Ausstellungsbesprechungen

Toutes Directions – Le Prix Marcel Duchamp, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, bis 11. Januar 2015

Seit vierzehn Jahren wird der Prix Marcel Duchamp an junge Künstler vergeben, die sich ganz dem Namensgeber des Preises mit Konzeptkunst hervortun. Dabei treffen die unterschiedlichsten Positionen aufeinander, wie die Schau im Wilhelm-Hack-Museum beweist. Marco Hompes hat sie sich angesehen.

Der mit Kunstpreis »Prix Marcel Duchamp« geht in diesem Jahr an den französischen Künstler Julien Prévieux. Seit 2000 verleiht die Adiaf (Association pour la Diffusion Internationale de l'Art Français) den Preis, der neben dem Preisgeld auch eine Einzelausstellung im Centre Georges Pompidou in Paris beinhaltet.

Der 40-jährige überzeugte die internationale Jury mit seinem Projekt »What Shall We do Next« (2006 – 2011). Darin beschäftigt er sich mit der Reglementierung scheinbar alltäglicher Gesten. Ein Teil des Projekts beinhaltet die Visualisierung von Handbewegungen, die beim US-amerikanischen Patent- und Markenamt zwischen 2006 bis 2011 eingingen. Hintergrund ist die Entwicklung neuer Geräte wie Smartphones, Computerkonsolen oder Tablets, bei der spezifische Bewegungsmuster notwendig sind. Prévieux löste diese aus ihrem Gebrauchszusammenhang und präsentierte sie in schematischen Darstellungen als animierten Film. Die Privatisierung und Kommerzialisierung des Menschen sind Themen, die sich immer wieder im Werk des geborenen Grenoblers finden. Wer sich davon überzeugen will, muss nicht bis nach Frankreich reisen, sondern kann sich die Ausstellung anschauen.

Schon knapp einen Monat vor Bekanntgabe des Preisträgers eröffnete die Schau mit Arbeiten aller diesjährigen Nominierten, vier ehemaliger Preisträger und einer ehemaligen Preisträgerin. Ein Ziel der Ludwigshafener Werkschau ist es, Parallelen zum Namen gebenden Marcel Duchamp herauszuarbeiten. Dabei legten die Ausstellungsmacher einen besonderen Schwerpunkt auf neue Interpretationen des Readymade sowie deutlich konzeptuell ausgerichtete Arbeitsweisen.

Diese sind allerdings nicht immer besonders überzeugend. So beginnt der Rundgang durch die Präsentation mit drei Arbeiten von Théo Mercier. Eine davon heißt »Archéologie pour les chiens« (Archäologie für die Hunde) und stammt aus dem Jahr 2013. Hierfür sammelte der Künstler Spielzeug, Futter und Zahnpflegeobjekte für Hunde, die allesamt die Form von Knochen haben, und befestigte diese in einem verglasten Schaukasten. Das bewusste Zitieren ethnologischer oder naturwissenschaftlicher Präsentationsformen soll den Betrachter zum Nachdenken über das Objekt animieren. In diesem Fall soll ein Missverhältnis zwischen natürlichen Gegenständen und industriell gefertigten Imitationen offengelegt werden.

Eine ähnlich wissenschaftlich wirkende Ästhetik tritt auch bei den Beiträgen von Evariste Richer zu Tage. Ausgangspunkte seiner Arbeiten sind häufig naturwissenschaftliche Vermessungstechniken, die er meist mit ironischem Augenzwinkern neu interpretiert. Dazu gehört eine Reihe von 80 Drucken, die unter dem Titel »Atlas Ellipticalis« (2012) einen Blick in den Himmel werfen. Zu Grunde liegt der Arbeit der Sternenatlas des tschechischen Astronomen Antonín Bečvář von 1958, den der junge französische Künstler kopierte. Das wiederum mag einigermaßen absurd erscheinen, da die Sternenkoordinaten sich in der Realität immer weiter verschieben. Erschwerend kommt hinzu, dass Richer die Grafiken spiegelverkehrt reproduzierte. Was also versucht der Künstler festzuhalten und welches Wissen ist legitim, wenn sich unsere Betrachtung der Welt ständig wandelt? Solche Fragen stellt der Pariser Künstler auch dann, wenn er in seiner Arbeit »Coprolithe« von 2009 angebliche Dinosaurierexkremente nebst braunen Adidasschuhen präsentiert.

