Ausstellungsbesprechungen

To the Museum of Modern Dreams – Künstlerpositionen der 1960er bis 1980er Jahre, Staatsgalerie Stuttgart, bis 30. September 2012

Fast andächtig nähert man sich den hochrangigen postmodernen Werken, die präsentiert werden. Doch eigentlich wirft die Ausstellung einen Blick in die museale Zukunft. Sie macht deutlich, dass kuratorische Träume ohne die Unterstützung durch Stifter und Mäzene nicht denkbar sind. Günter Baumann berichtet über wunderbare Entdeckungen.

Die Auswahl aus den Sammlungen des »Vermächtnisses Günther und Renate Hauff« und der »Konrad Kohlhammer-Stiftung« ist ohne Frage ein Gipfel dessen, was es an Leihgaben in der Staatsgalerie gibt: Insgesamt bereichern etwa 800 Grafiken des Hauff-Bestandes sowie um die 1800 Arbeiten der Kohlhammer-Stiftung die Graphische Sammlung des ersten Hauses in Stuttgart. Dass das Museum diesen Stiftern eine so noble Schau ohne marktschreierische Aufregung ausrichtet, ist da gut nachvollziehbar, ja löblich. Ein großes Verdienst kommt hierbei der Kuratorin Corinna Höper zu, die mit Bedacht, außerordentlicher Kennerschaft und Herzblut für die öffentliche Präsenz der Druckgrafik streitet. Das titelgebende Werk von Robin Page, 1973 entstanden, gibt symbolhaft die würdevolle Größe, aber auch die Unauffälligkeit der Schau an. Zum einen lugen grandiose Arbeiten aus dem Fundus heraus, zum andern findet gerade die Druckgrafik zu wenig Publikum, bleibt allzusehr im Verborgenen. Dem Museum ist hier noch am wenigsten ein Vorwurf zu machen, es geht mehr um die Ignoranz in der Rezeption, die immer noch nicht wahrhaben will, dass hier wunderbare Entdeckungen zu machen sind.

Die Presse reagierte relativ verhalten auf die Ausstellung, und die Öffentlichkeit orientiert sich nach wie vor am großen Event, das selten genug in der Grafik zu erwarten ist. Wer die aktuelle Ausstellung jedoch gesehen hat, dürfte gespürt haben, dass die Arbeiten zum schönsten gehören, was die Staatsgalerie zu bieten hat, freilich auch unterstützt von Gemälden, die dem in der Regel kleineren Format der Grafiken einige Rückendeckung gibt.

Die Ausstellung ehrt zwar zwei Sammler, lässt ihre durchaus verschiedenen Schwerpunkte jedoch gemeinsam wirken. Den Spezialisten, die ihr Augenmerk gerade auf die Sammlungsgewichtung legen, mag das hinderlich sein, aber der laienhafte Betrachter wird sich durchaus mitreißen lassen durch die Kraft der verdoppelten Präsentation, mehr noch: die Gemälde aus dem Besitz der Staatsgalerie flankieren die Schau in einer weiteren Potenz. Da der Bespielungszeitraum die 1960er bis 1980er Jahre umfasst, liegt der größte Genuss sicher bei den Besuchern um die 50, die in diesen Jahrzehnten von der Kunst infiziert wurden: So wird der eine oder andere den Atem anhalten bei Meilensteinen der Kunst wie dem aus der Serie herausfallenden »Patti Smith«-Bild von Franz Gertsch – neben vier Gemälden, die die Rock-Ikone bei einem Auftritt zeigen, deren zugrundeliegenden Fotografien die Künstlerin wegen des Blitzlichtgeflackers bei der Aufnahme in Rage versetzten, entstand dieses fünfte, ergreifende Bild später, als Patti Smith sich mit Gertsch versöhnt hatte. Freuen dürften sich auch manche Kunstfans mittleren Alters über das mythenschwere Ölgemälde von Enzo Cucchi, »Paesaggio Barbaro« (1983), denn um den italienischen Star der 1980er Jahre ist es ziemlich ruhig geworden – doch die immense Eindringlichkeit seiner Werke ist immer noch erstaunlich.

Die Auswahl aus den besagten Sammlungen umfasst 140 Blätter von über 20 Künstlern, die nicht nur den Stolz der Staatsgalerie offen zur Schau tragen, sondern auch – so ist das Titelmotto vom Museum der modernen Träume, wie es auf der Verpackungskisten-Parodie von Robin Page zu verstehen – den Wunsch und die Notwendigkeit ausdrücken, weitere Mäzene, Stifter und Sammler zu gewinnen, ohne die ein Museum bei den heutigen Sparzwängen keine großen Sprünge mehr wagen kann. So verbinden sich in der Ausstellung das legitime Bedürfnis nach künftigen Zuwendungen wie das Gedenken an verdiente Sammlerpersönlichkeiten – Renate Hauff starb 2010, Konrad Kohlhammer 2011.

Die vielen Höhepunkte der Ausstellung gipfeln in den Werken von Cy Twombly und Barnett Newman. Die geheimnisvolle zeichenhafte Sprache Cy Twomblys brilliert in der imaginären »Natural History«, Teil 1 (»Mushrooms«; Teil 2 befasst sich mit »Some Trees«), einer Naturgeschichte, die im Gewand naturwissenschaftlicher Systematik faszinierende Chiffren generiert, die für die Suche nach Erkenntnis und Wahrheit stehen. Überwältigend sind Barnett Newmans 18 Blätter aus der Serie der »Cantos«. Die Lithographien von 1964 sind die einzigen farbigen Grafiken, die der Künstler geschaffen hat. »Hier sind die Cantos«, schrieb Newman dazu, »jeder einzelne verschieden in Form, Stimmung, Farbe, Maßstab, Tempo und Tonart… Aber die größte Wirkung, scheint mit, erreicht jedes, wenn es zusammen mit den anderen gesehen wird«. Man kann dem nur zustimmen, denn gemeinsam entfalten die Blätter einen Gedankenraum nahe an der »symphonischen Dichtung« – bewusst fallen Musik, Poesie und Kunst ineins – , der selbst im Museumskontext zum Andachtsraum mutiert. Weitere Glanzstücke der Ausstellung stammen von Gotthard Graubner, Gerhard Hoehme, Edward Kienholz, Jannis Kounellis, Robert Motherwell, A. R. Penck und Emil Schumacher.

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