Ausstellungsbesprechungen

Sommergäste. Von Arp bis Werefkin. Klassische Moderne in Mecklenburg und Pommern. Staatliches Museum Schwerin, bis 23. Oktober 2011

Eine wunderbare Ansammlung großer Kunst der klassischen Moderne vom deutschen Impressionismus bis hin zu Dada kann man in diesem Sommer und Herbst im Schweriner Schlossmuseum bewundern. Mit »Sommergäste« sind die Künstler angesprochen, die die Ostseeküste zur Erholung besuchten und auch in ihren Ferien nicht das Malen bleiben lassen mochten. Später, in der Zeit des Nationalsozialismus, blieben aber manche auch etwas länger, und Mecklenburg wandelte sich zu einem Rückzugsgebiet für kritische Künstler. Zu welchen Bildern die so wenig spektakuläre Ostsee oder die oft als rückständig angesehenen Menschen der Küste Lovis Corinth, Edvard Munch, Lyonel Feininger und viele andere Heroen der Moderne zu Bildern anregen konnten, hat sich Stefan Diebitz angeschaut.

Ein wesentlicher Aspekt des Schweriner Konzepts kann bereits am Titel abgelesen werden, denn es ist ausdrücklich nicht von Mecklenburg-Vorpommern, sondern von »Mecklenburg und Pommern« die Rede – die polnische Ostseeküste (West- und Ostpommern) mit Rowy, Łeba und dem fernen Frischen Haff wird also ausdrücklich einbezogen, und darüberhinaus finden sich sogar einige Bilder von der Kurischen Nehrung und seinem in Malerkreisen berühmten Nida, in dem sich wie auf Hiddensee oder in Prerow eine Künstlerkolonie angesiedelt hatte.

Es ist zuletzt Mode geworden, Kunstausstellungen mit Tourismus zu vernetzen, um Ausstellungen besser finanzieren zu können. So wurde im letzten Jahr der Expressionismus in verschiedenen Schleswig-Holsteiner Museen mit großem Erfolg präsentiert, und das konnte deshalb überzeugen, weil die Maler sich ja wirklich von Schleswig-Holstein, seinen Küsten, seinen typischen Landschaftsformen und Haustypen inspirieren ließen. Besonders überzeugend war eine Lübecker Karl Schmidt-Rottluff-Ausstellung. Und aus denselben Gründen wie in Schleswig-Holstein funktioniert auch die Schweriner Ausstellung. Denn die Beziehung eigentlich aller Maler zur Ostseeküste war keineswegs oberflächlich, sondern sie ließen sich, jeder auf seine Art, von den Lichtverhältnissen und der Natur, der Arbeit der Fischer und dem Strandleben anregen. So dokumentieren die Bilder in ihrer erstaunlichen Vielfalt den Wandel des Verhältnisses zum Leben und zur Natur überhaupt.

Alle Maler mit Ausnahme eines einzigen sind gleich mit mehreren Bildern vertreten, so dass der Besucher tatsächlich von jedem Künstler einen intensiven Eindruck davontragen kann. Von Lovis Corinth als dem ältesten finden sich mehrere realistische Bilder in eher gedeckten und dunklen Farben, die die Heiterkeit des Motivs – die von Corinth porträtierte Ehefrau lächelt glücklich, während die Ostsee ihre Füße umspült – ein wenig zurücknehmen. Und das Anbranden der Ostsee wird auf einem anderen Bild Corinths geradezu zu einem dramatischen Akt. Marianne von Werefkins klitzekleine Skizze der Ostsee, die in starker Vergrößerung auch Plakat und Katalogumschlag ziert, stellt so etwas wie einen Gegenpol zu diesen Bildern Corinths dar, denn das Bildchen ist wesentlich heiterer gestimmt. Auch das niedliche Skizzenbuch der russischen Künstlerin wird ausgestellt, zusammen mit einigen ihrer leuchtenden und farbintensiven Bilder.