Ebenfalls nominiert waren in diesem Jahr Florian und Michaël Quistrebert, die sich in ihren Arbeiten mit den Möglichkeiten der Malerei beschäftigen. Aus ästhetischer Sicht zitieren sie hierbei formalistische Bildproduktion aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese entstehen bei den zwei Brüdern aber nicht durch den Auftrag von Farbe auf eine Leinwand. Stattdessen kommen hier Bleichmittel, Gesso, C-Prints und neuerdings sogar LED-Lämpchen zum Einsatz.

Im Vergleich hierzu wundert es nicht, dass Prévieux mit dem begehrten Kunstpreis ausgezeichnet wurde. Sein ausgestelltes Video »Anomalies construites« (2011) gehört zu den Highlights der Ausstellung. Das Video zeigt in ruhigen Kamerafahrten ein Großraumbüro, in dem zahlreiche Computer stehen. Der eigentliche Inhalt wird durch ein Voice-Over wiedergegeben. Darin geht es um das kostenlose Google SketchUp, eine Open-Source-Plattform, mit der dreidimensionale Entwürfe angefertigt werden können, die beispielsweise auch unter Google Earth zu nutzen sind. Aus zwei Erzählperspektiven wird ein kritischer Blick auf das Programm geworfen. Auf der einen Seite ermöglicht es kreativen Köpfen, ihre Ideen zu verwirklichen. Auf der anderen Seite macht sich Google diese Arbeit zu Nutze, ohne dafür den Urhebern einen Lohn zahlen zu müssen.

Was Prévieux in diesem Video anspricht, ist ein Diskurs, der heute immer wichtiger wird: In zahlreichen Bereichen der Wirtschaft, der Kultur und des Vereinswesen wird mit Volonteers, schlecht und gar unbezahlten Freiweilligen gearbeitet. Der Künstler konzentriert sich genau auf diese zunehmende Rationalisierung des Arbeitsmarkts. Deutlich machte Prévieux dies bereits mit seinen Non-Motivation Letters, mit denen er bekannt wurde. Dieses Projekt basiert auf »Bewerbungen«, die der Künstler verschiedenen Firmen schickte und in denen er nicht sein Können und seine Fähigkeiten anpries, sondern vielmehr seine fehlende Motivation erläuterte. Oft erhielt er standardisierte Antworten, die er dann zusammen mit den Anschreiben ausstellte. Die Ergebnisse dieser situationistisch wirkenden Herangehensweise sind gleichermaßen erschreckend und amüsant.

Im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen entschied man sich dazu, die Werke der Nominierten zusammen mit ausgewählten Arbeiten ehemaliger Preisträger zu präsentieren. Die Kuratoren wählten hierfür Latifah Echakhch (2013), Mircea Cantor (2011), Saâdane Afif (2009), Laurent Grasso (2008) und Mathieu Mercier (2003). Besonders erwähnenswert ist dabei Afifs Beitrag, der in seinem Werk Bedingungen der heutigen Kunstproduktion hinterfragt. Sein konzeptueller Ansatz wird in der ausgestellten Reihe »Fountain Archives« (seit 2008) deutlich. Zu sehen sind 144 gerahmte Buchseiten, auf denen Marcel Duchamps berühmtes Readymade »Fountain« zu sehen ist. Wie das bekannte umgedrehte Pissoir, so ist auch Afifs Arbeit simpel in der Umsetzung. Inhaltlich bietet es jedoch zahlreiche Aspekte, die Fragen nach Urheberschaft, künstlerischer Authentizität und Wissenstransformation beinhaltet. Mittlerweile umfasst das Archiv 500 Dokumente. Darunter finden sich auch schon Abbildungen von Afifs Installation, die nun die Reproduktion eines Bildes einer Kopie eines Remakes eines Readymade sind. Das jedenfalls gibt viel Stoff zum Nachdenken.

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