Ausstellungsbesprechungen

Schnitte: Reinhard Scherer – Skulpturen, Christa Henn – Collagen, noch bis 17. Januar 2009

Die Stuttgarter Galerie Anja Rumig, die im Herbst erst ihre Pforten geöffnet hat, geht mit einer energiegewaltigen Doppelausstellung in den Winter.

Mit seinen Eisenplastiken erweist sich der Schöpfer monumentaler Raumskulpturen, Reinhard Scherer (geb. 1948), als genialer Monumentalist auch in der Kleinplastik. Christa Henn (geb. 1957) gestaltet mit Röntgenbild-Material abstrakte »Porträts von innen«, die – man möchte im Vergleich zu Scherer umgekehrt – von der Größe einer Tafelmalerei ausgehend, den faszinierenden Sprung zum metaphysisch aufgeladenen Großformat schaffen. 

Scherers Plastiken stellen sich selbstbewusst in den Raum, in den Weg. Tritt man etwa in der süddeutschen Stadt Bietigheim-Bissingen aus dem Bahnhof, ist man nicht nur rechtschaffen weit vom Stadtzentrum entfernt, sondern steht man auch mitten drin in einem kreisrund anmutenden Architekturensemble, das sich durchaus modern gibt, aber sich jeglicher Extravaganz enthält. Diese Spannung zwischen Ankommen und Durchstarten, wo die Busse schon die Fort-Bewegung anzeigen, bevor man richtig da ist, kulminiert in der konstruktivistischen Riesenplastik »Brennpunkt« von Reinhard Scherer, die einerseits den Platz erst trefflich definiert, indem er die Bauteile in ein Beziehungssystem zwingt und zugleich die Mitte des Platzes markiert, und die andrerseits in einem himmelstürmenden wie abwärtskreisenden Bewegungsrausch, den man einem Eisenkoloss dieser Größe kaum zutraut, den Passanten regelrecht mitnimmt auf seinem weiteren Weg. Dass diese außerordentlich ausgefeilte und in markanten Schweißnähten noch betonte Dynamik von stabil lastenden und bogenförmigen wie übereck gefalteten, nahezu schwebenden Elemente im kleineren Format genauso funktioniert wie im großen, bestätigen die Plastiken in der Galerie Rumig. In stelenhaften, mannshohen Gebilden sowie in ineinanderverwobenen Stahlgestellen (bevorzugt unter dem Titel »Netzwerke«) zeigt sich der grandiose Handwerker und der feinsinnige Stahlplastiker, der die Gegensätze von schwer und leicht lustvoll gegeneinander ausspielt. So vermag er das sperrige Material so gefügig zu machen, dass es sich im Innenraum so frei entfaltet, wie es die Arbeiten im öffentlichen Raum tun.

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Wenn man die Collagen von Christa Henn betrachtet, trifft man auf eine andere Form der Koinzidenz gegensätzlicher Wahrnehmungen: gleichsam befremdlich wie auch hochgradig intim begegnen uns diese Arbeiten aus zerschnittenen und wieder zusammengefügten Röntgenaufnahmen. In luftiger Komposition entstehen schwarze und dunkelblaue, meist schwebende Wesen, die sich über Assoziationsketten aus ihrer eigenen Abstraktion herauslesen lassen, ohne wirklich konkret zu werden. Bei näherer Draufsicht bemerkt man dann das »Inwendig-Menschliche«, sprich die Motive, die das Röntgengerät freigegeben hat: Knochen, erkenn bare Gliedmaßen, Gelenke, die höchst eigenwillig zu erkennen geben: Hier geht es um den Menschen, wobei das Porträthafte in seiner extremsten Darstellungsweise (dem intimen Röntgenbild) in unendliche Ferne rückt (das Blau, die Wegblendung einer körperlichen Hülle). Die Arbeiten, die sozusagen die Hinterglasmalerei in einem ganz neuen Medium weiterführen, lassen in ihrer Transparenz eine Brüchigkeit, Verletzlichkeit ahnen, die einerseits ein durchaus aktuelles Menschenbild vermitteln, die aber darüber hinwegtäuschen, dass das Material stabiler ist, als der Augenschein hergibt. Deshalb konnte Henn die Technik auch auf große Flächen übertragen, wie dies sinnigerweise im Max-Planck-Haus am Hofgarten in München (»Potenziale«, 2006) geschehen ist – die wissenschaftliche Seite der fotografischen Aufnahmen legt dies nahe. Hinreißend ist freilich die Idee, die die Pfarrkirche St. Johann Baptist in Bergisch-Gladbach-Reftrath hatte, als sie Christa Henn einlud, in der Fastensaison 2008 den Chorraum mit acht Metern hohen Röntgenbild-Bahnen in einen Meditationsraum zu verwandeln, der das übersinnliche Licht gotischer Kathedralen evoziert.
 
In Stuttgart sind diese zwei Positionen bis ins neue Jahr zu sehen: Es lohnt sich, in den Galerieräumen bzw. an deren Wänden – sozusagen im potenziell privaten Umfeld – zu entdecken, was darüber hinaus im öffentlichen Raum seinen Platz schon gefunden hat.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 14–19,
Samstag 11–16 Uhr

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