Buchrezensionen, Rezensionen

Stephanie Marchal: Gustave Courbet in seinen Selbstdarstellungen, Wilhelm Fink Verlag 2012

Wie wenige Künstler vor ihm ist uns Gustave Courbet, der große Realist des 19. Jahrhunderts, auch heute noch mit seinen Selbstdarstellungen präsent. Seine Selbstporträts erfreuen sich nicht allein bis heute einer erheblichen Popularität, sondern waren meist auch programmatisch angelegt und sind schon deshalb einer näheren Betrachtung wert. In einer weit ausholenden Argumentation würdigt Stephanie Marchal die Selbstbildnisse des großen Franzosen. Stefan Diebitz hat das wichtige Buch für PKG gelesen.

Gustave Courbet (1819–1877) schuf zumindest zwei Bilder, die wohl jeder vor Augen hat, wenn er an die Selbstdarstellung des großen Realisten denkt. Das eine ist »Die Begegnung«, das andere »Das Atelier des Künstlers«, beide Mitte der fünfziger Jahre geschaffen. In der »Begegnung« trifft Courbet in der freien Natur auf seinen Mäzen und dessen Diener. Das großformatige Bild stellt ihn selbst als einen bedeutenden Menschen dar, nicht etwa seinen Gönner, dessen Gunst ihm doch erstmals ein sorgenfreies Leben ermöglichte. Man versteht spontan, warum Marchal von »dargestellter Megalomanie« spricht, denn an übertriebener Bescheidenheit hat dieser Maler spürbar nicht gelitten, und man glaubt unbesehen, dass seine Art der Selbstdarstellung häufig bespottet und nur zu gern karikiert wurde – ein Vorgang, der im Abschlusskapitel der Arbeit ausführlich dargestellt und kommentiert wird.

In »Das Atelier des Künstlers« dagegen sieht man ihn, wie er vor einem fiktiven Publikum einen Akt malt. Schon dank seiner erstaunlichen Größe (359 x 598 cm) zeugt auch dieses Gemälde von Courbets Selbstgefühl, aber darüber hinaus besitzt es eine große programmatische Bedeutung und wird von Marchal in alle Richtungen ausgelotet, wobei sie sich hier wie bei den anderen Selbstbildnissen auf wissenschaftliche Vorarbeiten von erheblichem Gewicht berufen kann. Trotz der fortgeschrittenen Forschung gelingt es ihr aber immer wieder, ihre eigenen Akzente zu setzen und tatsächlich Neues zu finden.

Neben diesen beiden Bildern finden sich aber noch zahlreiche andere Selbstporträts, von denen viele berühmt wurden und die fast ausnahmslos eine erstaunliche Tiefe und eine detaillierte Ausdeutung durch die sehr vielseitig gebildete Autorin erlauben. Marchal berücksichtigt nicht allein die Kunstgeschichte seit Rembrandt, sondern auch den Briefwechsel Courbets, mögliche biblische Bezüge, immer wieder die zeitgenössische Literatur und endlich die politischen Verhältnisse, in welche dieser Maler Zeit seines Lebens verstrickt war.

Die beiden ersten Kapitel stellen die frühen Selbstbildnisse und sodann, quasi als Abschluss von Courbets erster Schaffensphase, die beiden genannten programmatischen Bilder vor. Alle diese Bilder sind als ein Teil der Selbstfindung des Malers zu verstehen, dienen aber auch seiner Selbstinszenierung als proletarisches Kraftgenie: dazu zählt etwa seine Pfeife, die im Frankreich der damaligen Zeit eher ländlich anmutete und die er 1858 sogar allein malte, wodurch sie zu einer Art Synekdoche wurde – weil das Publikum sie von vielen seiner Selbstporträts kannte, war die Pfeife zu seinem Markenzeichen geworden, dass ganz allein für ihn als Person stehen konnte.

