Buchrezensionen

Sven Hoffmann. Aqua Globalis. Artist Agent Maisenbacher 2008

Bereits über ein Jahrzehnt bereist Sven Hoffmann die Welt, um sich mit der Kamera der unglaublichen Vielfalt des Wassers anzunähern. Mit der bildgewaltigen Publikation „Sven Hoffmann. Aqua Globalis“ präsentiert sich ein eindringliches Poem an den „letzten freien Ort auf der Welt“ [Ernest Hemingway], zu dem man am liebsten noch heute aufbrechen möchte. Unsere Autorin Verena Paul hat sich nun auf die Spuren des Aqua Globalis Projektes begeben und sich das Buch einmal näher angesehen.

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In seinem Vorwort „Die Alphabetisierung des Blaus“ stellt John von Düffel dem Leser das grandiose Ineinander von mitreißenden Beobachtungen und traumverwandten, poetischen Miniaturen des Elementes Wasser vor. Dadurch wird der tiefere und nachhaltigere Zugang zu den mit schlafwandlerischer Sicherheit und genialem Gespür für Farbe, Form und Rhythmus entwickelten Photographien Sven Hoffmanns ermöglicht.

Wasser kennt keinen Stillstand, es ist, so der Autor, „das Element der Verwandlung. Es ist weich und hart, glatt und rau, still bisweilen und dann wieder aufwühlend wild.“ Nach der Farbe von Wasser gefragt, antworten wir schnell und unbedacht: blau. Doch wie sieht dieses Blau aus? Ist es wirklich immer dasselbe Blau oder gibt es nicht unendliche Facetten? Bereits der Einfluss der Sonneneinstrahlung vermag ein lebendiges Licht- und Schattenspiel mit bizarren Mustern auf die Wasseroberfläche zu zaubern und die Farbintensität zu ändern. Der Verwandlungsreichtum des Wassers ist jedoch nicht allein „mit der Wechselhaftigkeit des Wetters [...] zu erklären, und seine unerschöpflichen Form- und Farbenspiele lassen den Himmel manchmal geradezu eintönig erscheinen.“

Ist es überhaupt möglich, die Vielfalt der Farbe Blau sprachlich zu erfassen oder gibt es hier eine unüberwindbare Barriere? Viel wurde über Blau als die Farbe der Sehnsucht geschrieben, wie etwa die „blaue Blume“, die in Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ als Sehnsuchtsmotiv fungiert. „Wo sich keine Worte finden, suchen sich Träume und Erinnerungen ihren Weg. [...] Alles, was wir erleben, sind nur Momentaufnahmen der Weltmeere“, wie von Düffel erkennt. Wir transportieren mit Erinnerungsfetzen einen verloren geglaubten salzigen Geruch der Nordsee, einen sanft-mediterranen Geschmack auf der Zunge oder das prickelnde Gefühl beim Eintauchen in das kühle Nass. Mit Hilfe solcher Geschichten geben die Menschen dem Wasser etwas zurück, denn sie „machen es erzählbar, beschreibbar. Mit ihren Erinnerungen, ihrer Sprache, ihren Bildern alphabetisieren sie das Blau. Und ohne sie wäre es für immer stumm.“ [John von Düffel]

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Dass das Blau keineswegs verstummt ist, beweisen Sven Hoffmanns photographische Arbeiten, die den Leser in der vorliegenden Publikation auf eine visuelle Entdeckungsreise des Wassers mitnehmen. Bereits die erste uns begegnende Werkserie, „Goldwasser“ betitelt, demonstriert, wie faszinierend anders das Element sein kann. Wer hätte gedacht, dass Wasser einen derart intensiven goldenen Schimmer und solch klare Strukturen hervorbringen kann? Die Farben reichen von einem strahlenden Weiß, gehen über in ein helles Gelb, changieren zwischen Ocker und einem sanftes Grün und verlieren sich schließlich in vereinzelten braunen Partien. Dabei kann der Eindruck entstehen, als handele es sich nicht um Photographien, sondern um abstrakte Gemälde. Und das liegt gar nicht so fern, wenn wir beispielsweise an die leuchtenden Lackfarben hinter Glas denken, mit denen Gerhard Richter eine surreale Welt en miniature entworfen hat. Auch Sven Hoffmann gelingt mit seinen photographischen Werken das Eintauchen in eine andere, verschwiegen-geheimnisvolle Welt, die jene reale Schicht durchbricht.