Es würde zu weit führen, alle vertretenen Maler aufzuführen. Mit Expressionisten wie Max Pechstein, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Alexej Jawlensky, der seinen Aufenthalt an der Ostsee zu einer Zäsur stilisierte (der Aufenthalt »war eine Wendung in meiner Kunst«, schrieb er 1911), mit Paul Klee, Lyonel Feininger, Hans Arp und Georg Grosz sind einige der ganz Großen des letzten Jahrhunderts mit schönen Arbeiten vertreten. Deshalb sei auf einige der weniger bekannten oder gar vergessenen Künstler hingewiesen.

Einen ganz eigenen Weg ging etwa Ivo Hauptmann, der Sohn des auf Hiddensee residierenden Gerhard Hauptmann, der mit pointillistischer Technik einen dekorativen Leuchtturm darstellte oder sehr schöne, impressionistisch anmutende Aquarelle schuf. Ganz oder wenigstens halbvergessen ist César Klein (1876 – 1954), der sich mit seinen realistischen Ölbildern von Ahrenshoop so wenig wie Hauptmann einer Schule zuordnen lässt und, wie Antonia Napp in einem schönen Aufsatz zeigen kann, eher unter dem Einfluss der französischen Malerei stand.

Der März-Künstler Kurt Schwitters überrascht mit realistischen Landschaftsbildern, zu denen sich aber auch abstrakte Kreidezeichnungen gesellen, welche die Inspiration durch die Rügener Landschaft nicht einmal von fern mehr erahnen lassen. Entdecken lässt sich auch die Malerin Käthe Loewenthal (1872 – 1943; das im Katalog angegebene Geburtsdatum ist möglicherweise falsch und müsste in 1878 korrigiert werden), die Antonia Napp in dem Titel ihres Aufsatzes »Dreifach verschollen« nennt. Das Werk der 1943 in Auschwitz ermordeten Künstlerin wurde in einem Bombenangriff auf Stuttgart fast vollständig vernichtet.

Eines der Prachtstücke der Ausstellung und einen großen Raum ganz beherrschend ist ein mächtiges quadratisches Bild Edvard Munchs, das nackte Männer zeigt, die eben der Ostsee entstiegen sind und nun unbefangen auf den Betrachter zumarschieren. Diese eingefrorene Bewegung wie auch der Umstand, dass links eine Figur angeschnitten ist, lässt an ein Foto als Vorlage denken, und es ist ja auch bekannt, dass Munch wirklich fotografiert hat. In ihrem Beitrag hat Iris Müller-Westermann das Bild sehr schön beschrieben: »Die frontale Komposition reduziert den Abstand des Betrachters zu dem Motiv und macht diesen eher zum Mitbader auf dem Weg zum Wasser als zum Beobachter. Die Dynamik und Unmittelbarkeit der Szene wird durch die vom linken Bildrand angeschnittene Figur ebenso unterstrichen wie durch die von rechts ins Bild schreitenden Männer. […] Wasser und Strand sind mehr noch als die Figuren aus kurzen, diagonal gerichteten Strichen bündelhaft zusammengesetzt. Diese experimentelle, an Cézanne erinnernde Malweise mit ihrer horizontalen Schichtung lässt das Bild flächig, aber doch stark vibrierend erscheinen«.

Munchs Bild wurde als provokant empfunden und in Hamburg, als der Maler es 1909 für eine Ausstellung anbot, abgelehnt; in Helsinki allerdings griff man zu, und dort ist dieses Bild seitdem zu bestaunen. Nach meiner Theorie hängt die größere Liberalität in Skandinavien mit der Sauna zusammen, die ja fast schon zwangsläufig zu solchen Bildern führt. Außerdem kannte Munch Nacktheit auch von Asgaardsstrand am Oslofjord, wo er ein Ferienhaus besaß.

Es ist eine sehr bunte, alles andere als einheitliche Mischung, die in Schwerin präsentiert wird – es handelt sich eben um einen Überblick über die klassische Moderne, und man könnte diese schöne, abwechslungsreiche und anregende Ausstellung geradezu als Einführung in die deutsche Kunst der Jahre 1900 bis 1930 benutzen. Dirk Blübaum, Direktor des Museums, bezeichnete mit sichtlichem Stolz den Katalog als ein mögliches Standardwerk der Zukunft, und angesichts der sehr substantiellen Beiträge mag er damit auch recht bekommen.

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