Buchrezensionen

Stefan Hoppe, Matthias Müller, Norbert Nußbaum (Hrsg.): Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft. Schnell & Steiner, Regensburg 2008

Die neuesten Interpretationsansätze zur Kunstproduktion der nordischen Renaissance werden im vorliegenden Sammelband umfassend vorgestellt.

Das Problem ist so vertrackt wie altbekannt: Die Kunstproduktion der nordischen Renaissance will in keine rechte Schublade passen. Hartnäckig mischt sich Altväterlich-Gotisches mit modernen italienischen Stilformen und spottet so den Epochengrenzen Hohn. In der älteren Kunstgeschichtsschreibung galt dieses Phänomen als Manko, man tadelte das Fehlen einer einheitlichen stilgeschichtlichen Entwicklungslogik und geißelte die vermeintliche Rückschrittlichkeit mancher Kunstregionen. Mittlerweile ist man jedoch in der Forschung zu einer differenzierteren Sichtweise gelangt, und der vorliegende Sammelband gibt einen interessanten Einblick in die neuesten Interpretationsansätze.

Es handelt sich hierbei um die nunmehr veröffentlichten Beiträge des Zweiten Sigurd Greven – Kolloquiums, das im Jahr 2004 an der Universität zu Köln unter der Beteiligung von deutschen und internationalen Fachleuten abgehalten wurde. Im Zentrum der kunsthistorischen Debatte standen einerseits die Problematik der Epochenbegriffe, andererseits die Suche nach neuen Wegen einer inhaltlichen Auslegung der formalen Kunstphänomene. Genauer gesagt geht es um die nicht unerhebliche Frage, ob man in dieser Periode von einer Kohärenz von Form und Inhalt sprechen könnte.

Naturgemäß lässt sich eine so komplexe Fragestellung im Rahmen einer Fachtagung weder mit einheitlicher Stimme analysieren, noch im vollen Umfang ausloten. Doch die Aufsätze, die den Verlauf des Kolloquiums dokumentieren, lassen die Rolle und die Rezeption der bildenden Künste im 16. und 17. Jahrhundert in einem neuen Licht erscheinen.

Untersucht wurden, über den Zeitraum von zwei Jahrhunderten, Beispiele der Malerei und der Architektur von Schauplätzen aus Deutschland, den britischen Inseln und den Niederlanden. Bei allen regionalen und temporalen Unterschieden sind sich die Expertinnen und Experten in einer Erkenntnis einig: die Parallelexistenzen der Stile sind weder auf Willkür zurückzuführen, noch durch Unwissenheit oder gar durch künstlerisches Unvermögen verschuldet. Vielmehr verstanden die Künstler und ihr Publikum den bewusst bedienten Stilpluralismus als gestalterisches System nach festen, typologischen und semantischen Regeln. Vieles spricht dafür, dass die Wahl des Stils bereits als Teil der inhaltlichen Aussage gesehen wurde. Der Rückgriff auf die Vergangenheit als Hinweis auf die Historie war demnach kein blinder Traditionalismus, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Formenrepertoires.

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Doch könnte man aus diesem Grund von einer eigenen Stil-Ikonographie sprechen? Die einzelnen Aufsätze der Publikation machen deutlich, dass die Sprache der Stile eine vielfältige war. Sie konnte ja nach Region oder Auftraggeber, politischem oder religiösem Hintergrund völlig unterschiedliche Bedeutungen annehmen, ohne dass dies zwangsläufig zu Widersprüchen geführt hätte.

Die Herausgeber des Bandes, Stephan Hoppe, Matthias Müller und Norbert Nußbaum, gehen dabei von der Annahme aus, dass Künstler, Auftraggeber und Rezipienten seit dem 15. Jahrhundert in ein höchst komplexes Diskussionsgeflecht eingebunden waren. Am Material der Antike geschult, waren sie in der Lage, Fragen des Stils in übergreifender Perspektive „fast in der Weise zu diskutieren, wie wir das heute gewohnt sind“.

Und so erfährt man bei der Lektüre der Beiträge viel Erhellendes: über die Rolle der Architektur als Trägerin einer selbstbewussten Identität ihrer Bauherren, über Antikenrezeption, die sich je nach Perspektive der römisch-klassischen Antike, aber eben auch den eigenen, mittelalterlichen Wurzeln zuwenden konnte, über die heimliche Konkurrenz zwischen der deutschen und der italienischen Manier, die nicht frei von politischen Implikationen war.

Doch auch jenseits der Rivalität der Kulturkreise waren Künstlerpersönlichkeiten wie Jan Gossaert oder Hendrick Goltzius stolz darauf, dass sie mehrere Stile gleichzeitig beherrschten und dies in ihrer Kunst zu demonstrieren vermochten. Wolfgang Brückle geht in seinem Beitrag sogar so weit, von einer „Postmoderne um 1600“ zu sprechen, was allerdings nicht streng wörtlich genommen werden sollte. Was bleibt, ist das Bild einer Epoche, die sich in ihren künstlerischen Aussagen weitaus vielschichtiger und differenzierter ausdrückte, als es uns die gängigen und liebgewonnenen Klischees weismachen wollen.

Verborgen bleibt hingegen, wer die kompetenten Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge – einmal abgesehen von ihren Namen– eigentlich sind. Vermutlich aus Versehen hat man auf die weiteren Personalien verzichtet, die üblicherweise bei Publikationen dieser Art angefügt sind. Was den Wert der wissenschaftlichen Aussagen natürlich in keiner Weise schmälert.

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