Ausstellungsbesprechungen

Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst, Städel Museum, Frankfurt am Main, bis 20. Januar 2013

So kurz nach Halloween hat das Unheimliche Hochkonjunktur: Im Frankfurter Städel widmet man sich den märchenhaft-fantastischen, schauerlich-grotesken und sexuell-abnormen Motiven der Schwarzen Romantik. Rowena Fuß besah sich die bildgewordenen Kehrseiten der Vernunft.

Man stelle sich vor: Irgendwo schlägt eine Uhr Mitternacht. Auf einer leer gefegten Straße, über die ein leichter Bodennebel kriecht, nähert sich eine geisterhafte schwarze Kutsche. Gezogen von einer einäugigen Schindmähre, kommt der Karren schließlich vor einem hohen Torbogen ächzend zum Stehen. Der Kutscher ist niemand geringerer als der Fuhrmann des Todes. Nach einer Legende muss derjenige, der in der Silvesternacht stirbt, ein Jahr lang die Seelen der Sterbenden von ihrem Körper erlösen. Wem diese Szene aus dem gleichnamigen Film von 1921 nicht das Gruseln lehrt, wird es in der Ausstellung schon noch lernen.

Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf hatte den Stoff 1912 in einer Erzählung verarbeitet, in der es um die grenzenlose Liebe einer jungen Frau und den zähen Kampf zwischen Gut und Böse geht. Sie bildet die Basis für den Film, der wiederum alle Parameter für den Ausstellungsrundgang enthält: das Unheimliche, das Metaphysische, das Vergängliche, alte Mythen und Legenden. Also all das, wovon die Vernunft träumt, wenn sie schläft. Oder frei nach Goyas Capricho Nr. 43: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Dementsprechend katapultiert die Ausstellung den neugierigen Besucher zuallererst ins Schlafgemach. Füsslis koboldhafter Nachtmahr sitzt hier einer in Ohnmacht gefallenen jungen Frau auf der Brust. Mit zu Berge stehenden Haaren, schreckgeweiteten Augen und geblähten Nüstern beobachtet ein weißes Pferd im Hintergrund die Szene. Selbst der symbolische Lichtbringer scheut vor dem Anblick also zurück. Denn dem Alb hat die Vernunft nichts entgegen zu setzen. Dies unterstreicht auch die eigenartige Liegeposition der „Schlafenden“: Sie liegt verkehrt herum auf ihrem Bett, mit dem Kopf am Fußende – die Vernunft ist nicht vernünftig, wenn sie schläft.

Zu einer Zeit, als sich die Französische Revolution immer mehr in Krieg und Terror verkehrte und dann Napoleon Angst und Schrecken verbreitete, war von den Idealen der Aufklärung und dem Licht der Vernunft nichts mehr zu spüren. Viele der präsentierten künstlerischen Entwicklungen und Positionen resultieren aus einem erschütterten Vertrauen in ein aufgeklärtes, fortschrittliches Denken. Junge Literaten und Künstler widmeten sich daher verstärkt der Kehrseite der Vernunft. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn im nächsten Raum Blätter aus Goyas »Caprichos« und »Desastres de la Guerra« präsentiert werden. Wie kein Zweiter hat der spanische Maler und Grafiker in seinen Radiermappen nicht nur gesellschaftliche Missstände angeprangert, sondern der Nachwelt auch alle möglichen Formen von Kriegsgräuel als Mahnung konserviert: Wenn die Vernunft schläft, stehen dem Wahnsinn Tür und Tor offen.

Anhand von sieben Kapiteln und insgesamt mehr als 200 Gemälden, Skulpturen, Grafiken, Fotografien und Filmen spürt die umfangreiche Schau der Faszination zahlreicher Künstler für die dunklen Seiten der menschlichen Psyche nach.

Einer Zäsur gleich stehen im Kapitel »Kult der Stille« Winterstimmungen, einsame Gräber, Ruinen, kahle Bäume oder die von bleigrauen Wolken verhangene »Meeresküste bei Mondschein« von Caspar David Friedrich den wilden Stoffen von »Traum und Albtraum« gegenüber. Als Metapher für das Schicksal des Menschen erhält die Landschaft bei ihm eine existenzielle Bedeutung. Sein Bild von der Meeresküste dient als Symbol für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Es war zudem das letzte Ölgemälde, das Friedrich vor seinem Schlaganfall vollenden konnte.

Die unheimliche, lastende Stille in Friedrichs Bildern wird als Sprachlosigkeit von den Symbolisten im nächsten Raum »Seelenmaler« zu einer Idealform menschlicher Kommunikation stilisiert, die zu tiefen, grundlegenden Einsichten führen soll. Oskar Zwintscher hat beispielsweise den Gram über den Tod eines geliebten Menschen allegorisch ins Bild gesetzt: Mit Händen, die Raubvogelklauen gleichen, drückt der Tod einen schweren Felsbrocken auf einen Jüngling, der über seine verstorbene Frau gebeugt trauert.

Gebannt durch Böcklins Medusenschild führt die Ausstellung ihre Besucher nun durch nachtdunkle Räume mit Filmprojektionen hindurch. Hier kann er sich (Horror)Klassiker wie »Frankenstein« (1931), »Dracula« (1931), »Faust« (1926), »Vampyr« (1931/32) oder den bereits erwähnten »Der Fuhrmann des Todes« (1921) anschauen. Ein zentraler Schauplatz der schwarzen Romantik war im 20. Jahrhundert nämlich – neben der Literatur – der Film.

Zuletzt widmen sich die Surrealisten Salvador Dali und Max Ernst der »Realität der Träume« mit Vexierbildern wie »Ballerina als Totenkopf«. Die Begegnung mit dem Wundersamen und Grotesken kann ich nur empfehlen!

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