Buchrezensionen

Stefan Fischer: Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch, Reclam Verlag 2016

Vor drei Jahren hat Stefan Fischer im Taschen-Verlag einen voluminösen Prachtband über Hieronymus Bosch vorgelegt, der sowohl dank seiner präzisen Interpretationen als auch wegen der Qualität seiner Abbildungen überzeugte, und jetzt folgt ein zweites, vergleichsweise schlankes, aber dafür textlastiges Werk über den populären Künstler. Stefan Diebitz hat das empfehlenswerte Buch gelesen.

Über kaum einen Maler der Geschichte wurde so viel gerätselt wie über Hieronymus Bosch. Seine vielfigurigen Triptychen mit den Drolerien, den bizarren Teufelsgestalten, zusammengesetzten Monstern und Fantasiepflanzen haben nicht allein Kunsthistoriker, sondern ein breites Publikum über Jahrzehnte hinweg intensiv beschäftigt. Seit 1947, als Wilhelm Fraenger seine Monografie »Das tausendjährige Reich« veröffentlicht hatte,
galt Bosch als Anhänger einer obskuren Sekte, und seine Bilder schienen Ausdruck einer kryptischen Theologie zu sein, die sich nicht mit der offiziellen Dogmatik vertrug. Diese These war offensichtlich falsch, aber eben auch spannend zu lesen und bestimmte über lange Zeit das Boschbild eines breiten Publikums.

Fischer deutet den großen Maler des ausgehenden Mittelalters ganz anders als Fraenger, dessen Grundthese seit langem abgelehnt wird. Bosch war ein Kind seiner Zeit und hing keinesfalls einer obskuren Sekte an, sondern war als ein wohlhabender Bürger in die obere Gesellschaft seiner Heimatstadt s’Hertogenbosch fest integriert; es scheint, dass er ein asketisch getöntes Reformchristentum vertrat, das so wenig sektiererisch war, dass seine Bilder sogar vom katholischsten aller Höfe geschätzt wurden, jenem in Madrid.

Bosch lebte im ausgehenden Mittelalter und erlebte so die Anfänge eines christlich geprägten Humanismus mit seinen Reformbewegungen, die sich noch ganz innerhalb der Kirche bewegten. Viele Bilder Boschs sind nicht allein christlich, sondern stellen das Leben von Eremiten und ihre Askese in den Mittelpunkt. Das ist einer der Gründe, warum man eher von ihrer moralischen als von ihrer religiösen Bedeutung sprechen sollte.

Die scharfe Satire, die viele seiner Werke bis in ihre letzten Winkel prägt, betraf ja nicht etwa religiöse Lehrsätze, sondern ein falsches, nämlich sündhaftes oder gar teuflisches Verhalten. Boschs Gemälde waren (und sind auch für uns?) Moralpredigten, und es ist schon ziemlich merkwürdig, dass ausgerechnet ein aus heutiger Sicht überstrenger Moralismus in Zeiten einer alles umfassenden Permissivität so populär werden konnte. Mehr hätte man diesen Maler unmöglich missverstehen können.

Boschs Kunst wird von Fischer als »grotesker Realismus« klassifiziert und zusammen mit dem Werk Pieter Bruegels in eine Kunstrichtung eingeordnet, »die weder klassisch-antikisch war noch sich den Prinzipien Harmonie, Monumentalität und Illusionismus verschrieben hatte.« Aber ästhetische Gesichtspunkte spielen in dem Buch Fischers eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, auch wenn er sowohl handwerkliche Fragen (Unterzeichnung, Farbgebung) wie auch ästhetische (wie bei der Gestaltung der Figuren) wiederholt anspricht. Und immer wieder beschäftigt er sich mit den Entwürfen für einzelne Gestalten und deren mögliche Quellen.

Aber zentral für Fischers Sicht auf Leben und Werk des großen Meisters ist seine genaue Kenntnis der spätmittelalterlichen Literatur und Geisteswelt, insbesondere auch der Sprichwörter oder des Alltags. So ist ein großer Teil seiner Methode die eines Historikers, denn »Malerei war keine Kunst des persönlichen Ausdrucks, [sondern] Kunst war das Wissen und die Beherrschung von Regeln.« Die Beschreibung und Erklärung dieser Regeln macht einen wesentlichen Teil des Buches aus.

Dieses Vorgehen Fischers bewährt sich eigentlich auf jeder Seite seines Buches, denn ohne den von ihm gezeichneten kulturgeschichtlichen Hintergrund ist man verloren und kann kaum etwas in und von den Bildern verstehen. Allerdings erklären sich manche Details selbst, wenn man erst einmal das Prinzip ihrer Entstehung verstanden hat. Das gilt insbesondere für die disharmonisch zusammengesetzten Figuren, für die Kopffüßler oder Baummenschen, deren Teuflisches eben in der Willkür und Disproportionalität ihrer Gestalten liegt.

