Ausstellungsbesprechungen

Steve McCurry – Im Fluss der Zeit. Fotografien aus Asien 1980 - 2011, Kunstmuseum Wolfsburg, bis 16. Juni 2013

Steve McCurry erlangte 1979 mit Fotografien aus der Konfliktregion an der pakistanischen Grenze und der inzwischen zur Ikone gewordenen Aufnahme des afghanischen Mädchens Sharbat Gula - entstanden 1985 - weltweite Berühmtheit. Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert nun erstmals in Deutschland einen umfassenden Überblick über das farbgewaltige Œuvre des amerikanischen Fotografen. Bettina Maria Brosowsky hat es sich angeschaut.

Der Fotograf Steve McCurry erfüllt so manches Klischee, das man von einem sympathischen US-Amerikaner haben kann. Der 1950 in Philadelphia Geborene scheint eine pragmatische Frohnatur zu sein, gibt als Motivation für seine Berufswahl den Spaß am Reisen an, und, dass er angesichts der Kürze eines Lebens die menschliche Existenz beobachten wolle. Studiert hat Steve McCurry einmal Filmwissenschaften und Geschichte. Aber die handlichere Apparatur der Fotografie kam seiner Spontaneität näher, er fühle sich in ihr freier, könne sich so leichter in eine Situation verlieren – besonders das milde Licht sei für ihn perfekt, Schnee oder graues Wetter.

Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt erstmals in Deutschland im musealen Rahmen einen Überblick seiner Arbeiten aus den Jahren 1980 bis 2010. Es stellt McCurry damit in eine Reihe von Protagonisten der Fotografiegeschichte wie Henri Cartier-Bresson, Brassaï oder Lee Miller, denen das Haus bereits Personalen widmete. Steve McCurry ist jedoch der erste lebende und aktuell praktizierende Fotograf des Reigens. Seine Mitgliedschaft – seit 1986 – in der Fotografenagentur Magnum, die Cartier-Bresson und Robert Capa 1947 mitbegründeten, soll seinen Anspruch, einem ethisch ambitionierten Bildjournalismus gerecht zu werden, belegen. Die Ausstellung konzentriert sich auf rund 115 Bilder aus Asien, das McCurry geradezu obsessiv bereist, und zeigt unter anderem seine ikonisch gewordenen frühen Aufnahmen aus Afghanistan, erstellt in den Jahren unmittelbar nach der sowjetischen Invasion 1979.

Ein überwältigend farbenfroher Bilderrausch erwartet den Besucher. Die Fotos sind chronologisch, in stimmungsvoll dunkel gehaltenen Ausstellungskabinetten gehängt, eine perfekte Lichtdramaturgie lässt sie fast wie Leuchtkästen brillieren. Außer den notwendigen Bilddaten gibt es jedoch kaum weitere Erläuterungen, geschweige denn, die kommentierende Aufbereitung in einer hauseigenen Publikation. Stattdessen liegen einige üppige Bildbände des Phaidon-Verlages aus, der wohl recht weitreichend über McCurrys Bildrechte verfügt. Damit verliert die vorgetragene kuratorische Absicht, Steve McCurry in seiner persönlichen Haltung als Dokumentar- und Kriegsfotografen vorzustellen, an Substanz. Es scheint fast, als ob die Ausstellung vor der Ohnmacht des eigenen inhaltlichen Zugriffs kapituliert und nun geradezu in der künstlerischen Bildauffassung und dem wagemutigen Einsatz des Fotoreporters McCurry schwelgt – in der Tat beides bemerkenswerte Qualitäten.

Steve McCurry bescherte 1980 der Weltöffentlichkeit die allerersten Fotos aus dem sowjetisch besetzen Afghanistan. Als Mujaheddin gewandet schloss er sich den Widerstandkämpfern an, nähte die belichteten Filmrollen in seine Kleidung ein und schmuggelte sie außer Landes. Seinen reduziert grafischen Schwarz-Weiß-Bildern folgten atmosphärische Farbfotografien, legendär das Porträt des afghanischen Mädchens Sharbat Gula in einem pakistanischen Flüchtlingslager, das 1985 als Titelbild der Zeitschrift National Geographic um die Welt ging. Der anonyme, von der Weltöffentlichkeit gern verdrängte Krieg bekam durch sie ein eindringliches Gesicht: ihr ängstlicher Blick, das zerschlissene leuchtendrote Gewand aber auch ihre unverletzte Würde zeugten von erlebter Gewalt ebenso wie von der widerständischen Kraft menschlicher Selbstbehauptung.

Aber diese Bildikone kolportierte auch ein folkloristisches Asienbild westlicher Perspektive, wie es weitere Porträts zerfurchter Antlitze aus Tibet, von Bettlern, Schuhputzerjungs oder hennagefärbten Rauschelbärten zementieren: mögen die Lebensumstände auch noch so prekär sein, pittoreske Persönlichkeiten liefern sie allemal, die in beseeltem Gleichmut ihr Dasein zu akzeptieren scheinen. Diese Tendenz zur ästhetisierenden, auch spektakulär angelegten Fotografie zieht sich ebenso durch die vielen Landschafts- und Situationsfotos. Asien habe ihn gelehrt, »in Licht zu sehen und zu schreiben«, sagt McCurry, seine geistigen Ahnherren Cartier-Bresson und Capa lieferten ihm die Geduld für das Aufspüren des entscheidenden Augenblicks.

Lediglich eine Handvoll Fotografien aus den Zweiten Golfkrieg 1991 und aus Afghanistan um 1995 sollen den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung, die Kriegsberichterstattung McCurrys, belegen. Sie verlieren sich jedoch in künstlerischer Aufladung, und wenn gar die Hand eines Gefallenen aus einer kuwaitischen Öllache ragt, grenzt das an simples Emotionsdesign, gar Propaganda. Spätestens hier wäre eine Thematisierung der Arbeitsweise McCurrys notwendig geworden. Kriegsberichterstattung beinhaltet Aufklärerisches wie auch Voyeurismus gleichermaßen. Robert Capa hielt bereits die Faktizität für zweitrangig, er wollte der Welt »die tatsächliche Wahrheit der Sache« vermitteln – als Kriegsgegner, denn: »Im Krieg muss du jemanden hassen oder lieben. Du musst Stellung beziehen, sonst hältst du nicht aus, was um dich herum passiert«. Wie steht es also bei McCurry mit der Augenzeugenschaft seiner Bilder, die kraft massenmedialer Verbreitung unmittelbar an der Geschichtsschreibung mitwirken? Es ist auch nicht nachvollziehbar– noch von McCurry erklärt– weshalb spätere Phasen des Afghanistankrieges, ab 2001 ja immerhin mit massiver US-amerikanischer (und auch deutscher) Beteiligung geführt, nicht vertreten sind oder nicht mehr verfolgt wurden.

Das Kunstmuseum Wolfsburg pflegt seit langem das Konzept, auch Disziplinen angewandter Kunst wie Mode, Wohnkultur oder eben Auftragsfotografie im musealen Kontext zu präsentieren und damit einen starren Kunstbegriff versuchsweise zu erweitern. Das ergibt ein anregendes Ausstellungsprogramm. Es entbindet aber nicht von der professionellen Selbstverpflichtung eines Museums, die künstlerische Relevanz und die ethische Disposition eines Werkes erklären zu wollen, jenseits seiner ästhetischen Ereignishaftigkeit.

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