Buchrezensionen

Susanne K. Langer: Fühlen und Form. Eine Theorie der Kunst. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christiana Goldmann und Christian Grüny. Mit einer Einleitung, Literaturverzeichnis und Registern herausgegeben von Christian Grüny. Felix Meiner 2018

In Deutschland noch ganz unbekannt ist Susanne K. Langers Philosophie der Kunst, die jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt. Stefan Diebitz stellt ein gedankenreiches und anregendes Buch vor.

Susanne K. Langer (1895 – 1985) hat ein vielseitiges Lebenswerk vorgelegt. Zunächst forschte sie als Schülerin Alfred North Whiteheads in Harvard auf dem Gebiet der symbolischen Logik, um sich später unter dem Einfluss Ernst Cassirers und dessen dreibändiger »Philosophie der symbolischen Formen« der Philosophie der Kunst zuzuwenden. Dem Andenken Cassirers ist auch dieses 1953 veröffentlichte Buch gewidmet. Es beschäftigt sich mit allen Künsten, aber am wichtigsten war der Autorin offensichtlich die Musik, was man schon an dem Titel des ersten ihrer kunstphilosophischen Bücher sehen kann, das sie »Philosophy in a New Key« nannte (»Philosophie in einer neuen Tonart«). In »Fühlen und Form« schreibt sie ebenfalls ausführlich über die Musik, vergisst aber auch die anderen Künste nicht, denn es geht ihr ausdrücklich darum, deren Gemeinsames zu entdecken und zu benennen. Deshalb finden sich Kapitel zu sämtlichen Gebieten: Bildende Kunst, Architektur, Literatur und sogar Tanz und Film. Fotografie allerdings fehlt.

Langer fragt, was Kunst insgesamt so wichtig für uns Menschen macht. Die Antwort findet sie aber nicht in den besonderen Erlebnissen, die von Kunst hervorgerufen werden. Vielmehr bedürfen Kunstwerke einer ganz besonderen Einstellung, denn sie heben sich »in toto« von ihrer Umgebung ab und machen dadurch von sich aus deutlich, dass sie etwas bedeuten: Dank dieser Bedeutsamkeit ist die Kunst etwas radikal anderes, und sie ist es, weil und wenn sie Form besitzt, wenn sie geformt, durchgeformt, durchgebildet ist. Nur so kann etwas zu einem »präsentativen Symbol« werden. »Kunst«, schreibt Langer, »ist das Erschaffen von Formen, die menschliches Fühlen symbolisieren.« Diese Formen sind Symbole, die Langer in der Nachfolge Cassirers ausdrücklich von allen anderen sprachlichen Ausdrücken unterscheidet. Die Kunst spricht etwas aus, das sich anders nicht sagen oder darstellen, das sich also nicht in eine diskursive Sprache übersetzen lässt.

Langers Vokabular ist in mancher Hinsicht problematisch, weil doppeldeutig und entsprechend missverständlich – darauf geht auch der Übersetzer und Herausgeber Christian Grüny in seinem instruktiven Vorwort ein. Besonders fragwürdig ist schon der Titel, sind aber auch ihre Hauptbegriffe. Was meint »expression«? Im letzten Kapitel gibt es eine Stelle, in der »expressiv« synonym zu »schön« verwendet wird. Gleich anfangs heißt es, Ausdruck sei »die Darstellung einer Idee durch ein artikuliertes Symbol«. Übersetzte man dieses Wort, wie der Buchtitel es nahelegt, mit »Gefühlsausdruck«, so würde das der Intention der Autorin direkt widersprechen, denn für sie handelt es sich um ein ganz objektives Phänomen, das sich bei jedem wirklichen Kunstwerk findet. Es ist weder Ausdruck einer einzelnen Person und seiner Gemütsverfassung, noch bezieht es sich überhaupt auf etwas außerhalb seiner selbst und ist somit keine Repräsentation. Es ist an sich selbst bedeutsam, weil es eine signifikante Form besitzt.

Entsprechend fragwürdig oder zumindest erklärungsbedürftig ist »feeling«. Was bedeutet es, dem Kunstwerk die Aufgabe zuzusprechen, »das Gefühlsleben zu objektiven«? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Autorin richtig verstanden habe, aber ich würde übersetzen: Kunst ist Darstellung (expression) des Seelenlebens (feeling), wobei das Seelenleben keineswegs allein die Emotionen, sondern vor allem alle Arten von (nicht nur gelegentlich diskursiven) Gedanken und Empfindungen enthält. Es geht um »gestaltetes Fühlen, Lebensrhythmen und Gefühlsformen«. Argumente werden also ebenfalls dargestellt, aber deshalb wäre es aus der Sicht Langers trotzdem grundverkehrt, von irgendeiner Kunst zu sagen, dass sie argumentiere. Allenfalls bringt sie den Anschein eines gedanklichen Prozesses zur Darstellung. In seinem Vorwort spricht der Herausgeber im Zusammenhang mit dem »feeling« William James und dessen »stream of consciousness« an – das zielt wohl auch in diese Richtung.

