Buchrezensionen

Thomas Schauerte: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch, Klinkhardt & Biermann 2015

1496 eröffnete die Nürnberger Poetenschule, zur selben Zeit traf Albrecht Dürer mit dem Humanisten Konrad Celtis zusammen. Das hatte Folgen für Albrecht Dürers Kunst. Welche, das untersucht Thomas Schauerte in seiner Analyse vor allem anhand dreier Holzschnitte und stellt sie in einen neuen Kontext. Spunk Seipel ist seinen Gedanken gefolgt.

Mit einer vermeintlichen Sensation brachte es Thomas Schauerte mit seiner neuen Studie über einige wenige Werke von Albrecht Dürer in die bundesweiten Feuilletons. Schauerte hat einen unbekannten Dürer entdeckt – so lasen sich die Titelzeilen. Handelt es sich dabei um eine der vielen Neuzuschreibungen eines bislang als eher unbedeutend eingestuften Kunstwerks zum Werk eines der ganz Großen der Kunstgeschichte? Nein! Hier geht es nicht um eine den Marktwert steigernde Expertise oder die Profilierungssucht eines Kunsthistorikers. Die Neuzuschreibung des kleinen Druckersignets für den Leipziger Konrad Kachelofen erweckt zwar Aufsehen, steht aber beileibe nicht im Mittelpunkt des Buches. Sie ist nur ein Teil der Analyse des Leiters des Albrecht Dürer Hauses über den Einfluss des Humanisten Konrad Celtis auf das Werk von Albrecht Dürer.

Konrad Celtis ist für viele heute ein unbekannter Humanist. Er wurde 1459 in Wipfeld am Main geboren und starb 1508 in Wien. Eine rege Reisetätigkeit durch halb Europa und ein vortreffliches Netzwerk zeichnen sein Leben aus. Viele seiner literarischen Projekte blieben allerdings in einer Planungsphase stecken und wurden nie realisiert. Dennoch wurde er 1487 auf dem Nürnberger Reichstag von Kaiser Friedrich III zum Poeta laureatus gekrönt. In Nürnberg verfolgte er auch, unterstützt durch lokale Humanisten, die Idee eine Poetenschule zu gründen.

Schauerte konzentriert sich in seinem Buch auf den potentiellen Einfluss von Celtis auf Dürer. Celtis entwarf den intellektuellen Überbau für drei Holzschnitte, die ein ideales Bildungsideal für die geplante Poetenschule darstellen. Selbst das Herkulesgemälde von Dürer wird dadurch in einen neuen Kontext gestellt. Die drei Holzschnitte, „Ercules“, „Das Männerbad“ und „Reiter und Landsknecht“ wurden von der Forschung trotz ihrer fast identischen Maße und auch kompositorischer Zusammenhänge bislang nicht als ein Tryptichon gesehen. Im Gegenteil, Koryphäen der Dürerforschung wie Erwin Panofsky und andere taten diese Arbeiten als belanglose Genreszenen ab.

Doch Schauerte erkennt in „Reiter und Landsknecht“ ein komplexeres Motiv. Der Reiter soll Alexander der Große in Indien sein, der zu weissagenden Bäumen reitet. Mit literarischen Quellen belegt Schauerte seine These und klärt bislang nicht zu deutende Aspekte der Komposition. Die Schwierigkeiten, die der heutige Betrachter beim Anblick des alten „Alexanders“ hat, stehen im Widerspruch zum Alexanderbild zu Zeiten Dürers. Damals wurde der Eroberer oft als Monster und alter Mann dargestellt.

Das zentrale Blatt im Triptychon, aber auch in der Untersuchung von Thomas Schauerte ist jedoch »Das Männerbad«, ein Werk, an dem sich Generationen von Wissenschaftlern in der Deutung abgearbeitet und doch nie eine schlüssige Deutung gefunden haben. Schauerte erkennt in dem Melancholiker zur linken Seite des Blattes einen Syphiliskranken. Hinweis dafür ist u.a. der berühmte Hahn vor seinem Geschlecht, ein zu damaliger Zeit bekanntes Synonym für die neue Krankheit. Der dickliche Trinker auf der rechten Bildseite ist Bacchus. Trinken galt als eine der wenigen Heilmethoden gegen diese schreckliche neue Krankheit. Zwischen diesen beiden stehen zwei Musiker, die als Merkur und Apoll gedeutet werden, während im Vordergrund Sokrates und sein Schüler Platon im Gespräch vertieft sind. Im Hintergrund will Schauerte sogar den Stadtheiligen Sebaldus erkennen, der dem Quell der Poesie entgegeneilt und Nürnberg zum Zentrum eines intellektuellen Neuanfangs formen soll.

Doch Schauerte geht noch einen Schritt weiter. Er versucht durch die wenigen erhaltenen Porträts der damaligen Zeit Vergleiche zu den Männern im Bad herzustellen und erkennt in Platon Celtis und ihm gegenüber seinen wichtigen Förderer Sixtus Tucher als Sokrates. Hinter dem Zaun steht, beileibe keine neue These, Albrecht Dürer. Er muss außerhalb des illustren Kreises aufgrund seiner mangelnden Lateinkenntnisse bleiben.

Es ist eine radikale Neudeutung, die Thomas Schauerte hier vorlegt. Er beweist in seinen Bildbeobachtungen dabei einen sehr genauen Blick. Seine Thesen sind aufgrund der zahlreichen literarischen Quellen schlüssig und werden in künftigen Diskussionen über die Dürerwerke nicht ignoriert werden können. Die Qualität der Beweisführung ist, dass Schauerte deutlich klar macht, wie er zu seinen Schlüssen kommt und auch offen die Stellen klarlegt, an denen potentielle Kritiker seiner These Widerspruch einlegen könnten. Das ist eine respektable Leistung und zeigt, dass Schauerte sich sicher ist.

Dieses Buch, obwohl es für ein Fachpublikum geschrieben wurde, ist gut lesbar und zuweilen sogar spannend. Es liefert einen wichtigen Einblick in ein vergessenes Kapitel deutscher Geistesgeschichte. Ein neuer Dürer? Ja, das auch. Aber die Leistung der Arbeit von Schauerte geht weit über diese Entdeckung hinaus.

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