Buchrezensionen

Ulrike Lorenz / Beatrice von Bormann / Roger Diederen: Mythos Welt. Otto Dix und Max Beckmann, Hirmer 2013

Im wilden Leben der 1920er Jahre wurden Max Beckmann und Otto Dix zu den repräsentativen Künstlerpersönlichkeiten der Weimarer Republik. Eine durch den Weltkrieg beschädigte Generation verlangte für die "Magie der Realität" nach ehrlichen Ausdrucksformen in neuer Sachlichkeit gegenüber der eigenen Erfahrung und der verlorenen Illusion. Gemeinsam werden sie jetzt auch in Mannheim ausgestellt. Stefan Diebitz hat sich mit Hilfe des Katalogs in die unterschiedlichen Weltsichten eingelesen.

Ließen sich zwei radikal unterschiedliche Künstler miteinander vergleichen? Nein – sie ließen sich einander bloß gegenüberstellen. Aber es macht sehr wohl Sinn, zwei Künstler, deren Konzepte sich in vielen Punkten berührten, ohne dass sie tatsächlich denselben Weg gegangen wären, in einer Ausstellung zu präsentieren. Otto Dix (1891 – 1969) und Max Beckmann (1884 – 1950) ist eben dies das erste Mal 1925 widerfahren, als sie noch so ziemlich am Anfang ihres Weges standen. Jetzt geschah es ein zweites Mal – und erneut in Karlsruhe. Ähnliche Motive und verwandte formale Konzepte führten meist zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, und Vergleich und Gegenüberstellung der einzelnen Werke ist instruktiv und erhellend.

Auf den ersten Blick sieht man die Berührungspunkte zwischen Dix und Beckmann: Beide litten unter dem 1. Weltkrieg, beide malten stets figurativ und wandten sich auch nach 1945 nicht abstrakten Konzepten zu, beide waren große Meister des Selbstporträts, die sich über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit dem eigenen Antlitz beschäftigten, und endlich schufen beide große Triptychen, inspiriert von der in ihrem Werk stets gegenwärtigen Geschichte der Kunst. Und Beckmann wie Dix waren großartige und gesuchte Porträtisten.

Auf fast jeder Seite gelingt es dem Katalog durch Gegenüberstellung der Bilder, die Werke und Konzepte beider Künstler miteinander zu konfrontieren. Sehr oft sind es tatsächlich dieselben Bildmotive und Sujets, in anderen Fällen sind nur die Farben ähnlich, aber immer wieder springt die Ähnlichkeit in die Augen. Über die Jahrzehnte hinweg fanden beide Maler zu denselben Bildaufgaben, doch ihr unterschiedliches Temperament führten zu anderen Lösungen.

Wenn man den Katalog durchblättert, dann findet man auf fast jeder Doppelseite schlagende Beispiele für dieses Wechselspiel von Identität und Differenz. Besonders schön sind zwei Selbstbildnisse von 1913 (Dix) und 1907 (Beckmann), in denen sich die Künstler als Raucher darstellen: Otto Dix lässt den Rauch dick aus seinem Mund quellen, Beckmann präsentiert sich als Gentleman im schwarzen Anzug, blasiert den Betrachter anschauend, die Zigarette in der rechten Hand. Die Malweise entspricht in beiden Fällen dem Inhalt: Dix malte pastos und expressiv, Beckmann zurückhaltend und verhältnismäßig glatt.
Auf der folgenden Doppelseite haben sich beide Maler christlichen Themen zugewandt, Beckmann mit einer fast traditionellen »Beweinung«, die einen athletischen Christus zeigt, Otto Dix mit einem wild verzerrten Heiligen Sebastian. Noch schlagender wird die Ähnlichkeit der Bildmotive in den folgenden Jahren, wenn Zeichnungen von Kriegskrüppeln oder des Kriegsgeschehens einander gegenübergestellt werden. Allerdings sind die Bilder Beckmanns etwas weicher und emotionaler, weniger aggressiv als die Zeichnungen von Dix. Es ist selbstverständlich möglich, aber keinesfalls immer einfach – schon gar nicht auf den ersten Blick –, die Arbeiten beider Künstler auseinanderzuhalten, und das gilt auch für die folgenden Jahre.