Ein dritter missverständlicher Begriff ist »illusion«, dessen wörtliche Übersetzung die Argumentation Langers direkt auf den Kopf stellen würde. Illusion als bloße Abbildung der Welt, gar als deren Vortäuschung ist nämlich keineswegs das, was ein Gemälde oder irgendeine andere Kunst nach Langer anstreben sollte. Wahrscheinlich ist »Erscheinung« die beste Übersetzung, und in einer Fußnote nennt Langer Illusion wirklich einmal eine »geschaffene Erscheinung«. Vielleicht könnte man auch von einem Artefakt sprechen? So sagt Langer, dass es in der Literatur darum gehe, »die Erscheinung von Erfahrungen, den Schein gelebter und gefühlter Ereignisse, zu erschaffen und sie so zu organisieren, dass sie eine rein und vollständig erfahrene Realität bilden, ein Stück virtuellen Lebens«. »Diese Illusion von Leben«, schreibt sie nur wenig später, »ist die primäre Illusion jeder poetischen Kunst.« Aus diesen Worten geht wohl deutlich hervor, dass die Übertragung von »illusion« mit »Illusion« ganz verkehrt sein muss und dass der Übersetzer klug daran getan hat, sich in der Mehrheit der Fälle für »Erscheinung« zu entschließen.

»Die lebendige Form ist das unanfechtbare Produkt aller guten Kunst, sei es Malerei, Architektur oder Keramik. Lebendig ist eine solche Form in derselben Weise, in der eine Bordüre oder eine Spirale aus sich selbst heraus wachsen. Sie drückt Leben aus – Gefühl, Wachstum, Bewegung, Emotion und all das, was für die lebendige Existenz charakteristisch ist.« Ganz beiläufig wird hier mit der Bordüre ein dekoratives Element angesprochen und mit der Hilfe ethnologischer Literatur zu zeigen versucht, dass Dekoration als der Ursprung der bildenden Kunst angesehen werden könnte – und Ursprung bedeutet hier, dass es immer noch in der Kunst anwesend und mächtig ist, dass die Kunst ihr nach wie vor entspringt. Wenn Langer damit recht hat, muss man sich fragen, ob die für das 20. Jahrhundert typische Ablehnung des Dekorativen nicht einen schrecklichen Irrweg, vielleicht sogar eine Abkehr von Kunst überhaupt bedeutet. Ähnlich provokant ist ihre (bloß terminologische?) Ehrenrettung der Schönheit. Selbst ein Werk, das grauenhafte Elemente enthält – sie gibt Beispiele –, kann man schön nennen: »Die entstehende Form, das Ganze, ist lebendig und daher schön, so schön, wie Grauenhaftes sein kann«.

Was bedeutet es, von der Vitalität eines Kunstwerks zu sprechen? Das ist ein wichtiges Thema in dem gerade in diesen Tagen viel besprochenen Buch über »Die Liebe zur Malerei« von Isabelle Graw, aber dieser Autorin geht es, wenn sie von Vitalität spricht, einzig und allein um »das enge Band zwischen der Persona des Künstlers und seinem Produkt«. Man mag seinen Augen nicht trauen, aber Graw spricht wirklich und wahrhaftig von dem »Celebrity-Prinzip«, denn sie zielt auf nichts anderes als einzig und allein auf das Ineinander von (pseudo-)künstlerischer Existenz und Kunstwerk. Diese Argumentation ist natürlich wahre Unendlichkeiten von den Ansichten Langers entfernt, die eigentlich zwei verschiedene Aspekte mit dem einen Begriff anspricht.

Zunächst geht es ihr um das Leben der Kunstwerke selbst: »Das Leben in der Kunst ist ein Leben der Formen oder sogar des Raumes selbst.« Ein Beispiel ist die Bordüre, die nicht von ungefähr sehr häufig pflanzliche Motive aufnimmt und so das Wachsen, ja gelegentlich das Wuchern ihrer Elemente veranschaulicht. Für Langer also hat die Vitalität der Kunst nichts, aber auch rein gar nichts mit der Person des Künstlers zu schaffen, sondern für sie ist die Lebendigkeit eine Eigenschaft, die das Kunstwerk selbst durchzieht, zum Beispiel in Gestalt von vielfältigen vitalen Bewegungen: »Gefühl, Wachstum, Bewegung, Emotion und all das, was für die lebendige Existenz charakteristisch ist.« Der Betrachter nimmt diese Emotionen dann unmittelbar wahr, ohne Rückschlüsse, ohne irgendwelche Interpretationen.

