Buchrezensionen

Sylvia Martin, Martina Sitt (Hg.): Der unersättliche Blick. Die Reisen des Landschaftsmalers Adolf Höninghaus, Wienand Verlag 2017

Der Maler Adolf Höninghaus ist weitestgehend unbekannt. Um seine Werke einem größeren Publikum zugänglich zu machen, hatte ihm das Kaiser-Wilhelm Museum Krefeld im Winter 2017/18 eine Ausstellung gewidmet und Sylvia Martin und Martina Sitt haben einen Katalog herausgebracht. Torsten Kohlbrei hat ihn gelesen.

Kennen Sie Höninghaus? Mit detektivischem Eifer spüren die Autorinnen dem Leben, Arbeiten und Reisen des weithin unbekannten Künstlers aus dem Umkreis der Düsseldorfer Malerschule nach. Adolf Höninghaus (1810-1882) bleibt trotzdem schwer zu greifen. Zu wenig Persönliches kann für die vom Kaiser-Wilhelm Museum Krefeld im Winter 2017/18 organisierte Ausstellung und den sie begleitenden Katalog zusammengetragen werden. Sehr präsent wirken dagegen die auf über 90 Seiten vorgestellten Graphiken. Meist handelt es sich um Skizzen, die den Augenblick für spätere Ausarbeitungen festhalten sollten. Heute beeindruckt an den Ölskizzen aus dem Rheinland, dem Umland von Dresden und aus Italien vor allem das Fragmentarische, Unfertige. Hier geht es nicht mehr um eine Welt-Sicht, die Natur als Ganzes, sondern um das konzentrierte, individuelle Erlebnis.

Es rattern keine Maschinen, keine Arbeiterfamilie bangt um ihr täglich Brot. Auf den Landschaftsbildern des praktisch unbekannten Adolf Höninghaus, die das Krefelder Kunstmuseum mit dem 2017 veröffentlichten Ausstellungskatalog »Der unersättliche Blick« zur Entdeckung anbietet, zeigt sich das Sichtbare allen politischen Kämpfen des 19. Jahrhunderts gegenüber blind.

Höninghaus wird 1810 in Krefeld geboren und besucht zwischen 1829 und 1834 die Düsseldorfer Akademie. Zehn Jahre bewegt er sich – wahrscheinlich finanziell unterstützt durch seinen Vater, der ein Handelshaus führt – in der rheinischen Kunstszene. 1844 geht er auf Italienreise, lebt in Rom, besucht Neapel sowie Sizilien. Erst 1848 kehrt er ins Rheinland zurück. Ab Mitte der Fünfziger Jahre orientiert sich Höninghaus nach Dresden, wo er seinen Lebensunterhalt mit Zeichenunterricht bestreitet. An der Elbe verbringt er sein weiteres Leben bis zum Tod 1882, der allerdings im Sterberegister seiner Geburtsstadt Krefeld verzeichnet ist.

Außer den mit Akribie von Martina Sitt für den Katalog zusammengetragenen Eckdaten eines Malerlebens am Rande der Kunstgeschichte ist wenig über Adolf Höninghaus bekannt. Es gibt Dokumente, die Ausstellungsbeteiligungen nachweisen oder die Mitgliedschaft im Düsseldorfer Malkasten belegen. Trotzdem bleibt das Bild auch für die Autorinnen erstaunlich schemenhaft. Höninghaus ist wohl mit vielen Protagonisten des sich formierenden rheinischen Kunstbetriebs bekannt, bewegt sich aber im Hintergrund und wird beispielweise nur selten in Briefen erwähnt. Eine Ausnahme stellt sein Porträt auf Andreas Achenbachs karikaturistischem »Zug der Künstler« (1837) dar.

Mehr Kontur versucht Martina Sitt dem Objekt der Betrachtung im ersten Aufsatz zu verleihen. Sie berichtet über den Vater, der als Autodidakt eine Mineraliensammlung anlegt, die weit über die Heimatstadt Aufmerksamkeit erregt und sogar Kronprinz Friedrich-Wilhelm einen Besuch wert ist. Und sie bemüht sich, die materielle Grundlage von Höninghaus‘ Malerexistenz aufzuklären. Sitt findet Belege für erfolgreiche Teilnahmen an den Verkaufsausstellungen der neuen bürgerlichen Kunstvereine, außerdem legt sie Verkäufe aus dem Atelier während des Italienaufenthalts nahe. Ob oder in wieweit diese Einnahmen ausreichen, um eine unabhängige Lebensführung zu ermöglichen, lässt sich nicht mehr klären.

