Buchrezensionen

Spies, Christian: Die Trägheit des Bildes. Bildlichkeit und Zeit zwischen Malerei und Video, Wilhelm Fink Verlag, München 2007.

Der Titel des Buches beinhaltet gewissermaßen eine ketzerische Aussage, gilt es doch in der modernen Kunsttheorie bereits längst als ausgemachte Sache, dass die Geschwindigkeit das Maß aller Dinge sei. Doch Christian Spies, Stipendiat des Graduiertenkollegs »Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung«, der seine Dissertation an der Universität Basel vorgelegt hat, ist nicht gewillt, die gängigen Allgemeinplätze ungeprüft zu übernehmen. Vielmehr wagt er die Auseinandersetzung mit den Mythen des Medienzeitalters und hinterfragt die Hypothesen auf ihre Haltbarkeit.

Die Aufmerksamkeit des Autors gilt dabei einem besonders komplexen Thema, nämlich dem Verhältnis zwischen dem traditionellen, statischen Tafelbild und den bewegten, technisch erzeugten Videobildern und den darin erschlossenen Zeitebenen. In den zahllosen medientheoretischen Positionen zu dieser Frage ging man bislang fast immer von einer strengen Opposition von Malerei und Video aus und betonte die Neubestimmung von bildkünstlerischen Zielsetzungen durch die Nutzung der neuen Bildtechnologien. Nicht selten wurde in diesem Zusammenhang die »Krise des Bilds« beschworen, wenn nicht gar das Ende der Kunst verkündet.

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Spies hingegen will die radikale Polarisierung zwischen »traditionellem« und »neuem« Bild so nicht gelten lassen. Weder der veränderte Status bildlicher Simulationsformen, noch die technologische Basis des elektromagnetischen Signals oder des binären Codes allein wären hinreichende Merkmale, die zwangsläufig zu dem häufig beschworenen Bruch zwischen den Bildern führen müssten. Zumal, da sich ein Gutteil der technischen Abläufe für das menschliche Auge unsichtbar, beziehungsweise jenseits der Wahrnehmungsschwelle abspielen würde.

Was herkömmliche und technisch erzeugte Bilder hingegen verbindet, ist ihre Eigenschaft der Sichtbarkeit. Auch die elektronischen und digitalen Bewegtbilder präsentieren sich dem Betrachter gegenüber zuallererst als sichtbare Ereignisse und sprechen damit dieselben Wahrnehmungsbedingungen an, die auch für das traditionelle Bild von Bedeutung sind. So konstatiert Spies anstelle des »epochalen Bruchs« eine unmittelbare Kontinuität von Bildlichkeit und der damit verbundenen Zeitlichkeit. Zwar soll der Unterschied zwischen statischen und bewegten Bildern damit nicht bestritten werden, jedoch handelt es sich hierbei nicht um verschiedenartige Kategorien, sondern um graduelle Veränderungen und Abstufungen.

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Für Spies spielt sich die Wahrnehmung des Bildes auf unterschiedlichen Zeitebenen ab, die zwischen Simultaneität und Sukzessivität pendeln. Letzere sind jedoch nicht als trennscharfe Merkmale zwischen den medialen Bildgattungen zu verstehen, sondern sie treffen vielmehr in jedem Bild, in unterschiedlicher Gewichtung, aufeinander.

Aus den Dissonanzen zwischen den Zeitebenen ergeben sich schließlich Interferenzen: Prozessuale Abläufe können sich verzögern, ebenso wie aus dem vermeintlichen Stillstand der Objekte plötzlich Bewegung oder Sukzession entsteht. Diese Überlagerungen produzieren eine Art Widerständigkeit, die Spies als »Trägheit des Bildes« bezeichnet. So wie die Gesetze der Trägheit die Rezeption eines Gemäldes maßgeblich mitbestimmen, so unterlaufen sie auch die Vorstellung von der ungefilterten Wiedergabe der Realität durch Film und Videoaufnahmen.

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Inhaltlich konzentriert sich der Autor auf Beispiele der modernen amerikanischen Kunst der 1950er und 1960er Jahre. Anhand der abstrakten Malerei Jackson Pollocks, Barnett Newmans und Frank Stellas, sowie einiger früher Künstlervideos von Peter Campus, Bruce Nauman und Nam June Paik verweist er auf die Parallelen und Wahlverwandtschaften zwischen den Bildgattungen. Insbesondere hebt er hervor, dass die Anfänge der Videokunst unabdingbar mit den vorangegangenen Kunstdebatten verknüpft sind und direkt darauf rekurrieren.

Auch wenn der Begriff der Trägheit am Ende ein wenig vage bleibt: alles in allem stellt das Buch einen interessanten, anspruchsvollen Diskussionsbeitrag zur zeitgenössischen Medientheorie dar, bietet informative Rückblicke in den Diskurs der amerikanischen Moderne und lenkt den Blick auf neue Perspektiven in der Rezeption und der Analyse von Videobildern.

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