Weil sie in diesem Zusammenhang ethnologische und archäologische Befunde heranzieht, muss man Langer die Frage stellen, ob Phänomene wie die Höhlenmalerei, in der doch zweifellos die Welt abgebildet wird, nicht ebenfalls einen Ursprung der Kunst darstellen können. Leider weiß niemand, welche Funktion diese Bilder besaßen oder welche Rolle sie im Leben der Menschen spielten, aber dass sie die reale Welt abbildeten, steht doch wohl außer Zweifel. Andererseits kann man die in Bordüren und Ornamenten wuchernden Pflanzen als Beleg für Langers Argumentation ansehen, auch die merkwürdige, im Buch durch Abbildungen belegte Tatsache, dass weit auseinanderliegende Kulturen hier zu sehr ähnlichen Lösungen fanden.

Langer kennt noch eine zweite Bedeutung der Vitalität der Kunst oder für die Kunst. Manchmal scheint es, dass die Vitalität eine Eigenschaft des Kunstwerks selbst ist, dann wieder (und häufiger) gelangt das Leben in ihm zur Darstellung oder wird symbolisiert. Beispielsweise stellt Musik die »Vielfalt vitaler Erfahrungen« dar, und sie ist deshalb ein »Bild des Lebensflusses«. In ähnlicher Weise ist für Langer das Wesen der Komödie das »menschliche Lebensgefühl«. Es geht in der Kunst überhaupt darum, ein »Symbol des vollkommen genossenen Lebens zu erzeugen«.

Nicht allein wegen dieser Überlegungen könnte man den Verdacht hegen, dass neben Whitehead und Cassirer ein dritter Einfluss mächtig ist: jener der Lebensphilosophie. Langer besaß intime Kenntnisse der deutschen Philosophie und Literatur und hatte auch kurze Zeit in Wien studiert; es könnte also schon sein, dass sie einige Vertreter der Lebensphilosophie gelesen hat. (Und dort hat sie dann auch die floralen Muster der Jugendstilbauten gesehen…)

Keinesfalls bezweifelt werden kann der große Einfluss Ernst Cassirers – seine Philosophie bestimmt die grundsätzliche Konzeption des Buches. »Das künstlerische Symbol als künstlerisches vermittelt Einsicht, es ist nicht Bezugnahme.« Langer unterstellt hier einen historischen Prozess, wie er nach Cassirer (»Substanzbegriff und Funktionsbegriff«) in den Naturwissenschaften stattgefunden hat – einen Prozess der zunehmenden Abstraktion, der den Begriff eines Dings allmählich in den eines relationalen Gefüges umbildete. Von diesem Prozess der Abstraktion geht Langer in allen Teilen dieses Buches aus.

Die Frage, was denn nun eigentlich Kunst sei – und es sind ja nicht nur Spießer, die diese Frage stellen –, war niemals drängender als heute, und schon deshalb allein sollte dieses Buch wichtig sein, denn es diskutiert die Problematik in einer ebenso ernsthaften wie grundsätzlichen Weise. Dabei geht es in allen seinen Teilen von Analysen einzelner Phänomene aus – am Anfang stand mit dem Vorgängerbuch »Philosophy in a New Key« die Untersuchung der Musik –, denn die Generalisierung einzelner Beobachtungen ist nach Langer die hauptsächliche Methode der Philosophie: »Ihre Arbeit besteht in einer ständigen Verallgemeinerung.«

Leider sind die Kapitel, die der bildenden Kunst gewidmet sind, weder die umfangreichsten noch die stärksten des Bandes. Die Autorin war eine sehr musikalische Frau, und dazu verstand sie sehr viel von Literatur und zitiert von den alten Griechen bis hin zu Thomas Mann, kennt nicht allein Dante und Shakespeare, sondern sogar Hans Sachs. Die Fülle ihrer Belege ist ebenso beeindruckend wie die Subtilität ihrer Analysen, die für mich den eigentlichen Reiz des Buches ausmachen. Aber in einer Rezension, die den Gedankengang als Ganzes abbilden sollte, müssen sie notwendigerweise etwas zu kurz kommen.

