Ausstellungsbesprechungen

Thomas Lenk - Position beziehen, Galerie Schlichtenmaier Stuttgart, bis 22. Februar 2014

Thomas Lenk gilt als einer der eigenständigsten Bildhauer der konkreten Bildhauerei. Seine Schichtungen und ihr Spiel mit der Dreidimensionalität des Raumes sind legendär. Anlässlich seines 80. Geburtstages im letzten Jahr widmeten sich drei Ausstellungen in Schwäbisch Hall seinem Werk. Bewusst zeitlich versetzt dazu zeigt nun die Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart Werke des Minimalisten. Sie ist auch ein kleines persönliche Jubiläum, denn vor 20 Jahren stellte die Galerie erstmals Werke des Bildhauers aus. Günter Baumann hat sie sich angesehen.

Still ist es geworden um Thomas Lenk. Kaum ein Museum hat ihn auf der Agenda, wäre da nicht im letzten Jahr, als Lenks 80. Geburtstag anstand, die kleine Ausstellungstroika in Schwäbisch Hall gewesen. Er selbst kann nicht mehr arbeiten und hat sein legendäres Schloss, das er lange bewohnte, altersbedingt aufgegeben. Als sei es eine Art Verbeugung vor dem Pionier der aus simplen Industrieplatten, ja auch Bierdeckeln bestehenden Schichtungen, hat die Stuttgarter Galerie Schlichtenmaier eine späte Jubiläumsausstellung für den Bildhauer ausgerichtet – dort war er bereits fünf Mal zwischen 1994 und 2010 zu sehen, darunter auch einmal zusammen mit seinen künstlerischen Weggefährten Erich Hauser und Georg Karl Pfahler.

Die aktuelle Schau, die Plastiken, Grafiken und Zeichnungen umfasst, präsentiert Lenk nicht nur als einen der wenigen stilechten Vertreter des deutschen Minimalismus, wenn man nicht sagen will: dem einzig echten Minimalisten in Deutschland, sondern auch einen Künstler, der die moderne Bildhauerei insgesamt wesentlich bereichert hat. Letztlich kann man mit seinem Werk auch – anders als durch Joseph Beuys – die Begründung einer sozialen Plastik verbunden sehen. Für den ausgewiesenen Avantgardisten der 1960er Jahre im Südwesten Deutschlands war es fast ein hartes Los, auch im öffentlichen Raum Spuren zu hinterlassen, die jedoch aufgrund seines eingänglichen, auch dem Kunst-am-Bau-Gedanken kompatiblen Werks in der Anonymität der Alltagswahrnehmung ausliefen. Aufgrund des stiltypischen Formenvokabulars fühlt man sich allerdings in der Ausstellung vielfach an diese Präsenz im öffentlichen Raum erinnert.

Begonnen hat Lenk mit so genannten Dialektischen Objekten, die teils dem Surrealismus Giacomettis, teils der wissenschaftlichen Theorie eines Theodor W. Adorno verpflichtet waren. Um 1960 wandelte sich das amorph strukturierte frühe Werk zu einer konstruktivistisch geklärten Form, die sich ab 1964 zum unverwechselbar minimalistischen Stil entwickelt, der bis in unsere Gegenwart reicht. Die Dialektischen Objekte knüpften noch an archäologische Kultorte und archaische Gestaltungsmodi an, wobei der Titel auf die Verortung der Plastiken im Raum und die gesellschaftlichen Positionierung des Menschen in Bezug zu ihnen verwies.. Mit seinen Mitte der 1960er Jahre einsetzenden Schichtungen setzte er das optisch schwindende Volumen in Gegensatz zu seinen früheren kernplastischen Körpern. Sein Handlungsraum entspricht dabei der Erkundung des realen Raumes im materiellen Widerspiel von gegossenen Betonblöcken und metallenen Elementen. Dies wird auch ersichtlich in den dichten Bleistift- und Kugelschreiberzeichnungen, die das Werk begleiten: Anfangs noch als bedrängende Schwärzung mit nervösen Auflösungsstrukturen an den Flächenrändern aufs Blatt gesetzt, findet Lenk zu bewegten Schraffuren, die sich rhythmisch, fast beschwingt in das Bildformat fügen, bis hin zu zeichen-haften Linienführungen.

Mit den 1964 einsetzenden »Schichtungen« bringt Lenk seine künstlerische Absicht auf einen vollkommen neuen Weg – inspiriert vom einfachen Spiel übereinander gelegter Bierdeckel. Die Plastiken fügen sich nun aus gleichartigen, seriell vorgefertigten Scheiben zusammen, die in ihrer reliefartig aufgebauten Struktur, frontal betrachtet, Tiefe suggerieren. Die einfachen geometrischen, genormten Formen zeigen sich in klarer Staffelung und ergeben Reihenformationen von suggestiver Wirkkraft. Die einzelnen Elemente bilden einen neuen Zusammenhang, der dem Rhythmus der Grundformen verpflichtet ist. Die übergreifende, insbesondere vom Rechteck mit gerundeten Ecken, verschiedentlich auch vom Kreis oder vom Dreieck bestimmte Gestaltung, verbunden mit der flach hintereinander versetzten Reihung, wird zum Markenzeichen im Schaffen des Künstlers.

Die »Schichtungen« verunsichern durch ihre schwarzen, weißen oder silbrigen, später auch mit Tagesleuchtfarbe bemalten Frontplatten die Wahrnehmung von Fläche, Körper und Raum. Die beim Betrachten entstehende Irritation wird dabei allein durch technische, analytische Mittel hervorgerufen – etwa durch die Verunklärung der Entfernungs- und Größenverhältnisse oder durch Vortäuschung von Bewegung. Die Frontplatten bestimmen einerseits die räumliche Disposition, sie intensivieren andererseits aber auch die räumliche Illusion. Der Betrachter wird dadurch zum Umschreiten der Plastik animiert, zugleich erkennt er aber auch in der Seitenansicht die Begrenztheit des zerlegten Kernvolumens der Plastik. Die Diskrepanz zwischen der empfundenen Tiefe (»Effektansicht«) und der tatsächlichen Flachheit (»Banalansicht«) stellt die Wahrnehmungsqualität des Raumes an sich und im Verhältnis zur Plastik in Frage. »Die beste erste Reaktion«, so Lenk, »ist der Einwand: ›Da stimmt etwas nicht‹.«

Mit seinem Freund Georg Karl Pfahler beabsichtigte Lenk, die Kunst als einen wesentlichen Bestandteil der Gesellschaft zu etablieren. Um dies zu gewährleisten, sollte Kunst vor allem verständlich und breit diskutierbar sein. Deshalb galt es, für die Kunst allgemein gültige Regeln zu definieren, sie vor allem von Mythen und romantisierenden Stimmungen zu befreien. Diese Vorstellungen basieren auf einer Kunstauffassung, die auf einem klaren, rational nachvollziehbaren Fundament aufbaut, mit der Tradition der Konkreten Kunst in enger Beziehung steht und die Grundlagen bildnerischen Wirkens erkundet.

Dieses Ziel verfolgt Lenk insbesondere mit seinen Schichtungen, die ein absolutes Neuland für die Plastik darstellt – er betrat damit eine international beachtete Bühne. Der schier unerschöpfliche Reichtum des minimalistischen Formenrepertoires vermag bei der Betrachtung seiner Werke die Phantasie auch noch im Informationszeitalter des 21. Jahrhunderts zu reizen.

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