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Die Deichtorhallen Hamburg zeigen noch bis zum 11. November 2015 in Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe die erste große Retrospektive von Lynn Hershman Leeson. Die 1941 geborene US-Amerikanerin gilt als eine der einflussreichsten Medienkünstlerinnen – und die Ausstellung beweist, warum. Andrea Richter hat sie sich angesehen.

Eine filzig grau gewordene, ehedem blonde Perücke, daneben eine kleine Handtasche aus verblichenem grünem Kunstleder, eine braune Sonnenbrille mit großen Gläsern, ein Block mit Blanko-Schecks und ein Ausweisdokument aus dem Jahr 1974, ausgestellt auf den Namen Roberta Breitmore. Ein Zeitungsausriss liegt daneben: zwei Absätze über die inflationäre Zunahme an gefälschten Ausweisen, das Papier vergilbt.

Die kleine Vitrine im ersten Stock der Sammlung Falckenberg zeigt einen Teil der Hinterlassenschaften von Roberta Breitmore. Diese Kunstfigur war fünf Jahre lang Lynn Hershmans Alter Ego, ihre zweite Identität. Als Roberta gab sie Kontaktanzeigen auf, ging zum Therapeuten und beantragte Kredite. Ausgestattet mit ihrer Identität entwickelte die Künstlerin in einer Langzeit-Performance die Biografie einer jung geschiedenen Frau im amerikanischen Westen der frühen siebziger Jahre. »Roberta Breitmore« wurde zur Studie über eine ganze Generation von Frauen und deren Emanzipationsversuche. Die intermediale Werkreihe gilt heute als eine der ersten künstlerischen Auseinandersetzungen mit virtueller Identität.

Bereits 1963 war Lynn Hershman nach Kalifornien gezogen, elektrisiert von den politischen Strömungen der damaligen Zeit, den Studentenprotesten und den Anfängen der Frauenbewegung. Sie lebte mit den Hippies von Haight-Ashbury und war fasziniert von der technologischen Revolution im Silicon Valley. Alles schien möglich damals, auch in der Kunst. Doch ihre erste Ausstellung wurde ein Fiasko. Nachdem der Museumsleitung klar wurde, dass sie keine hübschen kleinen Zeichnungen, sondern ihre »breathing machines« zeigen wollte, schwarz umhüllte, wächserne Masken, die – elektronisch gesteuert – hässliche Atemgeräusche machten und sich dabei bewegten, wurde die Schau geschlossen. Für eine junge Frau, die Medienkunst machen wollte, war damals kein Platz in einem etablierten Museum.

Es sollte beinahe vierzig Jahre dauern, bis Lynn Hershman Leesons Kunst salonfähig wurde. Inzwischen sind ihre Arbeiten im MoMA zu sehen, in der Tate, im ZKM. Mehr als 200 Exponate zeigt die Sammlung Falckenberg, nur die wichtigsten Arbeiten aus fünf Jahrzehnten, weniger als ein Drittel der ursprünglichen Ausstellung, die Ende vergangenen Jahres, kuratiert von Peter Weibel, im ZKM präsentiert wurde. Vom Knopf, den Roberta Beitmore bei ihrer Flucht vor fünf aufdringlichen Männern aus einem Vergnügungspark verlor (und niemals wieder fand, wie ein kleiner maschinengeschriebener Text erzählt) bis hin zu Großprojektionen von »Teknolust« mit Tilda Swinton und »WAR!- Women Art Revolution«, einer preisgekrönten Dokumentation über feministische Kunst in den USA reicht die Spanne der ausgestellten Werke. Auf drei Stockwerke verteilt finden sich Fotografien, Videos, Installation, internet- und netzbasierte Medienkunst. Wie »Agent Ruby«, eine interaktive Installation, ein Avatar, dessen kommunikative Fähigkeiten mit jedem weiteren Besucher-Chat zunimmt. Oder »Lorna«, die erste interaktive computerbasierte Installation überhaupt aus dem Jahr 1983. Der Film »Teknolust«, mit Tilda Swinton, zehn Jahre später, kreist um die Themen Cyber-Identität, künstliche Intelligenz, sowie die Entkopplung von Sexualität und menschlicher Fortpflanzung.

In ihren jüngsten Arbeiten bezieht die 1941 geborene Amerikanerin nicht nur Roboter und Massenkommunikationsmittel wie Smartphones mit ein. Mit der erstmals präsentierten Installation »Infinity Engine« rückt sie auch neueste wissenschaftliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Genetik und der regenerativen Medizin in den Fokus – einschließlich 3-D-Biodrucker, die Teile des menschlichen Körpers nachbauen können.

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