Ausstellungsbesprechungen

Sir Stanley Spencer – Malerei zwischen Himmel und Erde, Kunsthal, Rotterdam, bis 15. Januar 2012

Die Kunsthal Rotterdam zeigt erstmals in Europa eine große Übersichtsausstellung der Werke Sir Stanley Spencers. Als einer der wichtigsten englischen Maler des 20. Jahrhunderts gebührt ihm nicht nur wegen seiner Themenvielfalt ein besonderer Wert, sondern auch aufgrund seiner weitläufigen Rezeption. Die Ausstellung stellt Spencer in den Kontext der weiten Einflusskreise, die er auch über die Grenzen Großbritanniens hinaus zog. Günter Baumann berichtet.

Der Realismus hat Konjunktur. Während die jüngeren Generationen mit erstaunlicher Leichtigkeit die Klaviatur der wirklichkeitsnahen Darstellungen bedienen – in allen Techniken und in der vollen Bandbreite der Figuration von Pop und Comic bis zum Hyperrealismus –, holen die Museen die älteren Realismus-Generationen ans Tageslicht: die Maler der Neuen Sachlichkeit sind ebenso vertreten wie die Exponenten des kapitalistischen und sozialistischen Realismus. Darüber hinaus werden die nationalen Stile hinterfragt, sodass bedeutende Positionen zu Tage kommen, die unter anderen Vorzeichen nicht diese Aufmerksamkeit erhalten hätten.

Zu den neusachlichen Stars unter den britischen Künstlern gehört der 1958 geadelte Sir Stanley Spencer (1891–1959), dessen Realismus sich zuweilen mit dem Stil der englischen Fortizisten, einer sehr speziellen Parallelentwicklung des Futurismus, überschneidet – Grund für die stellenweise bis in die Karikatur reichende Überzeichnung der Motive. Die Bandbreite von Spencers Motiven ist überraschend, da man für gewöhnlich nur Einblicke in die Porträtkunst und hier insbesondere das Selbstbildnis des Malers bekommt. Daneben brillierte Spencer aber auch mit biblischen Themen, Landschaften und Genreszenen.

Für seinen Einfluss auf das europäische Festland sind die Niederlande von Bedeutung, was die Rotterdamer Ausstellung sinnfällig herausarbeitet: Dick Ket und – in Deutschland sehr viel bekannter – Charley Toorop stehen für die Brücke über den Kanal. In Großbritannien selbst führt eine Linie von Stanley Spencer bis zu dem erst im vergangenen Jahr gestorbenen Lucien Freud. Modern ist das erzählerische Element in seinem Werk und sein figurativer Stil traf immer wieder auf eine glanzvolle Phase realistischer Darstellung. Rückwärts gewandt ergeben sich demgegenüber spannende Verbindungen zu den von Spencer bewunderten Künstlern Giotto und Gauguin, die wiederum die Bandbreite für das Interesse des englischen Malers untermauern. So resultiert auch daraus seine Themen-Verortung, die man ihm in Rotterdam angedeihen lässt: zwischen Himmel und Erde, doch ebenso zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen Fiktion und persönlichem Erlebnis. Um die 80 Exponate, darunter Leihgaben aus der Tate Britain und der Stanley Spencer Gallery (Cookham), beleuchten das Schaffen und den Wirkungskreis eines der besten englischen Malers des 20. Jahrhunderts.

Der Katalog zur Ausstellung, wiewohl in niederländischer Sprache, ist ein optischer Genuss und fast eine verlegerische Premiere: Im vergangenen Herbst schlossen sich der renommierte Verlag Waanders und der Verlag D’jonge Hond zusammen, um unter der Marke Wbooks besser auf dem Buchmarkt punkten zu können.

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