Ausstellungsbesprechungen

Schlossbaumeister. Andreas Schlüter und das barocke Berlin, Bode-Museum Berlin, bis 24. August 2014

Die Diskussionen um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses haben auch einen seiner Baumeister in den Focus der Öffentlichkeit gerückt: Andreas Schlüter, Bildhauer und Architekt. Zum 300. Todestag widmet ihm das Bodemuseum eine große Ausstellung. Ulrike Krenzlin hat sie sich angesehen.

Mein Leipziger Universitätslehrer Johannes Jahn behandelte die Barockkunst von 1600 bis 1750 mit feinsinniger Fachliebe. Zuerst den italienischen Barock mit Glanznamen wie Gian Lorenzo Bernini und Alessandro Algardi, den Barock in Österreich und dann die klassisch römische Variante in Frankreich. Zum norddeutschen Barock kam nur ein kurzer Kommentar, ungefähr so: »Da gibt es Andreas Schlüter und das Berliner Schloss. Obwohl dieser hochbarocke Vierkantbau wie ein Gefängnis wirkt, ist er doch der bedeutendste Profanbau im protestantischen Norden.« Im Hörsaal 11 sahen wir dann mit qualitätvollen Alinari-Dias an die Hörsaalwand projiziert Schlüters ungeheures Werk mit seiner fulminanten Außenhautplastik, die Reihung der dickbäuchigen Adler mit ihren weitaufgespannten Flügeln an der Balustrade zur Lustgartenseite, muskulöse Männer-Karyatiden kraftvoll vorspringenden Hofportale tragen, die kühnen Treppenläufe im Inneren, die alles Hergebrachte hintansetzten, den Wendelstein und die Reiterschnecke. Das Schloss erschien unversehrt, obwohl es 1950 durch die DDR-Regierung gesprengt worden ist. In der Kunstgeschichte gilt auch ein verlorenes Bauwerk als immer noch vorhanden. Virtuell besteht es also ewig.

Die Ausstellung im neubarocken Bodemuseum ist zwar zum 300. Todestag des Künstlerarchitekten eingerichtet worden, doch wollen Präsentation und wissenschaftliche Neubearbeitung von Schlüters Gesamtwerk mit Katalogbuch mehr sein, nämlich das Resümee der Generation, die sich erfolgreich für die Wiedererrichtung des Schlosses eingesetzt hat. Denn im Jahr 2017 soll es mit der kompletten Außenhaut wieder auf dem Schlossplatz stehen. Trotz Qualität und vom Veranstalter betriebenem Aufwand gibt es mit dieser Ausstellung Probleme, sie ist geradezu ein Langweiler. Das Publikum bleibt aus. Dafür sehe ich mehrere Gründe. Erstens: Ihre streng kunsthistorische Ausrichtung macht sie zum reinen Bildungserlebnis für Kenner, doch gerade Kennerschaft fehlt uns heute. Gebäude, die er als der Schlossbaumeister in gut zehn Jahren, von 1694 bis zu seiner Entlassung 1706, in der kurfürstlichen Residenzstadt Berlin regelrecht aus dem Boden gestampft hat, sind – außer dem Zeughaus - heute allesamt aus dem Stadtbild verschwunden. Neben dem Schloss waren dies das Gießhaus, die Alte Post (Palais Wartenberg), die Lange Brücke mit der Reiterfigur des Großen Kurfürsten und die Ministerialvilla Kameke. Sie können in der Ausstellung verständlicherweise nur zweidimensional mit Aufrissen, in Gemälden und Fotos gezeigt werden.

Zweitens: Die Frage, weshalb Schlüter heute kaum bekannt ist, bleibt weitgehend offen. Dass es kein Bildnis von ihm gibt, kein Grabmal und sein Geburtsjahr bis vor Kurzem noch zwischen 1659 und 1660 schwankte, sind doch Nebenfragen. Schlüter hat aber immer mit den Großen, den Königen gearbeitet: für den polnischen König Jan III. Sobieski, für Friedrich I., dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm I. Letzterer beendete 1713 das Dienstverhältnis mit dem erst 53-jährigen Hofbildhauer. Danach ging er zu Zar Peter I. nach St. Petersburg, wo 1714 er starb. Wir erfahren nichts über die Todesursachen, denn die russischen Quellen sind immer noch nicht bearbeitet. Diese Arbeit mit den Herrschern Europas enthält viel Zündstoff, der kaum angedeutet und längst nicht geklärt ist.

Der Zugang zum barocken Berlin ist auch versperrt durch unsere dynastische Unbildung. Das betrifft nicht nur die uns fremden Kurfürsten von Brandenburg, auch deren Staatsdenken ist uns kaum bekannt. Hier wäre es ja nur um die langfristigen Absichten des Großen Kurfürsten und seines Nachfolgers gegangen, mitten in Europa ein neues Königreich in Preußen zu errichten, was die Altmächte Frankreich, England und Russland provoziert hat.