Da fällt es leichter die künstlerische Position von Höninghaus zu bestimmen. Er zeigt sich unzweifelhaft von Carl Friedrich Lessing (1808-1880) und Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863) beeinflusst. Im sogenannten »Landschaftlichen Komponierverein« ziehen Lehrer und Studenten in die Umgebung, um dort ihre Eindrücke auf Skizzen festzuhalten. Kennzeichnend ist ihr Interesse an einer detailreichen Wiedergabe der Natur, die versucht, das Charakteristische abzubilden, und das Lokale ins Allgemeine überträgt. Dabei zeigt Höninghaus eine besondere Neigung zur Abbildung von Gesteinsformationen, was die Autorin auf ein vom Mineralien sammelnden Vater geschultes Auge zurückführt. Ebenfalls charakteristisch für Höninghaus‘ Skizzen ist die Abwesenheit von menschlichen Figuren.

In einem separaten Kapitel untersucht Elisabeth Brügger die während der Italienreise entstandenen Zeichnungen. Brügger, die ihre Bachelor-Arbeit dem Maler Höninghaus gewidmet hat, verweist auf zeitgleiche Reisen und die Vorlieben von Malern, die Höninghaus bekannt sind, ohne sich in Vermutungen zu verlieren. In der werkimmanenten Betrachtung hebt sie Höninghaus‘ besonderen Blick für Motive hervor, die sich von den damals gern und viel gesehenen Perspektiven absetzen. Ebenfalls der Grundlagenforschung ist der Aufsatz zur Arbeitsweise des Malers »Von der Reisestudie zum Gemälde« (Gabriele Emonts-Holley, Simone Gartmann, Sebastian Köhler) zuzuordnen. Der Leser erfährt, wie der Arbeitsprozess im Zuge der konservatorischen Behandlung der Blätter nachvollziehbar wird. Die auf den Expeditionen in der Landschaft gemachten Skizzen dienen auch viele Jahre später im Dresdener Atelier als Bausteine zur Komposition der wenigen erhaltenen Ölbilder.

Bei der Lektüre spürt der Leser, wie viel Arbeit und Engagement in das Ausstellungsprojekt geflossen ist. Neben dem Katalog entstehen zwei akademische Arbeiten, die Blätter werden restauriert und der Bestand in die Datenbank des Museums eingepflegt. Trotzdem bleibt nicht nur der wieder entdeckte Künstler, sondern auch die Motivation des Unterfangens ein wenig blass. Geht es allein um das museale Selbstverständnis, das die Erforschung der 1.500 Zeichnungen, 450 Ölskizzen und 4 Gemälde, die sich im Depot des Krefelder Museums befinden, gebietet? Doch warum beschränkt sich das Forscherteam derart? Die Harmonie der Bilder steht im krassen Gegensatz zu den sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die sich zeitgleich vollziehen. Gäbe es eine Tonspur zu Höninghaus‘ Landschaften, man müsste aus dem Hintergrund das Stampfen der ersten Eisenbahnen, den Lärm der frühen Industrialisierung, das Marschieren der preußischen Armee auf dem Weg zum Deutschen Kaiserreich und wohl auch – viel leiser, aber immer zahlreicher – die Auslöser der ersten Fotokameras hören. Doch wie sich der »unersättliche Blick« zur eigenen Zeit verhält; was Bilder, die gerade keine Veränderung zeigen, erzählen, das alles ist dem Katalog nicht einmal einer Spekulation wert.

Diese Grübelei dürfte jedoch nur den Rezensenten beschäftigen, der Leser hat sich vermutlich längst im über 90 Seiten umfassenden Bildteil verlaufen. Wuchernde Farne im Neandertal, das Sonnenlicht auf einer Holzbrücke im Harz, wenige Striche für die Weite der italienischen Campagna und ein Blatt aus Rom: Santa Maria Maggiore. Der Himmel mit diffuser Wolkendecke glänzt im Licht der Morgensonne. Darunter einzelne Gebäude mit sorgfältig herausgearbeitetem Wechsel von Sonnen- und Schattenseite. Dann der Bruch, auf der unteren Hälfte gibt es nur grob hingeworfene Striche, die Dächer und Häuser andeuten. Das Blatt mag als Vorstudie für ein Gemälde gedacht gewesen sein. Doch das Unfertige gibt ihm einen eigenen Wert. Das Fragmentarische nimmt dem Dargestellten die Illusion. Das ist nicht die Natur, es ist ihre Rekonstruktion: ein Bild!

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