Von den zahlreichen Selbstbildnissen der ersten Jahre sei noch »L’Homme blessé« hervorgehoben. Das Bild zeigt Courbet als einen Mittzwanziger, der mit geschlossenen Augen an einen Baum gelehnt ist – schlafend oder bereits tot, man weiß es nicht, doch macht es die Autorin wahrscheinlich, dass der Verletzte als noch lebend dargestellt wird.

Das Interessante an diesem Bild ist die mehrmalige Überarbeitung und damit verbunden die Umkehrung der Bildaussage. Ursprünglich sollte dieses Blatt nämlich ein gemeinsam schlummerndes Liebespaar zeigen, die junge Frau in den Arm ihres Freundes geschmiegt, aber die Übermalung veränderte den Charakter des Bildes vollkommen. In seinem endgültigen Zustand (wenn man seine Herstellungsgeschichte kennt) muss das Blatt als ein »vergangenes Liebesglück bezeugendes Gemälde« interpretiert werden. So lässt sich, resümiert Marchal, »die Überführung der zweiten in die finale Komposition als symbolischer Akt begreifen, mittels dessen Courbet eine verstrichene Liebe aus seiner Erinnerung zu verbannen und sich so von ihr zu verabschieden versucht haben könnte.« Man kann die Bilder also gar nicht in ihrer ganzen Tiefe verstehen, wenn man nicht die Biografie des Malers kennt.

»Vom jugendlich-impulsiven, existentiell verunsicherten Aufbegehrer auf der Suche nach einer sozialen wie künstlerischen Haltung vollzieht sich ein Wandel hin zum entromantisierten Atelierbild und seiner Darstellung als ‚homme libre’«, so fasst Marchal die Werkgeschichte bis zu diesem Punkt zusammen. Courbet war ein politischer Mensch und immer auch ein politischer Maler. 1871 war er auf eine (allerdings schwer zu durchschauende, bis heute nicht geklärte) Weise in den Sturz und die Zerstörung der Vendômesäule verwickelt, für die er nicht allein ins Gefängnis einrücken musste (das gab natürlich wieder ein Bild…), sondern für die er später sogar die utopische Summe von 335.000 Francs Schadensersatz leisten sollte – ein Urteil, das wohl mit für seinen frühen Tod verantwortlich war, wie es die Autorin wahrscheinlich macht.

In den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens schuf Courbet weniger Selbstbildnisse, aber seinem Charakter entsprechend sind seine Gemälde gleichwohl zu seiner Selbstdarstellung zu rechnen. Marchal spricht in einer Kapitelüberschrift von »selbstreferentiellen Gestaltideen«, zu denen etwa die Pfeife gehört. Es waren aber auch Fische oder ein Baum, die dieser Art von indirekter Selbstdarstellung und –reflexion dienten. Oder der pastose Farbauftrag, der ihn von den akademischen Glattmalern unterscheiden sollte. Endlich werden in je eigenen Kapiteln die Fotografien des Meisters und seine Karikaturen vorgestellt – wohlgemerkt Karikaturen, die nicht er selbst gezeichnet hatte, sondern die seinem raumgreifenden, dröhnenden und kraftmeierischen Auftreten galten. Courbet akzeptierte diese Karikaturen nur zu gerne, ja provozierte sie sogar, denn als einer der ersten modernen, sich selbst vermarktenden Künstler wusste er das öffentliche Bild seiner selbst wenn nicht zu kontrollieren, so doch meist in die erwünschte Richtung zu lenken.

Hier ist nicht der Raum, auf alle von Stephanie Marchal angesprochenen Punkte einzugehen, zum Beispiel noch auf malerische Aspekte wie die von ihm gelegentlich forcierte Nahsichtigkeit seiner Bilder. Marchals Arbeit ist enorm perspektivenreich und argumentiert immer ausgewogen und sorgfältig. Die zwar zahlreichen, größtenteils kleinen und bis auf wenige Ausnahmen schwarzweißen Abbildungen allerdings sind der einzige Grund, dieses Buch nicht zu kaufen.

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