Fischer spricht einmal von der »Kunst der Kombinatorik«, ein anderes Mal von dem »Prinzip Hybridität«, mit dem Bosch auch allergrößten Einfluss auf die ihm folgenden Malergenerationen ausüben sollte – eine Ausstellung in Hamburg hat unter dem Titel »Verkehrte Welt« erst in diesem Sommer eben diese Tradition vorgestellt und gezeigt, wie groß die Bedeutung Hieronymus Boschs für die Maler des 16. Jahrhunderts gewesen ist. Niemand wusste besser als er, wie man alptraumhafte Gestalten zusammensetzen konnte; niemand zeigte hier mehr Fantasie; und so lernten sie alle von ihm und beriefen sich auf ihn.

Das »Hybride bei Bosch« darf nicht etwa als »neuzeitlich oder gar modern und surreal angesehen« werden, wie Fischer betont, sondern ist ein traditionelles christliches Motiv, mit dem sich Bosch – wenngleich virtuoser und handwerklich gediegener als seine Kollegen – auf dem Boden seiner Zeit bewegte. Das Wort »Monster« leitet sich von dem lateinischen »monstrare« her, das Zeigen bedeutet, und so kam diesen Mischwesen von vornherein eine moralische Bedeutung zu – das Monster, das hybride Wesen, die grotesk zusammengesetzte Kreatur war in ihrer Hässlichkeit ein moralisches Symbol, ein Mahnzeichen, Ausdruck des Bösen. Ihm stand die körperliche Wohlgestalt von Jesus und den Heiligen gegenüber, die mit ihrer seelischen Schönheit korrespondierte oder sich als ihr Ausdruck darstellte.

Ist es paradox oder doch eher logisch, dass die Moral in einer unglaublich rohen und brutalen Zeit eine derart große Rolle spielte? In vieler Hinsicht – man denke nur an die blutigen Kriege oder an die extrem grausamen Körperstrafen – war die beginnende Neuzeit ein einziger Alptraum, deren Brutalität sich nicht zuletzt auch in der Sprache der Dichtung, den übermäßig scharfen Polemiken und in wüsten, sehr häufig auch karikierenden Bildern ausdrückte, und nur zu viele der Details seiner Gemälde brauchte sich Bosch nicht auszudenken, denn er hatte die Hinrichtungsstätten mit ihren Galgen und aufgestellten Rädern vor einem blutigen Himmel ebenso vor Augen wie die Folgen der Kriege.

Es ist die fehlende Harmonie, welche die hybriden Gestalten auszeichnet, aber Harmonie spielt in den Werken Boschs auch sonst nur eine untergeordnete Rolle. »Die Asymmetrie mit ihrem Ungleichgewicht an Verdammten und Auserwählten«, schreibt Fischer, »ist in der Tafelmalerei bis in die Zeit Hieronymus Boschs wohl einzigartig.« Viele seiner Triptychen, die stets wie ein Text von links nach rechts gelesen werden wollen, wirken unausgewogen – schon deshalb, weil der rechte Seitenflügel oft in ein spektakuläres flammendes Rot getaucht ist, einer wirklichen Höllenfarbe. Fischer sieht eine »bewusste Entscheidung Boschs für ein anderes, antiklassisches und groteskes Kunstkonzept«, das ihn nur zu deutlich sowohl von den großen Meistern der italienischen Renaissance wie auch von Cranach oder Dürer unterschied und unterscheidet.

Fischers Monografie ist nicht allein spannend zu lesen, sondern dazu sehr lehrreich – vielleicht sogar noch mehr in kulturhistorischer als in kunstgeschichtlicher Hinsicht, auch wenn es um das gewaltige Werk eines bedeutenden Malers geht. Wer dieses Buch gelesen hat, der weiß nicht allein viel über Bosch, sondern auch über seine Zeit wie über das Jahrhundert, das ihm folgte, denn den Abschluss des Bandes bildet ein instruktives Kapitel über die Rezeption seines Werks bzw. den Vorbildcharakter seiner Arbeitsweise:
»Kunst im Namen Boschs«.

Obwohl die Illustrationen keinesfalls schwach sind, besitzen sie natürlich längst nicht die Qualität und vor allem nicht die Größe der Taschen-Ausgabe, und weil es ja um sehr detailreiche Werke geht, können besonders die Abbildungen der Triptychen bei weitem nicht ausreichen. Gelegentlich muss man sich diese also woanders besorgen, wenn man den Überlegungen und Hinweisen Fischers folgen will.

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