mit ausdrucks- und bewegungslosem Gesicht die kompliziertesten Bewegungen ausführen. Res extensa und res cogitans scheinen nicht in der üblichen Verbindung zueinander zu stehen. Die edle Einfalt und stille Größe Winckelmanns kann ich am lebenden Objekt bewundern. Äußerste Bewegtheit des Körpers bei unsichtbarem und stillem körperlichem Schmerz: Es fehlen blaue Flecken und Schürfwunden, welche vom Kontakt zum Umraum und zahllosen Probeeinheiten herrühren müssten. Zudem muss stets berücksichtigt werden: es geht um Zeit und Raum, nicht um Architektur! Dies verdeutlicht das Objekt »Wind« aus »Medea« sicher am besten. Der gesamte Raum wird wie in einer Turbinenhalle in Bewegung versetzt, Besuchende stehen still, werden bewegt und staunen.

Ganz bezeichnend ist, dass Sasha Waltz einst Malerin, nicht Tänzerin werden wollte, so Peter Weibel in seiner Eröffnungsrede. Sie hat mit ihrer Company bereits in verschiedenen Museen ausgestellt. Wie sagt man denn dazu eigentlich? Mit verschiedenen Museen zusammengearbeitet und die Körper ihrer Tänzer ausgestellt oder hat sie tatsächlich Tänze fürs Museum geschrieben? Wie schreibe ich einen Tanz für das Museum? Im ZKM darf man derzeit die Umrisse des eigenen Körpers an die Wand zeichnen. Sasha Waltz hat ihren Tänzerinnen schon einmal Stifte in die Hand gegeben, so dass diese ihre Bewegungen an der Wand festhalten konnten. Die Bewegungen der Tänzer sollen in den Raum eingreifen, sollen mit diesem interagieren. Die Körperbewegungen sind langsam, die Linienführung verwackelt. Der Körper zeichnet nicht wie ein professioneller Künstler. Der Körper ist Ausdrucksträger. Die Linien, welche in den Raum gezeichnet werden, scheinen nicht dafür gedacht, ein ebenmäßiges Bild zu ergeben.

Die Vergänglichkeit der Zeit wird offenbar bei dem Vorhaben, tanzende Körper in Skulpturen zu verwandeln. Die Bewegungslinien sind unsichtbar. Bei der Installation »Dido« aus »Dido & Aeneas« wird das Wasser regelrecht aufgewühlt. Eine sehr ausdrucksstarke Inszenierung von Bewegung. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Umsetzung der Bewegungen im Raum einen anderen Eindruck hinterlassen, als die gezeichneten Bewegungslinien der Futuristen vermuten lassen.

Der menschliche Körper ist seit jeher das Motiv der Bildhauer, die Skulptur die Raumkunst schlechthin. Lessing teilte die Künste einst in Künste der Zeit und Künste des Raumes ein. In dieser Ausstellung verwandelt sich die Skulptur in eine Kunst der Zeit. Das raumgreifende Bildwerk erhält einen neuen Bedeutungshorizont. Die Verkehrung, die Grenzüberschreitung der Gattung Skulptur, ist erklärtes Ziel dieser Ausstellung. Die Interaktion mit dem Raum ist ein wesentlicher Bestandteil dieser umwälzenden Neuerung. Die Objekte und Skulpturen sind von ihren Sockeln herabgestiegen und mischen sich unter das Publikum. Im Hintergrund sind die statischen Zeichnungen von Körpern zu sehen. Wie soll es aussehen, ist die Frage? Können die menschlichen Körper mit der Zeichnung mithalten? Am Trapez hängen sie, fünf Stück, sind angespannt bis zum geht nicht mehr und proben den Stillstand in kaum merklicher Bewegung. Es könnte sich fast um Skulpturen handeln, bliebe man nur einen ganz kurzen Augenblick vor diesen Körpern stehen. Die Interaktion mit dem Raum hat die Fußsohlen der Tänzer schwarz verfärbt. Erinnert wird damit an Caravaggios »Heiligen Matthäus«, dessen schmutzige Fußsohle einst für Aufsehen gesorgt hat.