Das Scheitern Schlüters hing zusammen mit den forcierten Bemühungen des »Großen Kurfürsten« Friedrich Wilhelm II. (1620-88) um die Königswürde in Preußen. Um 1700 waren die Würfel gefallen: Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Leopold I., wurde durch den Tod des spanischen Herrschers Karl II. in den Spanischen Erbfolgekrieg reingezogen. Kurfürst Friedrich Wilhelm III. bezahlte ihm diesen Krieg. Im gleichen Jahr erkannte der Kaiser dem Kurfürsten den Titel »König in Preußen« zu. Die Überlegung des Kaisers, das Herzogtum Preußen gehörte nicht zum HRR, überzeugte damals. Infolgedessen brauchte sich niemand daran zu stören. Schlüter sollte für den neuen König Friedrich I. in Preußen eine Königsstadt schaffen. In Windeseile musste sich die Doppelstadt Berlin-Cölln – eigentlich zwei Nester, die infolge des 30-jährigen Kriegs auf 2000 Einwohner dezimiert worden waren – unter den Altmächten sehen lassen können. Zuerst sollte Schlüter die Holzbrücke zwischen Berlin und Cölln durch eine Steinbrücke ersetzen. Dafür war der erste Großbronzeguss bestimmt: das Reiterdenkmal für den Großen Kurfürsten. Zum Problem »Kurbrandenburg und die Königswürde« hätte der Blick von Historikern einbezogen werden müssen. Ebenso notwendig wäre ein Exkurs über den Calvinismus im Kurfürstentum Brandenburg gewesen. Kunstgeschichte für sich funktioniert heute nicht mehr.

Schlüters Tätigkeit als Baumeister für den ersten König in Preußen, Kurfürst Friedrich Wilhelm III., musste zwangsläufig in ein Fiasko führen. Der nahezu undurchschaubare Auftragsstrudel ist bis heute nicht entwirrt. Die Ereignisse überstürzten sich: Der Münzturm, eigentlich die Wasserversorgung für den gesamten Schlosskomplex, stürzte noch vor Erreichen der geplanten hundert Meter Höhe ein. Schlüter hatte auf die ingenieurtechnischen und Probleme mit dem Sandboden hingewiesen, der König aber duldete keine Widerrede und verlangte unbedingten Gehorsam in der zügigen Ausführung seines Hauptstadt-Projekts. Hinzu kam ein weiteres Unglück: Während eines Aufenthalts des Kurfürsten in Freienwalde kam der Sandhügel, an dem das von Schlüter errichtete Lustschloss stand, ins Rutschen. In der ersten Schlüter-Biografie von 1937 hat Heinz Ladendorf den Einsturz des Münzturms als zentrale Ursache für Schlüters Scheitern in Berlin gesehen. Bei dieser These einer unzulänglichen Ingenieurkunstleistung von Schlüter verharrt leider auch die Ausstellung.

Überzeugender gelingt die Darstellung des Bildhauers Schlüter. Mit seiner Plastik konnte der gebürtige Danziger um 1700 dem Niveau des europäischen Barock Paroli bieten. Der artifiziellen Raffinesse eines Bernini war ohnehin nichts hinzuzufügen und sie gehörte nach Italien. Schlüter kannte die römische und französische Kunst von Dienstreisen und Stichwerken. Was machte er daraus? Der Mittdreißiger mischte diese Hochformen auf mit dem Maß an Brutalität, Derbheit und Einfalt, das er im Kurfürstentum Brandenburg und im Kriegsgeschehen zur Zeit seiner Berufung 1694 vorfand. Im Zeughaus-Hof sind die herausragenden Masken sterbender Krieger erhalten. Schlüter zeigte den Todeskampf vom Körper abgeschlagener Kriegerköpfe, die als Trophäen aufgestockt waren: gefallene Türken vor Wien. Diese Werke, von denen in der Ausstellung nur Nachzeichnungen anderer Künstler gezeigt werden können, wurden angeregt vom Sieg über die Türken bei Wien 1683, den der polnische König Johann III. Sobieski mit seinem Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen errungen hatte.

Ein Saalregent ist die herrliche Büste des Landgrafen von Hessen, Prinz von Homburg, dem Kleist ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Schlüter schuf mit dieser Bronzebüste um 1700 ein wild bewegtes Bildnis des Landgrafen, der 1675 bei Fehrbellin die Schweden geschlagen wurde, dabei ein Bein verlor und mit diesem Sieg dem Kurfürsten Friedrich II. zum Titel »Großer Kurfürst« verhalf. Für ihn schuf Schlüter auch das erste Reiterstandbild in Bronze, das der barocke Norden kennt. Der Standort an der Langen Brücke ging verloren. Die Reiterfigur mit Sockel und gefesselten Sklaven steht heute im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses. Eingequetscht in die Kuppelhalle des Bodemuseums begrüßt den Besucher eine Galvanonachbildung des Reiters mit Sockel. Die in der barocken Todesallergorik schwelgenden reichen Grabmäler des ersten Königspaares Sophie Charlotte und Friedrich I. in Preußen kann man wenige Schritte vom Bodemusem entfernt im Berlin Dom sehen. In der Ausstellung werden zwanzig Jahre vom Künstlertum Schlüters lebendig. Wer sich Mühe gibt, kann die Genialität und Lebendigkeit des Künstlers erleben.

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