Buchrezensionen

Ulrike Laule (Hg.): Das Konstanzer Münster Unserer Lieben Frau. 1000 Jahre Kathedrale – 200 Jahre Pfarrkirche, Schnell & Steiner 2013

Zu den Kirchen, welche der an Kunst Interessierte besonders wach und gern besucht, gehört das Konstanzer Münster. Denn anders als Maria Laach oder etwa der Dom von Reims ist es keine reine Stil-Ikone. Vielmehr ist das Konstanzer Münster eine Herausforderung für Fortgeschrittene in Sachen stilistischer Bestimmungskunst, – einer jener Bauten, die auf Schritt und Tritt die Spuren der unterschiedlichen Zeiten, die es gesehen hat und der Menschen, die sich in ihm aufhielten, bewahrt hat und immer noch sprechen lässt. Walter Kayser hat sich der umfassenden Gesamtdarstellung des Baus aus dem Haus Schnell und Steiner gewidmet.

Die 600-jährige Wiederkehr des Konzils war nun willkommener Anlass genug zu einer genauen, überfälligen und immerhin mit beinahe 500 Seiten beeindruckenden Bestandsaufnahme des Kirchenbaus. Denn schließlich datiert die letzte (und einzige) Monografie von Heribert Reiners auf das Jahr 1955 zurück. Mit Ulrike Laule als Herausgeberin wurde eine ausgewiesene Mediavistin und Kennerin mit der Aufgabe betraut, schließlich hat sie schon ihre Doktorarbeit zum Thema des Bischofshofs im spätmittelalterlichen Konstanz verfasst. Seitdem legte sie mehrere ansehnliche Bände über den Baustil der Romanik, über die Gotik, ein Kulturführer Burgund und eine Beschreibung der Kunstdenkmäler verschiedener anderer französischer Kulturlandschaften vor.

Der Aufbau des Bandes ist logisch durchdacht. Er beginnt mit den historischen Rahmenbedingungen. Dann erst folgen die Untersuchungen zur Architektur und Ausstattung, und zwar in der Abfolge Langhaus, Seitenkapellen, Dachwerke, Westturmanlage, nordöstliche Anbauten, gleich vier Betrachtungen zu den romanischen Goldscheiben, die ehedem weithin zur Seeseite hin für die Schiffer so etwas wie Orientierungsleuchtpunkte waren. Schon in dieser Reihenfolge zeigt sich, was typisch ist für diese Kirche: Vom frühen Mittelalter bis zur spektakulären Aufhebung des Bistums 1821 hinterließen Generationen von Bischöfen und Domherren ihre Zeugnisse. So ergab sich die heutige Besonderheit der Erzdiözese Freiburg, auf die auch der Untertitel dieses Bande »1000 Jahre Kathedrale – 200 Jahre Pfarrkirche« anspielt: Sie besitzt keine eigentliche Kathedrale, denn das wunderschöne Freiburger Münster ist eine ehemalige Bürgerkirche – ganz so wie das Konstanzer Münster heute wieder. Jedoch, ist Freiburg aus einem einheitlichen mittelalterlichen Guss und im 16. Jahrhundert fertig gestellt, so ist die Baugeschichte des Konstanzer Münsters verwinkelt und kompliziert, voller Verwerfungen und auch voller Kleinode, auf die der Besucher erst hingewiesen werden will.

