Buchrezensionen

Tassilo Mozer: Gartenkunst & Künstlergärten. Ein Führer durch Umbrien, Latium und die Toskana, Parthas 2014

Was verbindet Niki de Saint-Phalle und Daniel Spoerri mit dem Renaissance-Fürsten Vicino Orsini und dem antiken Kaiser Hadrian? Sie alle haben in räumlicher Nähe zueinander einen Garten gestaltet. Der Band versammelt insgesamt 60 Orte von der römischen Antike übers Mittelalter bis in unsere Gegenwart. Walter Kayser hat ihn gelesen und möchte sofort losfahren.

Physiker denken bekanntlich in polaren Entsprechungen. Sie sind dem Gleichgewicht von Materie und Antimaterie, dem geheimnisvollen Symmetriebruch auf der Spur, jener berühmten Verletzung der CP (Charge Parity) in den ersten Millisekunden unseres Universums. Ähnliches gilt in der Gartenkunst zwischen den Polen des Urwüchsig-Ungeformten und dem gestalteten Objekt. Der Titel dieses Buches deutet ein solches um Ausgleich bemühtes Wechselverhältnis in Form eines doppelten Chiasmus an. Da geht es einerseits um die Kunst, Gärten zu gestalten, also jenem ästhetischen Bemühen, bis zu einem gewissen Empfindungsgrat aus Natur Kultur (»Gepflügtes«) zu machen, eine inszenierte grüne Gegenwelt, die dem Menschen gemäßer ist. Andererseits aber ist danach zu fragen, wie sich Kunstwerke in Naturräume einfügen, wie sich das gestaltete Objekt, die Skulptur im weitesten Sinn, zum Außenraum verhält, sich in ihm entfaltet und zu einem Environment verbindet. In jedem Fall zielt der Sammler, Bildhauer oder Gartenarchitekt darauf ab, das Verhältnis zwischen einem artifiziellen Fremdkörper, den jedes skulptierte Bildwerk per definitionem darstellt, und dem spezifischen natürlichen Außenraum mit Ausblick in die Landschaft neu auszutarieren. Gerade dieser Sphärenverstoß bringt die Würze, jene Spannung, die nach dem Ausgleich des vermeintlichen Symmetriebruchs verlangt.

Der Autor Tassilo Mozer ist nicht nur in Heidelberg ausgebildeter Kunsthistoriker, sondern auch selbst Bildhauer gewesen. Tragischerweise ist dieses Buch sein Vermächtnis geworden, denn nicht einmal 50-jährig verstarb er im September 2012 an einem Herzinfarkt in seiner Wahlheimat Prato bei Florenz.  Seit 20 Jahren lebte er dort, verdiente nebenher sein Geld auch als besonders qualifizierter Stadtführer in der Renaissancemetropole. Die strenge, klare Formensprache der Toskana hat (neben japanischen Einflüssen) nicht nur in seinen Skulpturen ihren Niederschlag gefunden. Sie war ihm auch durch unzählige Reisen in die nähere und fernere Umgebung mehr als vertraut. So ist mit notwendigen redaktionellen Schlussüberarbeitungen durch die Berliner Verlegerin Gabriele Wachter, eine Schulkameradin des Künstlers, und den jüngeren Bruder Heiko ein einzigartiger, exzellenter Reiseführer entstanden.

Das Buch ist vor allem eins: benutzerfreundlich. Wie Aristoteles einmal bemerkte, bewegt das Denken nur dann etwas, wenn es auf einen Zweck gerichtet und praktisch wird. In diesem Sinne entstand kein Prachtband, sondern eine äußerst anregende Erkundungsempfehlung, die ihresgleichen sucht. Nicht Hochglanz, sondern Vielfalt und Anregung.

Zweckdienlich sind zunächst schon das Format und der Paperbackeinband. Zudem sind die mehr als 90 Gärten nicht etwa in Epochen und in einer imaginären stilistischen Chronologie aufgereiht, sondern in Regionen erfasst. Die Grenzen des Reisegebiets sind dabei vielleicht etwas willkürlich gezogen (das angrenzende Veneto fehlt beispielsweise ganz). Kernland und Ausgangspunkt war offensichtlich immer wieder die Renaissancemetropole; die angrenzenden Kunstlandschaften Umbrien und Latium treten demgegenüber schon zurück und umfassen höchstens ein Drittel der vorgestellten Objekte.

