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Sommerreihe: Skulpturenparks, die man gesehen haben muss. Teil 4: Middelheimmuseum, Antwerpen

Parks und Gärten sind die grünen Lungen der modernen Großstädte. Ob Picknick, Sport oder Hundespaziergang — für all dies geben sie Platz. Aber haben sie all das schon einmal neben einer Skulptur von Auguste Rodin oder François Pompon gemacht? In Antwerpen ist das auf dem Gelände des Middelheimmuseums möglich!

Mitten in der Innenstadt von Antwerpen liegt das Middelheimmuseum. Das Museum für moderne Kunst ist jedoch kein gewöhnliches Museum, sondern ein 27 Hektar großer Skulpturenpark. Abseits vom Großstadtrummel und ohne die üblichen Verhaltensregeln der Museen lassen sich hier über 100 Jahre Kunst- und Skulpturgeschichte bewundern. Und das Ganze für lau! Denn das Gelände ist während seiner Öffnungszeiten frei zugänglich.

Nach einer ersten internationalen Bildhauer-Ausstellung 1950 wurde der damalige Middelheimpark in ein permanentes Frelichtmuseum umgewandelt. In diesen mehr als 50 Jahren Museumsgeschichte ist eine beeindruckende Skulpturen-Sammlung entstanden, die mehrere künstlerische Höhepunkte der letzten 100 Jahre versammelt. Von den ungefähr 400 Werken der Sammlung werden rund 215 im Park ausgestellt. Hinzu kommen verschiedene Sonderausstellungen zeitgenössischer Künstler, sodass auch heutige künstlerische Positionen nicht zu kurz kommen.

Zu den vielen Highlights gehören untern anderem gleich zwei Skulpturen von Auguste Rodin: Die Jünglingsstatur »Bronzezeit« (1876-1880) und sein berühmtes Meisterwerk »Balzac« (1892-1897). Mit einem verträumten, tänzelnden Schritt scheint die »Bronzezeit« voller Anmut sich geradezu natürlich zu bewegen. Doch ist sie auch voller Widersprüche: Während der Körper der eines erwachsenen Mannes ist, hat das Gesicht den Ausdruck eines sorglosen Kindes. Sieht man hier eine verlorene Unschuld oder eine verhängnisvolle Naivität? Ganz anders der »Balzac«, der von keiner luftigen Eleganz und künstlerischen Leichtigkeit ist, sondern durch seine massige Wucht besticht. Rodin hatte mit der Skulptur weniger ein getreues Abbild von Honoré de Balzac schaffen, als vielmehr die Persönlichkeit des Schriftstellers einfangen wollen. Entstanden ist eine Figur, die eingehüllt in einen lose übergeworfenen Umhang ihre Umgebung einnimmt und den Raum füllt. Man hat ganz den Eindruck, einer wirklichen Persönlichkeit gegenüberzustehen. Auch wenn die Skulptur aufgrund der fehlenden Ähnlichkeit mit Balzac von den ursprünglichen Auftraggebern der Société des Gens de Lettres am Ende abgelehnt wurde, zählt sie heute zu den entscheidensten Impulsgebern der modernen Bildhauerkunst.

Voller Dynamik ist dagegen Rik Wouters‘ Skulptur »Het zotte geweld« (Das närrische Gefühl) von 1912. Inmitten einer übermütigen Tanzdrehung scheint der belgische Künstler seine Frau Nel eingefangen zu haben — ein Ausdruck reiner Lebensfreude. Vorbild für die Figur waren die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan und ihr Tanzstil gewesen. François Pompons »Eisbär« (1920) besticht durch seine klaren Formen und Oberflächen. Auf seine Essenz reduziert strahlt der Bär eine zeitlose Eleganz aus, die für die Tierplastik richtungsweisend war. Erhabenheit strahlt auch die Gruppe »König und Königin« (1952-1953) von Henry Moore aus. Dabei stellen sie kein konkretes Herrscherpaar dar, sondern sind von einer universellen Archaik, die Moores Kritik an der für ihn überkommenen Staatsform der Monarchie ausdrückt.

Seltsam fremd und doch im Einklang mit der Umgebung schillert »Yayoi« (2005) von Corey McCorkle zwischen den Bäumen. Die riesige Metallkugel liegt mitten auf dem Weg, wie eine übderdimensionierte Murmel, die ein Kind verloren hat. Auf ihrer glänzenden Oberfläche spiegelen sich die Bäume und das Licht. Zugleich ist sie eine Reminiszenz an die japanische Künstlerin Yayoi Kusama, deren Installationen durch ihre schier endlosen Akkumulationen von Punkten und Kugeln faszinieren.

Gleich am Haupteingang trifft der Besucher auf ein skurriles Szenario: Ein Segelboot, das sich von der Brüstung zum Wasser hinabbeugt. »Misconceivable« (2010) ist ganz in der typischen Manier von Erwin Wurm gestaltet. Scheint sie zunächst nur eine humoristische Karikatur auf den Segelsportzu sein, bleibt der Betrachter dennoch im Unklaren über das Kunstwerk und die dahinterstehenden Absichten. Was ist hier »möglicherweise falsch zu verstehen«? Denn Erwin Wurm spielt nicht nur mit den Grenzen der Bildhauerkunst, sondern auch mit denen der Wirklichkeit. Zurück bleibt eine ratlose Ohnmacht auf Seiten des Betrachters.

Doch das sind nur wenige Highlights der ausgestellten Werke, die sicher sogar einen mehrfachen Besuch im Park lohnen. Und falls es mal regnen sollte: Vor der Witterung geschützt sind im Braempavillon besonders empfindliche oder kleine Skulpturen zu bewundern. Ob Natur- oder Kunstliebhaber, oder beides zugleich, im Middelheimmuseum kommt jeder auf seine Kosten!

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