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Ulrich Pfisterer. Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille. Akademie Verlag, Berlin 2008

Gemeinhin gilt die Beschäftigung mit Münzen und Medaillen als ein eher abgeschottetes Liebhabergebiet. Ulrich Pfisterer, der seine Publikation ursprünglich als Habilitationsschrift am Fachbereich für Kulturgeschichte und Kulturkunde an der Universität Hamburg vorlegte, ist sich der Problematik durchaus bewusst. Er wagt es sogar, in diesem Zusammenhang Alfred Lichtwark zu zitieren, der einst rund heraus behauptete: „Ein Gähnen pflegt den deutschen Kunstfreund anzuwandeln, wenn er an die moderne Medaille erinnert wird“. Ulrike Schuster hat dieses interessante Buch für PKG gelesen.

Pfisterer kann es sich freilich leisten, solche Sätze zu schreiben, denn sein Buch ist sozusagen der demonstrative Gegenbeweis. Was er über Münzen und Memorialkultur, über geistige Höhenflüge und allzu menschliche Neigungen im Rom der Renaissancezeit zu berichten weiß, liest sich alles andere als langweilig.

Fundiert, gut nachvollziehbar und über weite Strecken regelrecht packend erzählt, beschreibt er die vielfältigen Funktionen der Medaillen in einem sozialhistorischen Kontext, der weit über den Status von reinen Sammelobjekten hinausgeht. Schritt für Schritt legt er dabei ein höchst komplexes Geflecht an subtilen Bedeutungsebenen frei und erläutert den außerordentlichen Stellenwert einer „sozialen Währung“, die dem heutigen Publikum nicht mehr ohne weiteres zugänglich sein dürfte.

Die neuzeitlichen Medaillen standen zwar in der Tradition der antiken Münzprägungen und waren durch diese gleichsam nobilitiert, stellten aber für die Zeitgenossen dennoch ein neues Medium dar. Etwa zur selben Zeit erfunden wie der Buchdruck und wie dieser als Mittel der Vervielfältigung geeignet, konnte man mit ihrer Hilfe Gedanken und Botschaften übermitteln. Sie galten überdies als neue Kunstgattung: Ihre Durchgestaltung mit Porträts en miniature und/oder allegorischen Darstellungen sowie beziehungsreichen Sinnsprüchen erforderten sowohl Kunstfertigkeit als auch ingenium – es entstand ein neuartiges, visuelles Medium des Geistes, so Pfisterer.

Dadurch eigneten sie sich auf besondere Weise als Freundschaftsgeschenke. Dieser Aufgabenbereich war in der frühen Neuzeit äußerst weit gefasst: Man bediente sich ihrer als Liebesgaben im intimen, privaten Rahmen ebenso wie als öffentlich vergebene Gunstbeweise, als Andenken an teure Verstorbene oder in der Ferne Verweilende, als Zeichen der Freundschaft unter Gleichgesinnten, als Glücksbringer, Amulette, Souvenirs, und vieles mehr. Oftmals wurden sie als Anhänger um den Hals getragen, in ihrer Funktion der von Medaillons nicht unähnlich.

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Die höchste Wertschätzung genossen Medaillen jedoch innerhalb der gebildeten Zirkel der humanistischen Gelehrten und ihren adeligen Gönner. Man entwarf sich gegenseitige Denkbilder, die als Brennpunkt einer sozialen und intellektuellen Zusammengehörigkeit dienten. Aufs Äußerste komplex und raffiniert konzipiert, wären diese kunstvollen Schöpfungen dennoch nicht primär als Manifestationen einer demonstrativen humanistischen Gelehrsamkeit zu sehen, ist Pfisterer überzeugt. Vielmehr wären sie nur im Kontext einer Liebes- und Freundschaftstheorie zu verstehen, in der die geistige Arbeit zugleich ein gemeinschaftliches Band bedeutete.

Das Fallbeispiel – es stellt den Ausgangspunkt des Buches und in weiterer Folge den roten Faden zwischen den vielschichtigen Themenkomplexen dar – ist die Geschichte des Alessandro Cinuzzi, der Pfisterer im Rahmen seiner Untersuchungen ausführlich nachgegangen ist. Der kaum sechzehnjährige Page Alessandro, der am Hof des Papstneffen Girolamo Riario diente, war 1474 an einem plötzlichen Fieber verstorben. Sein Tod löste eine überraschende Resonanz aus. Seine Freunde, zu denen führende Humanisten, Kurienbeamte und Künstler zählten, bedachten den Jüngling mit zwei exzeptionellen Gedächtnis- und Liebesgaben: einer gedruckten Sammlung von Memorial- und Trostgedichten, der ersten in diesem Medium überhaupt, und der größten bis dato in Umlauf gebrachten Medaille. Der Jugendliche ohne nennenswerte Herkunft oder außerordentliche Verdienste rückte posthum in das Zentrum eines avancierten Gedächtniskults.

Ein erstaunliches Phänomen, erklärlich nur durch den forcierten Austausch von Bildern, Kunstwerken und Schriften unter den humanistischen Intellektuellen, die sich gerne zu Netzwerken der Männerfreundschaften – Pfisterer prägt in diesem Zusammenhang den Ausdruck der Homosozialität – zusammenschlossen. Ausgehend von diesen elitären Kreisen, und später in weiteren Bevölkerungsschichten übernommen, gelangte die Medaille zu ihrem hochgeschätzten Status der Liebes- und Freundschaftsgabe und entwickelte sich zum formvollendeten Kleinod der Bildkunst. Nicht zuletzt behandelt das Buch auch das Leben und Werk des bedeutendsten römischen Medailleurs der 1470er Jahre, bekannt unter dem Pseudonym Lysippus d.J., dessen Lebenslauf Pfisterer nun erstmals rekonstruieren konnte.

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