Ausstellungsbesprechungen

The Eyes of War, Deutsches Historisches Museum, bis 4. Januar 2015

»The Eyes of War« zeigt die Porträts von vierzig Zivilisten und Soldaten, die als Kinder und Jugendliche im Zweiten Weltkrieg ihr Augenlicht verloren haben. Zu sehen sind Menschen aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, der Ukraine und dem Gebiet der ehemaligen UDSSR. Hineingeworfen in den dunkeln Ausstellungsraum suchen Pia Littmann und André Bischoff erst Halt, gelangen dann aber ausgehend von den gezeigten Einzelschicksalen zu einer zugleich persönlicheren und differenzierteren Sicht des Krieges.

Aus der Helligkeit der Vorhalle gelangen wir über den grauen Eingangsbereich des Ausstellungsraumes in den tief dunklen Bildersaal. Auf in fünf Reihen gestaffelten, massiven, schwarzen Ausstellungswänden erscheinen die vierzig überlebensgroßen Porträt-Fotografien. Dabei wirken die Porträtierten gar nicht, als seien sie von außen beleuchtet, sie scheinen vielmehr aus sich selbst heraus zu leuchten.

Der Betrachter ist unsicher, welchem der Gesichter er sich zuerst zuwenden soll. Suchend umkreist er die versetzt gestellten Stelen, an deren Vorder- und Rückseite jeweils ein Porträt hängt. Gleichwohl umringt von Augenpaaren, wird sich der Besucher nirgends direkt adressiert fühlen: Die Blicke der Gezeigten sind erstarrt, denn diese Menschen sind erblindet.

So wie Edith van der Meulen. Bis auf die Poren wird ihr Gesicht herangeholt, wobei die Augen und der Mund der Porträtierten wie auf den anderen Fotografien mit der stärksten Auflösung abgebildet sind. Hin zu den Konturen und auf Höhe der Nasenspitze verschwimmt das kantige Antlitz wieder, das die Lebensjahre regelrecht zerfurcht haben. So beschreibt es auch der Audioguide, der die Ausstellung zusammen mit den eingangs ausliegenden Brailletexten und der Wegführung durch spezielle Klebestreifen auf dem Boden sehbehinderten Besuchern zugänglich macht.

Werden die Porträtierten stets frontal und in farblosem Helldunkel gezeigt, so treten sie auch in ihren neben den Fotografien präsentierten Selbstbeschreibungen nur unter bestimmten Aspekten in Erscheinung: Diese setzen mit den Erinnerungen an die Umstände der Erblindung ein und geben dann Auskunft über ihren langen weiteren Lebensweg.

Je tiefer man sich in die Ausstellung begibt, umso deutlicher wird, dass sich sowohl im Moment der Erblindung als auch im Umgang mit ihr viele Motive und Motivationen kreuzen. Der Krieg ist dabei unterschiedlich stark ursächlich. Hannelore Ziermann erblindete zum Beispiel durch das Hantieren mit einem defekten Kochgerät. Der Bezug zum Krieg stellt sich dadurch her, dass sie zur Behandlung ihrer durch Rauch verätzten Augen nicht nach Hamburg in die Spezialklinik gelangte. Denn die Stadt wurde von den Alliierten bombardiert. Albert Serdet hingegen nahm der eigene Sergeant das Augenlicht, indem er dem jungen Soldaten eine Handgranate zuwarf. Er sei »ein bisschen verrückt gewesen«, gibt Serdet an. Und was aus dem Sergeant geworden sei, das wisse er nicht, heißt es am Ende.

Wie viel Bitterkeit mag in dieser und all den anderen Geschichten noch heute stecken? Vor seiner Verwundung steht ein junger deutscher Soldat irgendwo auf der Krim, schaut ins Meer und fragt sich, was er in dem fremden Land zu suchen hat. Doch so wie hier bei Rudolf Söder wird die Abrechnung mit dem Krieg, den verlorenen Jahren und dem persönlichen Schicksal nur selten hochgespült. Auch waren viele der Betroffenen damals noch Kinder, die den Krieg wie Peter Witteveen eher als »ein Abenteuer« erlebten – und sich beim Spielen mit liegengelassener oder unzulänglich verwahrter Munition selbst verletzten, verstümmelten und die Augen zerstörten.

Gleichwohl nicht im räumlichen Zentrum platziert, bildet die Stellwand mit den beiden in größerem Format gezeigten Porträts von Norman Perry und Sieglinde Bartelsen den Mittelpunkt der Ausstellung: Beide gehören zu den Porträtierten, deren Erblindung nicht mit einer Verstümmlung der Augenpartie einhergeht. Perry vermittelt mit seinen schräg aufwärts gerichteten Pupillen einen besonders wachen, sensiblen Eindruck, Bartelsens Gesicht ist noch heute auffällig attraktiv und wirkt zusammen mit den Ohrringen und der aparten Frisur ausgesprochen gepflegt. Tatsächlich ist dieses Paar ein Spiegel der zwischen Anschauung und Sprache sowie zwischen Innen und Außen oszillierenden Ausstellung.

Perry steht für den aus vielen Texten sprechenden Willen, das Leben trotz der Behinderung nicht nur anzunehmen, sondern es sich sinnlich möglichst intensiv zu eigen zu machen: »Wenn etwas grün ist, frage ich auch, was für eine Art Grün, ob hellgrün, graugrün oder noch anders. So setze ich das ganze Bild zusammen.« Im Bild Sieglinde Bartelsens verbinden sich hingegen der Blick von außen und die Verlagerung der eigenen Wahrnehmung auf den Hörsinn. Mit Stolz berichtet sie davon, eine der schnellsten Stenotypistinnen der Bundesrepublik geworden zu sein. Gleichzeitig sorgt Bartelsen sich darum, wie andere auf sie schauen: »Als Frau habe ich Komplexe«, gesteht sie und freut sich deshalb umso mehr, wenn ein Mann ihr Komplimente über ihr Aussehen macht.

»The Eyes of War« schließt an das Projekt »The never ending war« von Martin Roemers an, das mit demselben reduzierten Ausstellungskonzept im Jahr 2007 in Rotterdam vierzig Kriegsveteranen in Schwarzweißfotografien und Selbstbeschreibungen zeigte. Demgegenüber erreicht »The Eyes of War« nun eine besondere Intensivierung: Dieses Projekt erweitert den Kreis der Betroffenen auf Zivilisten und konzentriert sich dabei auf den Verlust des Augenlichts. Beidem wird die Ausstellung durch ihre sinnliche Reduzierung auf besondere Weise gerecht.

Gerade durch die inhaltlich wie visuell einheitliche Präsentation werden die Vielgliedrigkeit und die Einzigartigkeit der vorgestellten Schicksale besonders deutlich. Der immer gleiche, diskrete Rahmen ermöglicht die Einfühlung in die Dargestellten und birgt sie gleichzeitig, indem er die Persönlichkeiten davor bewahrt, sich in Gänze zeigen zu müssen. Das Ausschnitthafte und die durch das farblose Helldunkel erwirkte, besondere Ästhetik der Ausstellung werden so zu den entscheidenden Bedingungen der Erkenntnis.

Da lohnt es sich, auch mal zurückzutreten und auf den seitlich stehenden Barcelona-Sesseln Platz zu nehmen. So lässt sich die Wucht des Themas mit seinen vielen Gesichtern und berührenden Geschichten gut in anderthalb Stunden aufnehmen. Am Ende erhält unsere Wahrnehmung des Krieges ein sensibleres, persönlicheres, differenzierteres, ja auch widersprüchlicheres Antlitz.

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