Auf der Suche nach dem bezaubernden Unbekannten erschließt sich dem Photographen hellblaues „Islandwasser“, das über einem weißen, von bizarren Formationen geprägten Grund dahinzieht, „Sardinienwasser“ in seiner blau-grünen Farbenvielfalt, das zart grüne „Loreleywasser“ des Rheins, das sich wie ein Schleier um Felsgebilde legt oder das mit gelben, grünen und tiefblauen Farbtupfern durchdrungene „Agua do Brasil“. Doch nicht nur die Tiefen des Wassers haben es Hoffmann angetan, sondern auch die Oberflächen, wie wir bei dem, an ein Monet-Gemälde erinnernden „Donauwasser“ erkennen können, das die Spiegelungen des Ufers ins sich aufnimmt und durch leichte Wellenbewegungen verwischt und entfremdet.

Neben der geographischen Verortung des Wassers ist der Photograph darüber hinaus von dem angezogen, was in dem sich kontinuierlich weiterentwickelnden Element geschieht. Neben den Serien „Algenwasser“ und „Koiwasser“ kommt primär in „Grünes Wirbelwasser“ und „Blubberblasen“ das Interesse an der temporeichen Wandlungsfähigkeit zum Ausdruck. Dabei vergegenwärtigen dem Betrachter die langsam sich ausbreitenden Farbfächer sowie die tanzenden Luftperlen die Eingefrorenheit des Augenblicks –  dass die Photographie dennoch jene schwerelose Leichtigkeit erfährt, zeugt nicht nur von Geduld, sondern vorrangig von der Meisterschaft des Photographen.

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Schließlich transportiert Sven Hoffmann mit einigen seiner Titel Ideen, etwa in der Serie „Oelwasser“, „Wasserkreuz“ oder „Augenwasser“, die besonders durch ihre Formensprache Assoziationen an den genannten Gegenstand hervorrufen. Im Grunde wird dem Betrachter hier ein Anstoß gegeben, sich tiefer in die photographischen Arbeiten einzusehen, so dass bei „Goldwasser“ möglicherweise die Haut eines Reptils, bei „Schwarzwasser“ frisch aufgetragenes Bitumen oder bei „Islandwasser“ eine sonnenumspielte Eislandschaft entdeckt werden können.

Neben dem wunderbar zu lesenden Vorwort John von Düffels, das sowohl eine inhaltliche als auch sprachliche Bereicherung darstellt, besticht das 156 Seiten umfassende Buch durch eine qualitativ hochwertige Wiedergabe der Photographien, durch treffende Zitate von Schriftstellern, Dichtern, Musikern, Bildenden Künstlern und Philosophen, die den Werken passend zugeordnet wurden und nicht zuletzt durch die subtilen, meditativ ruhigen und kraftvoll-aufrüttelnden Werke Sven Hoffmanns, die uns teilhaben lassen an dem Abenteuer Wasser. Wieviel hinter dem Satz von Henry David Thoreau steckt – „A lake is the eye of the earth. He who looks into it measures the depth of his own nature“ –, möge nun jeder für sich selbst herausfinden. Als echtes Highlight kann dieser Band jedenfalls uneingeschränkt empfohlen werden.

Fazit: Eine bildgewaltige, horizonterweiternde und unvergessliche Publikation, ein vollendetes, eindringliches Poem an den „letzten freien Ort auf der Welt“ [Ernest Hemingway], zu dem man am liebsten sofort aufbrechen möchte!

 

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