Die Traumtänzer mischen sich unter das Publikum, können aus der Nähe betrachtet werden. Und siehe da – ganz deutliche Spuren von lebendem Fleisch, ich sehe Leberflecke, (Orangenhaut!), die Hautfarbe, Haare. Obwohl alle eine ähnliche Körpergröße aufweisen, sind diese Menschen echt – sie bewegen sich direkt vor meinen Augen. Ein gänzlich neuer Realismus macht sich mit diesen Installationen breit. »Continu« heißt das Stück und ich sehe skulpturale Körper, auf den Kopf gestellt.

Trotz der Nähe zu den Tänzern, besteht keine Kontaktaufnahme zum Publikum – es wird nicht einbezogen. Die Tänzer können von Nahem beschaut, doch dürfen sie nicht berührt werden. Sie geben keinerlei Laute von sich, sind Tanz und Performance noch so anstrengend. Diese menschlichen Körper proben die Bewegungslosigkeit und Leblosigkeit. Sie zeigen sich von ihrer besten Seite, sind bereit, beschaut zu werden, sind Installation und Objekte. Die Performativität dieser Inszenierung, dieser skulpturähnlichen Körper dringt durch die Oberfläche der Haut und die Bewegung, welcher die menschlichen Körper ausgesetzt sind, ans Tageslicht. Unheimlich, wie stumm und scheinbar gefühllos dieser Mensch in greifbarer Nähe den offensichtlichen Schmerz hinnimmt, ohne mit der Wimper zu zucken. Nicht das Wesen des Menschen, dessen Laute, dessen Verhalten, Mimik, Gestik, dessen Mängel, dessen Schmerzempfinden zerstören die Illusion. Erstaunlicherweise haben körperliche Mängel Einzug in die Performances gehalten und verleihen der Inszenierung und den Darstellern eine menschliche Wirkung. Die Illusion zerbricht am Material. Der Geist ist geschult, ihm unterläuft kein Fehler.

Am deutlichsten wird der skulpturale Charakter der Tänzer mit Sicherheit bei der Videoinstallation aus »Medea«. Ähnlich dem Parthenonfries sind die Figuren aufgereiht, sind mit der Wand verschmolzen. Das Relief, die Verbindung von einer Halbfigur und einem flachen Untergrund, wird hier überdeutlich herausgearbeitet nur um anschließend als Täuschung enttarnt zu werden. Weder Wand noch Figuren sind, was sie zu sein vorgeben. Die Wand ist durchlässig, die Halbfiguren sind menschlich.

Es wird deutlich: diese Menschen könnten uns täuschen, könnten sich für Skulpturen ausgeben. Tanz und Bewegung bleiben flüchtig, werden wiederholt, doch sind sie nicht von Dauer. Sie hinterlassen keinerlei bleibenden Eindruck im Raum. Die Performances werden zu bestimmten Zeiten während der Ausstellungsdauer immer wieder aufgeführt. Hinter einer Holzwand bewegen sich verschiedene Menschen. Es mag ihnen einfach nicht gelingen, die mit Löchern versehene Holzwand zu durchdringen. Scheinbar hindert sie die Fläche, ihre eigene Körperlichkeit daran.

Nicht nur die Choreografie, sondern auch die Kostüme, Bühnenbilder und Requisiten sind außergewöhnlich und extravagant. Aus dem Boden wachsen weiße Rosen und – man glaubt es kaum – werden von dieser wieder eingezogen. Diese Requisiten folgen nicht den Gesetzen der Natur, sie stehen oberhalb der Naturgesetzte. Obwohl organisch, scheinen auch die Tänzer anderen Regeln zu gehorchen. Welch ein riesengroßer Unterschied zwischen den Videoinstallationen und den Live-Performances! Die Gattung Skulptur scheint dem menschlichen Körper nur unzureichend gerecht werden zu können. Sasha Waltz hat die Gattung einer Revision unterzogen.

Wer auf das ungewohnt Vertraute, das erfrischend einfach Bezaubernde steht, ist bei den Special-Effects von Sasha Waltz an der richtigen Adresse.

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