Um Lesen von und über Kunst dreht sich die derzeitige Gruppenausstellung »Text Werke« im Heidelberger Kunstverein. Neun KünstlerInnen und ein Kollektiv sind dort mit Arbeiten vertreten, die jeweils wiederum mit zwei Texttafeln versehen sind. Ein Text beschreibt die Arbeit knapp, der andere bettet sie in eine überschwängliche, meist künstlerbiografische, Erzählung ein. Benjamin Schaefer hat sich diese ungewöhnliche Ausstellung näher besehen.
Der untere Raum der zweigeteilten Schau wird dominiert von einer Installation des Kanadiers Cedric Bomford: An der hinteren Wand ragt ein begehbarer Holzbau mit großen verspiegelten Erkerfenstern auf. »Das Amt«, so der Titel, kontrolliert wachturmartig den Raum. »Wenn mein Vater gewusst hätte, dass es so etwas wie Kunst gibt, wäre er sicher Künstler geworden«. - So anekdotisch beginnt der lange Text dazu.
Der Gegenspieler im Raum ist das Triptychon »Lindwurm der Macht« von Jonathan Meese: schwarz-weiß-rote gestische Malerei mit Schrift- und Kritzelanteil zieht sich über vier Meter der Längswand. Dazu hölzern: »Es ist anzunehmen, dass das Gemälde mit gestischer Malart ausgeführt wurde«. - Inwiefern erzeugen die Sätze hier einen qualitativen Unterschied in der Rezeption? Es geht also um das stets problematische Verhältnis von Werk und Information.
Im Raum verteilt sind Foto-Drucke von Andrea Longacre-White, die schwarzweiße, abstrakt anmutende Fotos zerknickt, gerissen und wiederum abfotografiert hat. Die ausführliche Erklärung spricht von einem krebskranken Vater, einer Unfall-Vision der Künstlerin und einem "Albtraum-Szenario". Seltsam in die Ecke gedrängt dann Zeichnungen und Videos der Berliner Künstlerin Anna Faroqhi, die unter dem Titel »Alltagsvariationen« bedächtig einen Zusammenhang entwickeln. Sowohl die Zeichnungen an der Wand als auch die gezeichneten Bilder in den Videos zeigen Orte und Gegenstände aus dem scheinbaren persönlichen Umfeld der Autorin. In den Videos werden aber Texte eingeblendet, die die Nazi-Vergangenheit all der unscheinbaren Orte in Berlin beleuchten.
Jochen Schmith, eine belgisch-deutsche Künstlergruppe, zeigt eine Installation, die Luxus-Ambiente evoziert: der Betrachter stellt sich zwischen einen Paravent und eine Design-Tapete, von oben hängt ein Kronleuchter herab. Ein Lautsprecher auf der Tapete erzählt einen fiktiven Alltag in hochklassigen und ultrakomfortablen Hotels und Bars. Der Schwede "NUG" alias Magnus Gustafsson wird vom Kommentartext gar zum »meistgesuchten Künstler Schwedens« erklärt. Sein Video zeigt eine Person, die, mit Musik unterlegt, exzessiven Vandalismus in einer U-Bahn betreibt.
Auf der Empore sind großformatige Fotoarbeiten mit Holzskulpturen suggestiv angeordnet: die Fotos des Ghanaers James Barnor zeigen vornehmlich schwarze Menschen aus den 1960er- und 1970er Jahren. Durchbrochen wird die Reihe von einer in die Wand gerammten Axt, deren Stiel scheinbar abgeschnitzt wurde und in großen Spänen auf dem Boden liegt. Diese und zwei weitere Holzarbeiten nach gleichem Prinzip präsentiert der New Yorker David Adamo. Der Ausstellungsaufbau lässt durchaus die platte Assoziation mit "primitiver" Holzkunst entstehen. Diese Lesart wird dann gleichsam durchschlagen und der Kurator zeigt wohl mit Witz, wie relativ die Bedeutung des einzelnen Werkes ist. Gerade diese Anordnung wirkt allerdings etwas überladen.
Die Zeichnungen und spiegelnden Flächen von Pauline M'Barek werden erst im Textkommentar mit afrikanischen Masken in Verbindung gebracht. Der documenta 11-Teilnehmer Michael Ashkin steuerte eine flächendeckende Pappinstallation bei. Auf einem Boden aus Karton stehen, in Distanz zum Betrachter, kleine Pappaufbauten, die an ein Modell eines Militär-Lagers in einer Wüste erinnern. Neben den Kuratorentexten gibt der Künstler an der Wand selber noch zehn mögliche Nicht-Titel für die Klammer in »untitled (Where Optimism Is a Form to Spare Language Its Truth)« an. Die Installation mit all ihren textuellen Zusätzen zeigt das Problem: Kunst ist keine Erkenntnistheorie, ist in keinem Falle nur Theorie. Der Text zur Kunst ist eine eigene Einheit, steht je nach Anlass in eigenem Recht, ist aber gewissermaßen auf der schwächeren Seite. Wer sich von der zeitgenössischen Kunst allein gelassen fühlt, kann zwar wahlweise auf Erzählung oder Deskription ausweichen. Jedoch sind diese in der Heidelberger Ausstellung nichts sagend, entweder weil rein analytisch, oder weil die Information geradezu den gegenwärtigen und körperlichen Blick verstellen kann. Der scheidende Direktor Johan Holten zeigt eine extrem kompakte (Michael Ashkin musste seine Arbeit extra in einer kleineren Version anfertigen) und lohnende Ausstellung über Kunst und Kunst-Diskurs, der man allerdings gerade räumlich stellenweise mehr Luft gewünscht hätte.