Ausstellungsbesprechungen

The Sublime is Now, Das Erhabene in der zeitgenossischen Kunst

Schon der Klang des Wortes hat eine sinnliche Ausstrahlung, die man knapp unterhalb des Hörbaren beziehungsweise in äußerst sensiblen Gefilden klingen lassen möchte. Da schleppt die deutsche Übersetzung noch einigen klassizistischen Ballast mit, der – immerhin – mit Schiller & Co. eine getragene Schwere vermittelt. Der thesenartig formulierte Titel stammt dagegen wörtlich von dem modernen Künstler Barnett Newman, der dem Begriff 1948 einen hoch philosophischen und sehr empfehlenswerten Essay gewidmet hat. Im Katalog finden sich der Newman-Text sowie Ausführungen von Schiller.

Die Spannweite der Sublimität ist enorm: Sie reicht vom unbegreiflich Schönen bis hin zum ebenso wenig fassbaren Schrecken – der bekanntlich auch seine ästhetische Seite zur Schau stellen kann. Die Ausstellung macht die Eckpunkte fest an einem rohen Ei, das Karin Sander zu einer spiegelnden Oberfläche hin poliert hat, und einer Kohlezeichnung Robert Longos, die den Lichtblitz einer Atombombenexplosion zeigt.

 

Der Ort hätte kaum besser gewählt werden können, zählt doch das spätere Werk Franz Gertschs selbst zu den sublimen Positionen der Gegenwartskunst – derzeit findet in Tübingen eine Retrospektive zum Gertsch-Werk statt, die in Burgdorf bereits inszeniert wurde. Neben den Genannten begegnet der Besucher unendlich vielen Nuancen des sublimen Gedankens: Man muss das intellektuelle Moment miteinbeziehen, wo die Wahrnehmung an einem seidnen Faden hängt wie hier. Denn technisch gehen die Exponate weiter, als die Vorstellungskraft reicht, und weiter, als die Darstellbarkeit erlaubt. Man stelle sich nur das rohe Ei der Sander vor, dessen Schale einen Feinschliff erhielt, der dem Objekt scheinbar die Dichte eines Steins verleiht, der das Ei in Wirklichkeit aber nur umso zerbrechlicher werden lässt. Und Longos Kohlezeichnung lässt nachgerade das Nichts, das im Zentrum des tiefsten Schwarz nach außen drängt, aufleuchten – eine Bewegung, die erst im Gehirn des Betrachters anhebt. Dass der Katalog dennoch einen mehr als soliden Eindruck der fulminanten Schau vermittelt, ist der außerordentlichen Gestaltung von Gertrud Nolte zu verdanken, deren sog. »Botschaft« im Ranking der 50 Kreativ-Agenturen (2000) platziert ist.

 

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Im Kabinett öffnen sich die »Grenzgänge der Wahrnehmung« mit einem fast unfarbigen, in dunklem Braun schimmernden Bild von Mark Rothko, das mit einem roten Leuchtkasten James Turrells korrespondiert und ein Echo findet in der Arbeit von Markus Huemer, das den bezeichnenden Titel »Mit Rothko am anderen Ende der Zeit« trägt. Dem Raum mit einer Hommage an den Namensgeber des Museums, der unter anderem mit der Holzschnittfolge »Schwarzwasser« aufwartet, folgt eine Abteilung »Jenseits der Bilder«: Das eigentlich nicht mehr Darstellbare findet Ausdruck in Werken von Newman, Sander und Longo, darüber hinaus von Joseph Kosuth, der sich dem Titel allein schriftlich annähert, sowie dem indischen Bildhauer Anish Kapoor, einem der interessantesten Künstler unsrer Tage, und von Jahanguir, der Brancusis »Unendliche Säule« zitiert; Heribert C. Otterbachs »Argonauten« führen Longos schrecklich schöne Atomar-Abstraktion in eine beklemmende Vision der Wirklichkeit zurück, während der beachtenswerte chinesische Künstler Qiu Shihua aus dem Bild aussteigt – »Im Herzen die unendliche Leere, gibt es weder Kommen und Gehen... So sind auch meine Werke: einfach und blass, ruhig und leer«. Im Vergleich zu Newmans dynamischer Leere ahnt man die Dimensionen, die sich zwischen den vordergründig einträchtigen Werken auftun.

 

Einen Ort des Staunens markieren David Claerbout, Wolfgang Tillmans und Mariele Neudecker, die der »Metaphysik der Natur« nachgehen. Die Entdeckung der belgischen Künstlerin Claerbout, die in Deutschland wohl noch nicht allzu bekannt ist (2002 war sie in Hannover, 2004 in München zu sehen) mag man hier als sensationelle Entdeckung einstufen. Ihre auf Plexiglas aufgebrachte Landschaftsfotografie »Mist over Landscape« lotet die letzten Spuren gegenständlicher Kunst aus und verweist doch deutlich auf ihre Wurzeln in der deutschen Romantik – die ja eben in der Metaphysik locker den Sprung in die Gegenwart schafft. Es darf freilich der mystische Bezug nicht fehlen, dem sich eine weitere Abteilung der Ausstellung widmet, wobei der thematische Rahmen nicht allzu ernst zu nehmen ist; so klingt die Schau etwa mit dem »Unicorn Horn in the White Circle« - einem im Mittelalter als Einhorn-Horn gehandelten Narwalhorn – aus, das der Konzeptkünstler James Lee Byars in weiße Fliegerseide eingebettet hat. Allenfalls Jan Fabre beschwört mit seinem »Angel Wing with Cross« mystische Gedanken, allerdings angenehm säkularisiert durch Kugelschreiberskriptur und Cibachromepapier. Ansonsten beschränkt sich hier die Sublimität auf die Grenzen zum Kitsch und Kommerz (Sylvie Fleury, Christian Jankowski, Michael Raedecker) – fast möchte man witzeln, vor lauter Grenzgängen ins Grenzenlose hätte man dem symbolschwanger hochpolierten EI von Karin Sander ein desillusionierendes -NKAUFSWAGEN andichten wollen, den Fleury vergoldet und auf ein Drehpodest gestellt hat. Womöglich hätte der eine oder andere da lieber noch »Sublimeres« gesehen, Reinhardt, Ryman oder Twombly, doch gerade die Überschaubarkeit macht die Schau zum bleibenden Erlebnis. Wie auch immer – die Ausstellung gehört zum Feinsten, was man sich im Sommer gönnen sollte.

 

 

Öffnungszeiten

Dienstag bis Freitag: 11 - 19 Uhr, Samstag und Sonntag: 10 - 17 Uhr

Montag geschlossen

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