Musik und Literatur sind auf jeden Fall die ausführlichsten und kompetentesten Passagen gewidmet. Beispielsweise enthält das Buch zwei Kapitel mit sehr detaillierten Analysen zur Lyrik und zum Tempus in den verschiedenen literarischen Gattungen. Ein weiteres Kapitel stellt die »großen literarischen Formen« vor. Etwas Entsprechendes für die Malerei hat die Autorin leider gar nicht erst versucht. Es wäre schön gewesen, wenn sie mit demselben Scharfsinn, mit dem sie die dramatische Rede oder die Lyrik analysierte, sich dem Porträt, der Landschaft und dem Stillleben zugewandt hätte.

Aber sie hat es ganz systematisch unternommen, für jedes Gebiet der Künste deren typisches Symbol zu benennen. Als das Wesen der Musik wird die »Schöpfung einer virtuellen Zeit und ihre vollständige Bestimmung durch die Bewegung der hörbaren Formen« genannt. Über den Tanz schreibt sie, »die virtuelle Geste« sei sein grundlegendes Symbol. Die »Illusion einer sichtbaren Zukunft« ist die »primäre Illusion« des Dramas, die uns also die Zukunft als in der Vergangenheit angelegt erscheinen lässt. Der Film, schreibt sie ganz am Ende, sei noch zu jung für eine umfassende Theorie, aber sie glaubt, dass es die »virtuelle Geschichte« sei, die seine primäre Illusion bilde.

In der bildenden Kunst endlich geht es um »die durch ein paar Striche auf einem Papier geschaffene Illusion des Raums«. Was Langer hier unter »Illusion« versteht – jedenfalls nicht die Abbildung der Realität –, wird daran deutlich, dass sie sich für Mondrians Bilder als Beispiel entscheidet. Den Fotorealismus konnte sie zur Zeit der Veröffentlichung ihres Buches noch nicht kennen, aber sie hätte ihn trotz des so missverständlichen Begriffs der »Illusion« sicherlich entschieden abgelehnt. Denn: »Nicht die Nachahmung von etwas anderem macht die wesentliche Kraft der Bilder aus.« Ganz zweifellos befand sie sich auf der Höhe ihrer Zeit.

Wesentlich für jede Kunst ist es, dass die Darstellung sich von ihrer Umgebung absetzt, und das geschieht durch die ihr gemäße Form, die sie bedeutsam sein lässt und auf diese Weise von allem Umstehenden unterscheidet. »Man kann sagen«, schreibt der Herausgeber Christian Grüny in seinem Vorwort, »dass jede Form der Kunst, die nicht emphatisch auf Form setzt, für Langer eher schwierig ist.« Ich muss gestehen, dass es nicht zuletzt dieser Aspekt ist, der mir das Buch so sympathisch macht. Was nämlich folgt aus einer solchen Ansicht? Es ist die Hochschätzung des Handwerklichen, die Langer überspannten Konzeptionen entgegenhält – sie zitiert den englischen Ästhetiker Robin George Collingwood –, nach denen das wahre Kunstwerk sich allein im Kopf eines Künstlers befindet. Nach Langer aber, die diese Position für absurd hält, hat Kunst sehr wohl etwas mit Können zu tun, mit der Übersetzung von Konzepten in die Realität.

Der größte Teil des Buches ist aus der »Atelierperspektive« geschrieben, nur das letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem »Werk und der Öffentlichkeit«. Auch hier formuliert Langer einige nachdenkenswerte Überlegungen, die eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Kunst betreffen, die sie ins Museum verbannt und damit dem Blick der breiten Öffentlichkeit entzogen sieht: »Die Menschen begegnen Kunstwerken nicht mehr auf natürliche und beständige Weise.« Darunter versteht sie offenbar, dass wir nicht in unserer normalen Umgebung auf sie stoßen und sie deshalb unserem Alltag entzogen sind. Besonders die bildenden Künste, schreibt sie, sind weggestellt und »ihrer« Öffentlichkeit entzogen worden.

Es ist den Übersetzern gelungen, das sehr gedankenreiche, auch über mehr als sechshundert Seiten immer interessante amerikanische Original von 1953 in ein gut lesbares, kultiviertes Deutsch zu übertragen. Die einleitenden Bemerkungen Grünys umfassen zusammen mit den Literaturhinweisen immerhin mehr als fünfzig Seiten, hinzu kommt ein Anhang mit zwei Registern (Personen und Sachen) sowie eine Liste der von Langer zitierten Literatur. So handelt es sich um die sehr solide und uneingeschränkt empfehlenswerte Edition eines wichtigen Buches.

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