Ausstellungsbesprechungen

Scratch my Back. Hans-Meid-Preisträgerin 2017 Line Hoven und Hochschulwettbewerb für Illustration, Kunsthalle St. Annen / Museumsquartier Lübeck, bis 11. Februar 2018

Das erste Mal wurde in diesem Jahr der renommierte Hans-Meid-Preis für Buchillustration in Lübeck vergeben. In einer großen Schau über mehrere Stockwerke werden mehr als zweihundert Arbeiten ausgestellt. Stefan Diebitz hat eine interessante und sehr vielseitige Ausstellung besucht.

Zweihundert Arbeiten allein von der Preisträgerin Line Hoven? Nein, natürlich nicht. Im Erdgeschoss präsentiert die Kunsthalle Proben von Hans Meid (1883 – 1957), dem Namensgeber des Preises. Meid war ein wirklicher Meister der Radiertechnik, der nicht wenige Werke der Weltliteratur illustrieren durfte und in seiner Hochzeit – natürlich zu dessen beträchtlichem Ärger – höhere Preise erzielte als selbst Max Liebermann. Seine Technik erinnert stark an seinen Zeitgenossen Alfred Kubin, mit dem er tatsächlich eng befreundet war und seinen Urlaub zu verbringen pflegte. Allerdings ist die Thematik seiner Blätter bei weitem nicht so düster, gar morbid wie die Kubins. Meid durfte unter anderem Goethes »Wahlverwandtschaften«, den »Othello« oder die Erstausgabe von Thomas Manns »Mario und der Zauberer« illustrieren – Proben davon kann man jetzt in Lübeck bewundern. Sein Werk ist eine wirkliche Entdeckung.

Weiter oben werden die Arbeiten des Preisträgers von 2015, Lars Henkel, ausgestellt. Die Entscheidung für ihre Präsentation ist sehr glücklich, denn die Blätter Henkels unterscheiden sich in wirklich jeder Hinsicht von denen Line Hovens: Es handelt sich um virtuose und sehr farbenfrohe Collagen, die mit der Hilfe eines Computers hergestellt bzw. überarbeitet wurden. Und noch einmal vielseitiger sind die Arbeiten des Hochschulwettbewerbs in der obersten Etage, in dessen Rahmen vier junge Künstler ausgezeichnet wurden. Die Arbeiten von insgesamt 21 nominierten jungen Künstlern füllen den obersten Stock.

Ganz und gar anders als alles dieses, dazu in ihrer Strenge, ihrer Akkuratesse und der Intelligenz der Konzeption sehr beeindruckend ist das ganz und gar schwarzweiße Werk von Line Hoven, einer vierzigjährigen Künstlerin, die 2007 mit der Graphic Novel über die Geschichte ihrer Familie – »Liebe schaut weg« – debütierte. Graphic Novel, so findet sie selbst, wird ein solches Buch genannt, »damit es sich besser verkauft.« Ganz offensichtlich hat sie keine Probleme damit, Comics zu produzieren, und die Bildstreifen erinnern also wirklich an diese, aber was ihre Arbeiten unterscheidet, ist zunächst die ganz außerordentliche handwerkliche Qualität jedes einzelnen Blattes, sodann, bei allem reichlich vorhandenen Humor, der Ernst der Erzählung.

Hoven benutzt eine heute sehr seltene, zuletzt in den fünfziger Jahren populäre Technik, indem sie auf einem ganz bestimmten, in England hergestellten, nämlich schwarz beschichteten Papier die Farbe abkratzt. Ihre Technik ist also der Radierung eng verwandt: Man kann sehen, was stehenbleibt. Vor fünf Jahren, erzählte sie, gab es in Basel eine Ausstellung mit fünf Künstlern, die alle dieselbe Technik benutzten und sich um einen Tisch setzten. »Und dann haben wir alle unsere Messer herausgeholt.« Denn natürlich braucht man ein bestimmtes Messer, um mit ihm zu schaben und zu kratzen.

Dass es so wenige Künstler gibt, die mit dieser Technik umgehen, dürfte nicht zuletzt mit dem Aufwand für jedes einzelne Bild zu tun haben. An einer freien Arbeit – dem größten Blatt ihrer Ausstellung – saß Hoven nicht weniger als drei Monate! Es ging ihr darum, Nebel darzustellen, und man kann sich die enormen Schwierigkeiten dieses Vorhabens bei einer Kratz- und Schabetechnik leicht vorstellen. Aber selbst in die kleineren Bilder muss sie dreißig Stunden und mehr investieren. Diese außerordentliche Sorgfalt ist ihren sehr sauberen Arbeiten und bei aller Klarheit immer durchdachten Szenen übrigens auch anzusehen. Dass sich die Künstlerin auch in der Kunstgeschichte gut auskennt und diese ironisch zu kommentieren weiß, demonstriert unter anderem das Blatt »Schmythologie«.

Die einzelnen Blätter stellen keine Druckvorlage dar wie eine Platte, sondern werden gescannt. In Lübeck gibt es von ihr also nur Originale zu sehen, und das ist schon deshalb gut und wichtig, weil man leicht erkennen kann, dass es dreidimensionale, nämlich reliefartige Arbeiten sind, so wenig das Schwarze auch herausragen mag. Der Eindruck auf dem Bildschirm oder auf einer Zeitschriftenseite ist deshalb in jedem Fall deutlich schwächer, als wenn man vor einem ihrer Bilder steht.

Lina Hoven illustrierte Bücher von Jochen Schmidt, gestaltete Buchumschläge, arbeitete für die FAZ und andere Zeitschriften oder kratzte für Opern-Programmhefte; aus allen diesen Gebieten kann man in Lübeck Arbeiten bewundern. Sie alle zeichnet nicht allein die große handwerkliche Kunst, sondern ebenso der Humor der Künstlerin aus, der sehr oft ziemlich schwarz eingefärbt ist und zusätzlich dem Wortwitz nicht ganz abgeneigt. Nicht ganz untypisch ist ein Blatt, das zwei leere Schuhe vor einem Abgrund zeigt; der lakonische Titel lautet »Vita brevis ars longa«.

Die Lübecker Ausstellung ist ausnehmend interessant und unbedingt zu empfehlen, zumal im Keller zusätzlich noch die alljährliche Schau der Selbstporträts aus der Sammlung Rüxleben wartet. Dort findet sich auch ein Selbstbildnis Hans Meids.

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