Das deutet sich auch schon in dem dreifachen Patrozinium an (die Kirche ist dem Heiligen Pelagius, dem später kanonisierten Ortsbischof Konrad und der Muttergottes Maria geweiht); und in gewisser Hinsicht entspricht das sogar schon den Intentionen des Bischofs Konrad im 10. Jahrhundert, der von einem Kirchenensemble träumte, das zugleich Rom und Jerusalem abbilden sollte. In der Nachfolge waren die Bischöfe Herren der flächenmäßig größten Diözese des Heiligen Römischen Reiches und zugleich auch Herren der Stadt. Ihr Gebiet erstreckte sich vom Gotthard-Pass im Süden bis zum mittleren Neckar im Norden, von der Iller im Osten bis zum Oberrhein – und doch hatte der Bischof in Konstanz selbst selten eine unangefochtene Stellung. Wie in vielen anderen Städten war nämlich ein Konflikt zwischen der »Domfreiheit« und der Bürgerschaft vorprogrammiert. Diese Spannungen manifestierte sich in zwei Kirchenbauten: einerseits, auf dem leichten Hügel in der Mitte, genau über den seit 2003 ergrabenen Resten einer markanten spätrömischen Grenzbefestigung, der Bischof und sein Münster; andererseits, und nur einen Steinwurf weit entfernt, die Bürgerkirche St. Stephan, von der auch die vehemente Reformationsbewegung in den späten Zwanzigerjahren des 16. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm. Von 1526 bis 1802 bzw. 1821 kam der Bischof deshalb nur noch zu Hochfesten von der anderen Seite des Bodensees, von Meersburg aus, herüber und suchte seine Kirche auf.

Ulrike Laule hat in den zurück liegenden drei Jahren einen Mitarbeiterstab von 38 Autoren um sich versammelt, der die facettenreiche Aufgabe einer verwinkelten Baugeschichte anging. Es sind 101 Einzelbeiträge entstanden. Zusammen ergeben sie ein Standardwerk, dessen Haltbarkeit vermutlich nicht hinter der seines Vorgängers nachstehen wird. Der Druck des schwergewichtigen Bandes auf bestem, dicken Glanzpapier sowie die etwa 450 farbigen Bilder, Pläne und Grafiken sind dem Verlag Schnell und Steiner bestechend gelungen.

Viele der ungewöhnlichen Zeugnisse, die diese Kirche beherbergt, muss der Besucher, wie gesagt, erst einmal entdecken. Sie liegen etwas abseits und haben sich wohl auch nur deshalb erhalten, weil sie in den Jahrhunderten nach der Säkularisierung zu randständig waren. Das gilt für die im Auftrag der Ravensburger Fernhandelsfamilie Humpis entstandene Ausmalung in der Sylvesterkapelle wie für die wunderbare, in einem Winkel des ehemaligen Kreuzgangs gelegene Heilig-Grab-Rotunde der Mauritiuskapelle. Angeregt durch den 1220/30 entstandenen Heilig-Grab-Bau im Magdeburger Dom, ist es nur wenig jünger und stilistisch zumindest eng verwandt mit dem so genannten Erminoldmeister aus Regensburg und lässt ikonografisch ungewöhnliche Bezüge zu den Mysterien- bzw. Osterspielen des Mittelalters erkennen.

Weitere Besonderheiten dieser Art sind eine Grabplatte am Fuß der Stufen zum Hauptchor oder auch die Reste des Chorgestühls. Dieses bedeckt die Überreste von Robert Hallum, eines der führenden Köpfe des Konzils. Der 1407 als Bischof im englischen Salisbury eingesetzte Würdenträger und Diplomat war schon beim Reformkonzil von Pisa 1409 eine herausragende Figur. Als enger Vertrauter des Kaisers Sigismund war er am 4. September 1416 überraschend im Schloss Gottlieben gestorben. So erklärt sich, dass die Technik, in der Hallum im vollen Ornat unter einer Bogenarchitektur steht, typisch »englisch« ist, nämlich eine filigrane Metalleinlegearbeit in Stein. Ebenso ist das Chorgestühl neben dem von Jörg Syrlin in Ulm oder dem in der Memminger Stadtpfarrkirche zu den interessantesten des Spätmittelalters zu zählen.

Vermutlich ist es den redaktionellen Vorgaben geschuldet, aber manchmal erwecken die einzelnen Aufsätzchen einen doch etwas zu dürren Eindruck, so, als würde knapp eine to-do-Liste an Daten und weiterhin ausstehenden Desiderata abgearbeitet. Vielleicht entsteht dieser Eindruck aber auch deshalb, weil die objektive Faktenlage zu dürftig ist, eine wünschenswerte Rekonstruktionsmöglichkeit auf immer passé, etwa wenn es um den Hochaltar geht, welchen ab 1466 der in Straßburg ansässige Bildhauer Niclaus Gerhaart von Leyden geschaffen hatte.

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