Buchrezensionen

Ulrich Pfisterer: Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper, Wagenbach 2014

In der Renaissance war die Erotisierung der Kunst in Wort und Bild allgegenwärtig. Ulrich Pfisterer erschließt in Texten und Bildern grundlegende Zusammenhänge zwischen Kunst und Liebe und neben dem erotisch-sinnlichen Aspekt steht vor allem der von Zeugung und Geburt der Künste im Mittelpunkt. Raiko Oldenettel hat sich das Werk genauer angesehen.

Ulrich Pfisterer ist von unbestrittenem Fleiß, wenn es um die Zusammenführung seiner Forschungsergebnisse in eine lesbare und allgemein zugängliche Form geht. Für seine „Kunst-Geburten“ hat er sich dem Thema der Kreativität und Sexualität in der Frühen Neuzeit gewidmet und den Schwerpunkt auf das 16. und frühe 17. Jahrhundert gelegt. Ob Fleiß und Kenntnis in ein leidenschaftliches Thema wie Erotik und Kunst nicht eine zu starre Ordnung bringen, das sei dahin gestellt - und wurde in anderen Besprechungen auch a priori durch geringe Seitenzahl, Auswahl des zeitlichen Abschnittes und ähnlichen formalen Aspekten attestiert. Dass jedoch ganz im Gegenteil sogar das genauere Lesen dieses Essays ein leidenschaftliches Verständnis einer Begriffsgenese durchscheinen lässt, soll vorab nicht unerwähnt bleiben.

Was macht er also, mit diesem Begriff? Pfisterer unterteilt in die Kategorien, die jeder kennt. Liebe als Zeugungsakt, Geburt und Gebären, Familie, Verbotenes und vielleicht sogar ein wenig Unerreichbares. Dabei stets im Hinterkopf der eigentliche Grundgedanken der Forschungsarbeit: Wie kann man das Schaffen von Kunst und die motivischen Ausprägungen in der Frühen Neuzeit erklären? Einfaches Beispiel hierbei wäre die Muse als Geliebte des Künstlers, die im nicht visualisierten sexuellen Gedankenakt mit dem Künstler über kurz oder lang die Geburt eines Werkes zur Folge hat. Sicherlich nicht durch die Muse, da irreal, aber doch durch die handwerklichen Fähigkeiten des Künstlers. Der furor amatorius, der sich unter anderem bei Tizian durch die Betrachtung, ja vielleicht sogar direkte Beschäftigung mit seinen Akten nährte, er lebt sich im Schaffen aus. Wiederholt sich dann anschließend selbst und wird zum natürlichen Zyklus der Malerei, Zeichenkunst und Bildhauerei. Paragone einmal dahingestellt – selbst wenn sich Liebesbegriffe und Analogien im Schaffensprozess zur Diskussion durchaus eigneten – jegliche Kunst erfährt durch das Einbeziehen der willkürlichen und schwer zu bändigen Fixation „schöner“ Dinge wie nackter Männerkörper, einer ursprünglichen Natur oder des zufälligen Flecks an der Wand seinen kreativen Schub. Da kann es auch schon einmal passieren, dass ein Maler bei der Betrachtung eines anspruchsvollen Aktes in Marmor seinen Pinsel (übrigens etymologisch mit dem Wort Penis verbunden) an den Nagel hängt und fortan nur noch mit Hammer und Meißel Visionen am Marmor verfolgt.

Bei all den gemalten Putti, die uns die lebendige Allgegenwärtigkeit der Fortpflanzung der Künste in den Werken nahe legen, den Nymphen, Musen, geilen Satyren und voyeuristischen Akten kommen nun teilweise doch Zweifel auf, dass Pfisterer sich in der Einschränkung seiner Kapitelüberschriften der spielerischen Freiheit des Themas beraubt hat, mit der die Künstler des besprochenen Zeitraumes den Begriffen erotisierter Kunstfähigkeiten genähert haben. Das selbstgeschnürte Korsett hat aber einen Sinn, der bei einmaligem Durchlesen ganz klar auf der Hand liegt: Jedes aufgemachte Fass hätte bei einem Bacchanal getrunken werden müssen. Anders als die den Künstler inspirierende Brustmilch der Muse, scheinen diese Fässer darüber hinaus unerschöpflich. Pfisterer beweist Genuss am Thema, indem er sich einer möglichen brennenden, aber randlosen, ja rastlosen Liebschaft versagt. Er schreibt damit, sicherlich auch absichtlich, unter anderem ein Buch, das eine wunderbare Einführung in ein Seminar zum gleichnamigen Thema wäre. Eines, das sich Kapitel für Kapitel mit Werkzeugen ausrüstet, um demjenigen, der sich auf diesem speziellen Feld von kreativem Samenstau vs. Samengeburt, von Familienliebe und schwerem Künstlererbe, von Höhepunkten (auch in der Schaffenskraft) und dem Verlust jeglicher körperlicher Legitimation durch das fortschreitende Alter, in diesen eben genannten weiter voran bewegen will. Die ersten Hindernisse falsch interpretierter Motive wurden aus dem Weg geräumt und ein gut ausgeprägter bibliografischer Apparat bietet sich in dieser Hinsicht als grobe Karte an.

Nun, die mangelnde Tiefe jedes angerissenen Feldes könnte man ebenso als größte Schwäche des Essays betrachten. Seine wirklich herausfordernden Ergebnisse sind darüber hinaus teilweise so subtil in die vorliegenden Erkenntnisse und die bewusst auf eine clevere Auswahl an Abbildungen reduzierte Beweisführung eingestreut, dass man Gefahr läuft beim Zuschlagen des Buches seufzend nach mehr zu verlangen. Dabei sollte man den Text ohnehin mit einer gewissen Vorkenntnis genießen. Ob nun über die Malerei, die Druckgraphik, oder die emblematischen Handbücher (oder artverwandt: die Modi von Raimondi als “Einhand“-Buch), es geht nicht ohne ein wenig mehr Beschäftigung im Vornherein, oder guter Nachbereitung der Begriffe mit einem erneuten Lesen des Essays. Dann aber ist das Buch eine wertvolle Ergänzung.

Wie immer an dieser Stelle: Die Qualität des Bandes ist handfest. Er kommt mit einigen schönen farbigen Abbildungen in der Mitte, zu denen man nicht oft wechseln muss, und mit welchen die Thesen dennoch effektvoll nachvollzogen werden können. Die Gefahr hierbei ist, dass man hängen bleibt an den Gemälden. Dann vergisst man Pfisterer und seine Beweisführung für einen Moment. Aber das ist vielleicht Absicht und entkräftigt den Vorwurf ohne Leidenschaft zu sein.

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