Mehr als eine Personalausstellung wollte man in Merseburg dem vor 1000 Jahren verstorbenen Bischof und Chronisten Thietmar widmen. Statt also en detail anhand urkundlicher und chronikalischer Quellen dem Leben des Adligen zu folgen, hat man es sich zur Aufgabe gemacht die Chronik des Merseburger Bischofs betretbar zu machen. Ob das gelingt, verrät Stefanie Handke.
Schon wieder eine dieser Personalien: Thilo von Trotha, Bernward von Hildesheim, und nun Thietmar von Merseburg, alles gespickt mit unzähligen Büchern und Urkunden, die der durchschnittliche Besucher dann doch nur in der Übersetzung am Ausstellungsbildschirm oder im auf das Nötigste runtergebrochenen Exponatstext erkunden kann. Das will man in Merseburg zum Glück anders machen. Ziel des Teams um Kurator Markus Cottin war es, die Chronik Thietmars von Merseburg »zum Sprechen zu bringen«. Also hat man sich nicht nur auf Schriftzeugnisse, ergänzt durch einige wenige Domschätze und Exponate aus umliegenden Museen beschränkt, sondern versucht Episoden aus der Chronik mit zum Teil äußerst selten gezeigten Stücken zu illustrieren.
Im Zentrum steht dabei freilich die Schrift: Der erste Raum ist ganz den Handschriften, aber auch neueren Übersetzungen gewidmet. Immerhin hat man es in Merseburg geschafft, erstmals alle Handschriften in einem Raum zu versammeln. Aber auch eines der herausragenden Beispiele mittelalterlicher Elfenbeinkunst präsentiert die Schau hier: die Wiener Gregorplatte, ein Elfenbeinrelief, das einmal einen Buchdeckel geschmückt haben muss. Dieser ist ebenso verloren wie die Handschrift, die er einfasste, lediglich die künstlerische Ausfertigung lässt sich noch bewundern. Im Zentrum der Darstellung steht dabei Papst Gregor mit dem Heiligen Geist in Form einer Taube auf der Schulter, die seine Worte inspiriert. Im unteren Segment zeigt sie drei Mönche, die dessen Worte kopieren, bei der Arbeit. In der prächtigen Architektur im oberen Bereich kann man den apostolischen Palast vermuten, wo Gregor seiner Arbeit nachgeht. Aber auch die Buchkunst selbst wird nicht vernachlässigt. Das berühmte T, das auch die Ausstellungsplakate ziert, ist selbstverständlich ebenfalls präsent: Im Sakramentar aus dem Besitz des Bischofs findet sich dieses aufgeschlagen und auch als Projektion daraus in der Schau.
Ausgehend von den erhaltenen Handschriften kann der Besucher sodann einen Spaziergang durch die Chronik selbst unternehmen, ganz wörtlich genommen gar, denn die Seiten der Handschrift sind allesamt auf den Wanddisplays abgebildet und wer ganz tief eintauchen möchte, der kann Transkription und Handschrift am Bildschirm vergleichen und lesen. Geordnet ist die Schau daher chronologisch; sie führt von Buch I bis zu Buch VIII der Chronik durch die ottonische Geschichte. Gespickt sind die Räume neben den Displays mit den Textseiten mit insgesamt 110 Exponaten aus verschiedenen Ländern. Insbesondere sollen diese Episoden aus dem Text erlebbar machen. So findet ich etwa auch slawische Schläfenringe, aber auch ein Tierkopf aus dem Oseberg-Fundkomplex bei Oslo, stellvertretend für den Kontakt mit Slawen und Wikingern, deren Christianisierung sich in ottonischer Zeit vollzog.
Faszinierend auch einige Silberschmiedearbeiten: Eine Schale zeigt etwa in acht biblische Szenen, aber es gibt auch Feinschmiedearbeiten wie den slawischen Ohrring, der ein Schlaglicht auf die Feinschmiedekunst im Osten des damaligen Ottonenreiches wirft. Ein ganz besonderes Kunstwerk ist die Darstellung eines Zwitterwesens aus Vogel und Frau in Form eines Anhängers, der sowohl an Pferdegeschirren als auch an der Tracht getragen wurde. Gemeinsam mit einem Spiegeltürchen – einer Elfenbein-Arbeit – werfen diese beiden kleinen, aber nichtsdestotrotz edlen Kunstwerke ein Schlaglicht auf das Kunsthandwerk um das Jahr 1000. Auch die Scheibenfibel aus einem Wikingergrab auf Hiddensee zeigt diese.
Freilich kommt keine Ausstellung über Kultur und Kunst des Mittelalters an der Sakralkunst vorbei. So zeigt die Schau auch die Kopie des sogenannten Basler Antependiums. Dieses gilt als Stiftung Heinrichs II., der gemeinsam mit seiner Frau Kunigunde hier zu Füßen Christi kniend dargestellt ist. Auch dieses war nicht nur ein Mittel der Memoria, sondern auch eines de Repräsentation des Herrschers, ebenso wie die herrschaftliche Jagd, die auf einer Pyxis aus dem Bayerischen Nationalmuseum detailverliebt dargestellt ist.
Die Stärke der Schau ist die Entscheidung des Kurators, statt einer Personalausstellung anlässlich des 1000. Todestags Thietmars von Merseburg den Blick von der Person auf das Werk zu lenken und mittels der überlieferten Inhalte eine kulturhistorische Schau ins Leben zu setzen. Auf diese Weise stehen neben den Schriftquellen nun auch zahlreiche kunsthandwerkliche und alltägliche Exponate im Vordergrund, die die Chronik bestens bebildern. Nichtsdestotrotz aber bleibt die Schau aber vor allem etwas für diejenigen, die den Inhalt oder zumindest die Zeit um das Jahr 1000 kennen, denn die bereitgestellte Transkription der Thietmar-Chronik wird wohl kein Besucher in Gänze lesen. Großes Lob gebührt aber den Bemühungen um möglichst breit gefächerte Exponate.