Alles ist hier aber auf praktische Orientierung ausgelegt: Die Lage der Gärten ist im Anhang auf Übersichtskarten kartografisch erfasst, so dass der Besucher mehrere Anlaufpunkte miteinander verknüpfen und sich Routen zurechtlegen kann. In den schnörkellos und etwas nüchtern formulierten Beschreibungstexten der einzelnen Gärten sind, farblich grün abgesetzt, nützliche Anmerkungen zum einschlägigen Glossar der Gartenkunst, zu mythologischen Hintergründen oder markanten Persönlichkeiten eingefügt. Zudem werden am Ende jedes Kapitels so ungemein wichtige Informationen wie die genauen Öffnungszeiten der Gärten zu den unterschiedlichen Jahreszeiten oder die zu erwartenden Eintrittspreise angegeben. Genaue GPS-Daten helfen den Weg zu entlegenen Paradiesen zu finden, wie auch die entsprechenden Autobahnabfahrten sehr zuträglich sind, ja sogar die voraussichtliche Dauer, welche für eine Besichtigung anzusetzen ist.

Das Buch beginnt mit einem 25 Seiten umfassenden Basisartikel zur Geschichte der europäischen Gartenbaukunst. Dieser ist instruktiv, lässt sich aber sicherlich ebenso gut in etlichen Handbüchern nachlesen. Dennoch wird noch einmal bewusst gemacht, wie sehr jede Gartenbaukunst der Neuzeit, die nachfolgenden geregelten Barockgärten als Ausdruck eine absolutistischen Machtanspruchs und sogar die Gärten der Freiheit, die wir englische Landschaftsgärten nennen, gerade in Italien ihren Ausgang nahmen. Schon Leon Battista Alberti hatte ja im Rückgriff auf die Beschreibung antiker Villen durch Plinius d. J. die Architektur im Zusammenhang mit der Anlage von Gärten gesehen. In seinem Traktat »Über die Baukunst« von 1485 widmet er dem Gartenbau ein eigenes Kapitel. Die Renaissance-Fürsten und –Päpste haben deshalb nichts anderes gemacht als die begüterten Aristokraten der späten römischen Republik oder Kaiserzeit: Sie bevölkerten ihre Gärten mit architektonischen Elementen und (oft aus Griechenland importierten) Plastiken und Büsten und suchten mit dieser Ausstattung bereits einen ästhetischen Ausgleich zwischen Kunst und Natur.

Die im Stil eines Katalogs getroffene Auswahl der vielen Artikel umfasst höchst berühmte Gartenanlagen wie den giardino segreto von Bomarzo bei Viterbo, die Florentiner Boboli-Gärten, die etlichen Medici-Villen um Florenz herum, die Gärten Kaiser Hadrians oder die barocke Villa d’Este bei Tivoli oder die wegen ihrer Wasserkünste berühmte Anlage der Villa Aldobrandini.

Das eigentlich Neue und Spektakuläre (hier muss man in der Sprache der Reiseführer unweigerlich vom exklusiven »Geheimtipp« sprechen, - eine Plattitüde, die jedem Massentouristen die Aura der Einmaligkeit verspricht) sind aber sicherlich die modernen Künstlergärten. Hier erkennt man das besondere Faible des Verfassers, denn ohne diese gezielten Insiderhinweise wären die meisten Entdeckungen nicht möglich. Der bunte Tarot-Garten einer Niki de Saint Phalle bei Capalbio, südlich von Grosseto am Rande der Toskana gelegen, mag vielen Kunstinteressierten auch so bekannt sein, vielleicht auch noch das private Anwesen des ebenfalls 1930 geborenen Daniel Spoerri. Vieles lässt sich aber wohl nur mit diesem kundigen Führer entdecken, denn da ist kein öffentlicher Platz, kein Skulpturenpark, keine Land Art-Meile, die Tassilo Mozer entgangen zu sein scheint. Den Besucher erwarten also die ungewöhnlichsten Blickfänge, effektvoll in den Garten ihres Schöpfers platziert, Kunstwerke, die noch in keinem Cicerone verzeichnet sind, und ob sie seinem Geschmack entsprechen, kann er in etwa an den Fotos abschätzen.

Wer mit diesem Führer in der Hand italienische Gärten besucht, begegnet also den Anfängen der europäischen Gartenkunst ebenso wie Herausforderungen der Avantgarde. Da kommt Lust auf, mit diesem Reisebegleiter auf der Rückbank sobald als möglich ins Herz Italiens aufzubrechen, wo bekanntlich schon seit Jahrhunderten Deutsche das Ihrige verloren haben.

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