Ausstellungsbesprechungen

Tag für Tag – Sempé in deutschen Sammlungen

Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt in Zusammenarbeit mit dem Institut français de Munich 150 Originalarbeiten des weltweit bedeutenden Zeichners Jean-Jacques Sempé in einer der größten Ausstellungen, die dem Künstler je gewidmet wurde. Zwischen Paris und New York, vom Jazzer zum Intellektuellen, von der Hausfrau zum Sonntagsradfahrer, befasst sich die Ausstellung mit Orten und Charakteren, die Sempé am Herzen liegen.

Geschichten haben ihr Vorleben, Bilder auch: Manche Mittvierziger, die mit Asterix & Co. groß geworden sind, landeten über Goscinny – den Erfinder des schmächtigen Galliers – irgendwann beim Kleinen Nick: Die Geschichte über diesen Jungen hatte das Zeug zu einem Kinderbuch-Klassiker. Doch wesentlich an der erfolgreichen Verbreitung beteiligt war dessen zweiter Vater: der Zeichner Sempé. Vor allem ihm dürfte es zu verdanken sein, dass auch die jüngste Generation diese Erfolgsgeschichte weiterspinnt, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass in den vergangenen Jahren neue Geschichten vom Kleinen Nick aufgetaucht sind – das berührte die Nostalgie der Kinder von einst, die nun jene Väter sind, die mit den eigenen Kindern samt Saft und staunenden Kulleraugen darauf anstoßen.

Damit kommen wir im Hier und Heute an, genauer: im Fürstensaal der Bayerischen Staatsbibliothek, wo sonst für gewöhnlich noble Handschriften ausgestellt sind, Schätze der Buchmalerei. In Kooperation mit dem Institut français de Munich sind dort über 100 Originalzeichnungen von Jean-Jacques Sempé zu sehen, die auch ohne Anwesenheit des Kleinen Nick dessen Schöpfer erkennen lassen. Selten zuvor hat es in Deutschland eine so große Ausstellung über diesen großartigen französischen Zeichner gegeben. Zu verdanken ist sie der Münchner Galeristin und Kuratorin Joëlle Chariau (Galerie Bartsch & Chariau), die nicht nur mit Sempé befreundet, sondern hierzulande auch die Ansprechpartnerin ist, wenn man ein Blatt des heute 77-jährigen Meisters erwerben will. – Ja, längst ist der Cartoon als hohe Zeichenkunst im regen Treiben des Kunstmarkts angekommen, woran Sempé sicher auch seinen Verdienst hat. »Sempé in deutschen Sammlungen« zeigt den Stellenwert, den der Künstler inzwischen erreicht hat. Mit scheinbar flüchtiger Feder ist es ihm gelungen, das Bild einer Nation zu skizzieren, die bei genauem Hinsehen nicht nur den französischen Nachbarn trefflich in Szene setzt, sondern auch den Franzosen in uns Deutschen zu wecken versteht.

Mit seinen kleinen Schwächen und im Kampf mit den Tücken des Alltags sind die Protagonisten, die sich radelnd oder flanierend durch Pariser Gassen oder Vorortstraßen entlang bewegen, immer so liebenswert, dass wir für ein paar Augenblicke gerne in die Rolle dieser Pantoffelhelden schlüpfen – vielleicht um uns nicht eingestehen zu müssen, dass der deutsche Charakter doch viel eher von dem wesensverwandten Loriot erfasst worden ist. Womöglich versteht es ein französischer Betrachter gerade andersrum: Die Sempé-Figuren, die auch noch als Erwachsene kindliche Züge aufweisen (wie umgekehrt die Kinder meist in Erwachsenen-Anzügen stecken), wollen sich nicht so recht in die Formate der Grande Nation fügen und sehen aus, als würden sie sich nach einer biederen Umgebung sehnen. Dagegen fühlen sich Loriots Figuren nicht wohl in ihrer kleinen Welt (die erstaunlich wenig Raum für Kinder bietet) und wünschen sich in eine Großartigkeit hinein, die ihnen gar nicht zukommt. Derartige Assoziationen rühren vielleicht auch daher, dass der hoch aufragende Repräsentiersaal der Münchner Staatsbibliothek diese Unverhältnismäßigkeiten noch unterstreicht.

Doch Sempé ist letztlich – wie Loriot – so unverwechselbar wie unvergleichlich. Gerade mit der Sparsamkeit der Linienführung gelingt dem französischen Künstler ein vielfältiges, fein differenziertes Bild einer letztlich europäisch fundierten Gesellschaft. Etwa die Hälfte der in München gezeigten Blätter war bislang unveröffentlicht, sie sind nun aber über die Bibliotheks-Schau hinaus in einem Bildband des Diogenes-Verlags zugänglich – ihm ist ein hinreißender Essay des Autors Patrick Süskind vorangestellt. Und wem geht es nicht so, dass er nicht immer schon wissen wollte, was der Nick-Zeichner sonst so macht. In München eröffnen sich gleich ganze Bildwelten: Café-Bewohner, Musiker und Fahrradfahrer, Pariser und New Yorker Kleingeister mit dem Charme des guten Onkels, wenn nicht eines guten Engels – teils ohne Worte, teils mit einem regelrechten Wortschwall. Meistens umweht die Gesichter ein Zug von Melancholie, die allerdings mit einem ordentlichen Schuss Humor unterspült wird. Dabei erweist sich Sempè, dessen Name wie ein zur Marke geadeltes Pseudonym klingt, als Philosoph: »Meine Charaktere haben oft Angst, sind vom Leben zerschmettert. Sie sind nicht winzig klein, wie manchmal gesagt wird, es ist die Welt um sie herum, die groß ist.« Und wie das Leben so spielt, merken etwa seine Bühnenarbeiter, die arbeitseifrig hinter den Kulissen herumklettern, gar nicht, dass sie dieselben Positionen einnehmen wie die Ballerinas im Rampenlicht vor dem Vorhang.

Im Institut français (Kaulbachstr. 13, München, Mo–Do 10–18, Fr 10–14 Uhr) kann man ausstellungsbegleitend drei Filme über Sempé sehen, der sich selbst so unwichtig nahm, wie es nur bedeutende Persönlichkeiten tun: »Mein Leben zu erzählen, ist nicht schwer: Am 17. August 1932 wurde ich in Bordeaux geboren. Mit 19 Jahren kam ich nach Paris und wollte zeichnen. Das ist alles...«

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