So konsequent im Katalogteil die Werke beider Künstler einander gegenübergestellt werden, so konsequent geschieht dies auch in dem einleitenden Essay von Birgit Schwarz und Michael Viktor Schwarz (»Dix und Beckmann – Welterkenntnis und Weltüberwindung«). »Wenn Dix und Beckmann«, schreiben sie, »«ähnliche Ziele verfolgten, nämlich aus der Zeit heraus überzeitlich gültige Werke zu schaffen, so näherten sie sich dem aus weit auseinanderliegenden weltanschaulichen Positionen.«

Beckmann vertrat eine Genieästhetik, in welcher der Kunst eine sinnstiftende Funktion zukam, mit der er letztlich die Unvollkommenheit der Welt zu transzendieren gedachte. Dix hingegen wird von den Autoren als Anhänger Nietzsches und seines die Welt bejahenden zyklischen Geschichtsmodells dargestellt. »Für Dix«, beschließen sie ihren sehr dicht geschriebenen Aufsatz, »bestand die Kunst darin, die Welt zu verstehen, für Beckmann darin, sie zu überwinden.« Am Ende dieser Besprechung wird aber ein Bilderpaar angesprochen werden, bei dessen Betrachtung man zu dem entgegengesetzten Schluss kommen könnte.

Beatrice von Bormann behandelt in ihrem Aufsatz »Mythen der Gegenwart – Beckmanns Konstruktionen von Wirklichkeit« die Methode des Malers, sich der Wirklichkeit zu nähern. Beckmann inszenierte die Wirklichkeit. Er malte nicht vor Ort und ließ auch für seine Porträts nicht Modell sitzen, sondern griff in seinem Atelier auf Skizzen zurück. Von Bormann weist dieses indirekte, tatsächlich inszenatorische Verfahren für das gesamte Werk Beckmanns nach, aber besonders deutlich wird es in seinen insgesamt neun Triptychen, in denen er »das Erlebte in höchst komplexe, symbolische Bilder« verwandelte.

Ulrike Lorenz untersucht in ihrem Aufsatz »Zwischen Verismus und Allegorie« eine ähnliche Problematik für das Werk von Dix. Dix wechselte bekanntlich häufiger seine Malweise wie auch seinen Stil, aber bis heute gilt für ihn als typisch »die Schichtenmalerei mit Lasuren, die in reflektierten Arbeitsprozessen entsteht und eine rationale Konzeption voraussetzt«. Lorenz nennt diese Malweise eine »originäre Leistung einer im Detail hyperrealistischen, als Bildganzes aber ins Mythische tendieren Montage-Malerei.«

Wie wenig sich beide Maler in die Entwicklungsgeschichte der deutschen Malerei einfügen, zeigt der Aufsatz von Volker Gebhardt über »Beckmann und Dix – Propheten einer deutschen Moderne?«, in welchem beide Künstler in ähnlich konzentrierter Weise wie in dem einleitenden Essay einander gegenübergestellt werden. Hier aber wird der Umgang mit der stets im Werk präsenten Kunstgeschichte ins Zentrum gestellt. An zwei Landschaftsbildern, die 1940 bzw. 1943 gemalt wurden, zeigt Gebhardt die Nähe beider Künstler zueinander.
Dix’ Gemälde ist eines seiner altmeisterlichen, mit denen er ganz einzig in der Kunst des 20. Jahrhunderts steht. Beim Anblick des sich in Schollen teilenden Eises auf dem See fühlt man sich an Caspar David Friedrich, angesichts des senkrecht aus den Wolken fallenden, die Transzendenz beschwörenden bunten Lichtes an spätmittelalterliche Meister erinnert. Es ist sogar ein wenig zuviel der Symbolik, denn das Licht fällt nicht allein auf einen Ort am Seeufer, sondern noch dazu direkt auf die Kirche. Oder sollte das Ironie sein?
Dagegen gehört die plakative Farbgebung in Beckmanns Bild eher in den Expressionismus, und das Bild mit seinem lakonischen Titel »Wolken und Meer« verweigert sich jeder Sinnstiftung. Gebhardt schreibt trotzdem – und das gilt vielleicht für das Gesamtwerk beider Künstler –, dass diese Bilder »viel mehr verbindet, als sie trennt«. Für das Gesamtwerk glaube ich das bestimmt, bei diesen beiden Bildern aber bin ich mir nicht ganz sicher.
Auch würde man angesichts des Bildpaares zu einem anderen Schluss kommen als Birgit Schwarz und Michael Viktor Schwarz, denn hier ist es Beckmann, der die Welt einfach nur abbildet und dabei stumm bleibt, wogegen das Gemälde von Dix sich in die Transzendenz öffnet. Auf Nietzsche lässt sich ein solches Bild kaum zurückführen.

Es gibt vielleicht kein anderes Künstlerpaar in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, das sich so schön in eine Ausstellung respektive einen Katalog darstellen lässt. Die Konzeption des Buches überzeugt von der ersten bis zur letzten Seite.

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