Interviews

»Tick Tick Boom«: Musikvideos, Ikonoklasmus und Kritik

Viele zeitgenössische Künstler arbeiten mit Videos. Die kunsthistorische Forschung reagiert allerdings noch etwas zögerlich auf das neue Medium. Mit seinem Vortrag »Musikvideo als Bilderstürmerei? Zum kunstkritischen Potenzial des Videoclips« informierte Matthias Weiß auf dem Kunsthistorikertag in Greifswald über den Forschungsgegenstand. Rowena Fuß hat ihn zum Gespräch getroffen.

Rowena Fuß: Herr Weiß, nun hat zwar Herr Bredekamp gesagt, dass die Frage obsolet sei, doch für andere Kunsthistoriker scheint sie relevant: Warum gehört das Musikvideo zu den Untersuchungsgegenständen der Kunstgeschichte?

Matthias Weiß: Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum sich die Kunstgeschichte dem Musikvideo zuwenden sollte. Allem voran halte ich das Musikvideo selbst für eine Kunstform, die sich aus der Visuellen Musik der 20er und 30er Jahre herleiten lässt, die aber auch das Musiktheater televisuell umsetzt und weiterführt. Dass das Musikvideo als Kunstform begriffen werden kann, spiegelt eine 1985 im MoMA präsentierte Ausstellung wider, bei der eine Auswahl von 35 Clips gezeigt wurde. Das MoMA hat also kurz nach dem Sendestart von MTV erkannt, dass sich etwas Neues in der Kunstszene tut, und widmete diesem Phänomen eine eigene Schau.

Also war es ein Museum, das den Gegenstand für die kunsthistorische Erforschung legitimiert hat?

Ja.

In den von Ihnen vorgestellten Videos von The Hives und den No Angels – »Tick Tick Boom« und »Rivers Of Joy« – werden die Kunstwerke eines Museums zerstört. Wie ist das zu bewerten?

Im Video von den Hives handelt es sich um eine rebellische Geste, die gegen die Institution Museum sowie die dort versammelten und als überholt angesehenen Werke gerichtet ist. Gleichzeitig ist es auch ein Verweis auf einen allgemeinen Gestus des Rock 'n' Roll, der vorgibt, mit Traditionen zu brechen, das Althergebrachte zu zerstören. Die No Angels hingegen knüpfen mit ihrem Auftritt als lebende Statuen an den Pygmalion-Mythos an. Ihr Video dient letztlich der Aufwertung des eigenen künstlerischen Schaffens.

Könnte dieser Bildersturm auch Ausdruck eines Paragone zwischen den bewegten Bildern des Films und den statischen der anderen Künste sein?

Wenn dieser Wettstreit der Medien tatsächlich stattfindet, ist er bei den Hives deutlicher artikuliert als bei den No Angels. Erstere sind die jungen Wilden, die ihr Video benutzen, um ein neues Zeitalter einzuläuten, indem sie die Vergangenheit – symbolisiert durch das Museum – in die Luft sprengen.

Hört sich für mich auch wie eine Kritik an. Welches kunstkritische Potenzial steckt im Musikvideo?

Das kann ich nicht pauschal sagen. Man muss das im Einzelfall entscheiden. Bei Madonna beispielsweise ist es so, dass sie aus einer feministischen Perspektive Bilder neu formt oder überformt.

Können Sie das genauer erklären?

Die Videos von Madonna sind konzeptuell stark durchgearbeitet, besonders was die Verschränkung von Text-, Bild und Musikebene anbelangt. Aber auch, was die Auswahl von Vorbildern und die Auseinandersetzung mit diesen betrifft. Zitate oder weniger eindeutige Bezugnahmen ergeben Sinnverschiebungen, die man durchaus als Kritik – etwa an konventionellen Geschlechterbildern – verstehen kann.

Wie steht es mit dem von Ihnen ebenfalls vorgestellten Clip von Marilyn Manson? In »The Dope Show« präsentiert er sich als androgyne Glam-Rock-Diva, die alles Mögliche über sich ergehen lässt, um erfolgreich zu sein. Auf der einen Seite kritisiert Manson also den Verwertungsmechanismus des Musikbusiness, auf der anderen Seite bedient er ihn – denn natürlich hat der Clip den Zweck, Aufmerksamkeit für seine Person bzw. Platte zu generieren. Ist das nicht ein Widerspruch, der die geübte Kritik ad absurdum führt?

Manson ist genau wie Madonna gefangen in einer Aporie aus Kritik und Bestätigung. Beide legen dies jedoch offen, zeigen damit, dass sie keine Wahl haben. Was hier zutage tritt, ist kein spezielles Problem des Musikvideos, sondern eines der systemimmanenten Kritik. Wenn ich innerhalb eines Systems Kritik übe, muss ich bis zu einem bestimmten Grad dessen Maßgaben erfüllen. Ansonsten stehe ich außerhalb. Die Strategie ist demnach, das System für sich zu nutzen und zugleich die Strukturen aufzudecken. Ob der Anspruch tatsächlich darin besteht, es zu ändern, bleibt fraglich. Zumindest legen beide den Finger in die Wunde.

Madonna ist seit etwa 30 Jahren im Geschäft, Marilyn Manson seit 24. Was macht ihre Videos so interessant, dass sie immer noch konsumiert werden?

Ihre Musikvideos funktionieren auf verschiedenen Verständnisebenen: einer basalen, für die breite Masse tauglichen und mehreren tiefer gehenden Ebenen. Gerade bei intensiverer Beschäftigung kann man immer mehr layer erkennen. Diese Erfahrung habe ich nicht nur im Rahmen meiner Dissertation, sondern auch in einem Schülerprojekt gemacht, in dem ich mit den Jugendlichen einige Videos von Madonna analysiert habe.

Stichwort Zusammenarbeit: Wird durch die Intermedialität des Musikvideos (Bild, Text, Musik) eine stärkere Vernetzung der Disziplinen angeregt? Ich denke da an die Medienwissenschaft, Musikwissenschaft, Germanistik, aber auch an die Kulturwissenschaft.

Tatsächlich wäre das der Idealfall. Gerade eine solide musikwissenschaftliche Analyse der Songs bleibt dem Kunsthistoriker verwehrt, weil er keine geeignete Begrifflichkeit und Methodik besitzt. Den Musikwissenschaftlern fehlt es dagegen an einer ausreichenden Bildkompetenz.

Findet diese Vernetzung statt?

Ja, aber zu wenig.

Woran liegt das?

Dass man sich als Kunsthistoriker zunehmend mit Film beschäftigt, stößt in der Filmwissenschaft nicht immer auf Gegenliebe. Es ist manchmal schwierig, einen Dialog herzustellen. Hinzu kommt, dass wir nur vermeintlich dieselbe Sprache sprechen. Wir verwenden in den Geisteswissenschaften zwar dieselben Begriffe, jede Disziplin hat jedoch ihre eigenen Definitionen. Das schafft Kommunikationsprobleme, die zuerst beseitigt werden müssen. Grundsätzlich aber sollte der fremde Blick auf das eigene Forschungsgebiet als Ergänzung gesehen werden, nicht als Konkurrenz. Schließlich können beide Disziplinen dadurch nur gewinnen.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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