Ausstellungsbesprechungen

Über Wunschvorstellungen und verpasste Chancen. Zwei Ausstellungen in Erfurt und Weimar widmen sich dem Schaffen Henry van de Veldes

Der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde mag mit bahnbrechenden Leistungen die Entwicklung der modernen Kunst beeinflusst haben, doch blieb eine ganze Reihe von Ideen eine Utopie. Das Erfurter Universalmuseum ist so ein Fall, der über das Reißbrett nicht hinauskam. Rowena Fuß weiß mehr.

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Irgendwie trutzig steht das überwiegend graue Modell des van de Veldschen Museumsbaus zentral im gleißend hellen Ausstellungsraum des Erfurter Angermuseums inmitten seiner Entwurfszeichnungen – als könnte es nichts erschüttern, weder Bomben noch die Wirren der Zeit. Die Fassade ist vertikal durch Fenster und Halbsäulen gegliedert. Kupferne Simse und das in gleichem Material gefertigte Dach setzen sparsame Lichtpunkte.

Insgesamt 21 Zeichnungen (Grundrisse, Fassadenansichten und Schnitte) und zwei Modelle von unterschiedlicher Größe stellen das Projekt und seine Hintergründe vor. Wäre es 1914 tatsächlich realisiert worden, hätte der Bau mit den monumentalen Ausmaßen von 60 Metern Länge, 40 Metern Breite und 20 Metern Höhe auf der Daberstedter Schanze, nahe am Hauptbahnhof, gestanden. Doch ist das Erfurter Universalmuseum eine Utopie geblieben. Ebenso wie der bereits 1906 von Harry Graf Kessler geplante Umbau des Neuen Museums in Weimar.

Es ist das Schicksal so mancher Utopie, den Schreibtisch niemals zu verlassen. Gerade auch in Thüringen, wo nur ein Drittel der von van de Velde gezeichneten Entwürfe (größenteils Interieurs) tatsächlich realisiert wurde. Der locus delicti wird in der Weimarer Ausstellung »Leidenschaft, Funktion und Schönheit. Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne« denn auch zum zentralen Punkt der Präsentation.

Gleich im ersten Eckkabinett links vom Tickettresen steht man ihm gegenüber. Ein wenig argwöhnisch mag der eine oder andere das Ensemble aus Schreibtisch, Lampe und Sessel erst noch betrachten, aber dann wird er sich in die schalenförmige Sessellehne schmiegen und mit Zettel, Stift und Lineal in dieser Trutzburg der Gedanken verweilen wollen, um die Revolution zu planen.

Platz genug für eine Vielzahl papierner Ideen bietet der Schreibtisch ja, der Tanzpartner in diesem Duett aus Gedanken, Formen und Materialien. Das wuchtige Teil besitzt eine ganze Reihe an Ablagemöglichkeiten: einen Akten-/Zeitungsständer an den Flanken, verschließbare Schränkchen zur Mitte und „Postfächer“ obenauf – wobei die kreuzförmigen Holzstreben an den Seiten gleichzeitig ein dekoratives Element bilden, nicht nur ein funktionales.

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Warum das Ensemble hier steht und zum Ausgangspunkt über eine gewisse Philosophie der Form wird, erklärt eine Infotafel neben der Kabinetttür: Museumsdirektor Karl Koetschen beauftragte Henry van de Velde nach dem Weggang seines Vorgängers Harry Graf Kessler erneut mit dem Umbau des Neuen Museums, woraufhin dieser 1908 einen umfangreichen Plan mit zahlreichen Entwurfsskizzen vorlegte. Sie umgeben Schreibtisch und Sessel, die Orte ihrer Entstehung. Eine direkte Verbindung schafft die Entwurfszeichnung des Direktorenzimmers. Denn in der linken Bildhälfte findet sich eine Variante des ausgestellten Schreibtisches mit Schubladen (statt verschließbarer Schränkchen).

Es entbehrt nicht einer gewissen Logik, dass sich der anschließende Parcours durch das Museum mit den Worten „vom Interieur zur Architektur“ beschreiben lässt: Möbel, Fotografien und Zeichnungen stellen van de Veldes Bauten in Brüssel, Weimar und Holland vor sowie die Ausstattung zweier Dampfschiffe des Haager Reeders Kröller-Müller und der belgischen Staatsbahn. Gezeigt wird ferner van de Veldes Buchkunst, in der oberen Etage auch sein Besteck- und Geschirrdesign sowie seine Malerei. Der historische Kontext bekommt in Nischen der einzelnen Säle ein wenig Raum zugewiesen. Dort erfährt der Interessierte durch Infotafeln mehr zum Kunstgewerbe um 1890 (Stichworte: Arts & Crafts, Japonismus) sowie der Tafelkultur um 1900.

In insgesamt 700 (!) Exponaten aus den Schaffensphasen der Jahre 1890 bis 1930 wird der umtriebige belgische Architekt und Designer als einflussreicher Gestalter der Moderne präsentiert. Wie ist sein Beitrag aber zu bewerten? Was war daran denn so revolutionär?

Fragen, die die Exponate allein nicht beantworten können. Ein wenig Licht in die Sache bringt ein Nebensatz auf der Infotafel bei der Tafelkultur um 1900. Dort findet Erwähnung, dass van de Veldes schlichte Geschirr- und Besteckentwürfe in Opposition zum vorherrschenden Prunk der Kaiserzeit standen. Aha. Deutlicher visualisiert hätte dies eine direkte Gegenüberstellung der Objekte. Sinnvoll wäre es auch gewesen, Henry van de Velde stärker in einen Avantgarde-Kontext einzubinden, wie es im Saal mit Lehnstühlen um 1900 von Charles Rene Mackintosh, Richard Riemerschmid, Joseph Maria Olbrich und Bruno Paul ansatzweise geschehen ist. Umso wichtiger ist daher die Erfurter Schau zu Peter Behrens »Vom Jugendstil zum Industriedesign«, die – im selben Haus platziert – gut gepasst hätte.

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