Buchrezensionen

Ulrike Surmann/Johannes Schröer (Hg.): Trotz Natur und Augenschein. Eucharistie – Wandlung und Weltsicht, Greven Verlag 2013

Das Ringen um heute vielfach vergessene Bilder einer scheinbar unzumutbaren Vision, die den Gottessohn als DAS erlösende Leibgericht darstellt – darum geht es im Katalog zur gleichnamigen Schau im Kolumba Köln. Franz Siepe hat sich den empfehlenswerten Begleiter angeschaut.

Bei dem vorliegenden, äußerst reich bebilderten Band handelt es sich um das Begleitbuch zur Sonderausstellung »›trotz Natur und Augenschein‹. Eucharistie ─ Wandlung und Weltsicht« im Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, die bis zum 15. August 2013 stattfindet. Die Schau, von Leihgebern aus Deutschland und dem europäischen Ausland unterstützt, präsentiert 38 Werke diverser Kunstgattungen und fügt sich ein in die diesjährige Kolumba-Jahresausstellung »Art is Liturgy – Paul Thek und die Anderen«.

Die Sonderausstellung darf sich eines besonderen Publikumsinteresses auch deshalb gewiss sein, weil sie in inhaltlichem Zusammenhang mit dem in der Domstadt ausgetragenen Eucharistischen Kongress steht, der auf Initiative von Kardinal Meisner von der Deutschen Bischofskonferenz veranstaltet wird. Kardinal Meisner, Schirmherr der Ausstellung, bemerkt im Grußwort: »Der Mensch ist ja nicht reiner Geist, sondern er hat auch einen Körper. Und darum finden seine Überzeugungen, seine Lebensentscheidungen, sein Gottesglaube auch materiellen Ausdruck. Dafür stehen ja in der Welt unsere Kirchen, Kapellen und Klöster. Sie sind Materie gewordener Glaube an Jesus Christus. In den Kirchen zeigt die Eucharistie, die ja – das dürfen wir nie vergessen – der Herr selbst ist, ihre Spuren am deutlichsten an den Sakramentshäusern, also den Tabernakeln, am Altargerät, also Kelchen, Patenen und Monstranzen, aber auch in anderen Zeugnissen. Die edelsten Materialien wurden herangezogen, um das eucharistische Geheimnis zu dokumentieren: Gold, Silber, Edelsteine, Elfenbein, Pergament. Das Beste in unserer Welt ist gerade gut genug, um Zeugnis vom eucharistischen Herrn zu geben.«

Beim Ausstellungstitel »trotz Natur und Augenschein« handelt es sich um ein Zitat aus der Fronleichnams-Sequenz »Lauda Sion« (um 1264) des Thomas von Aquin in der Übersetzung Edith Steins († 1942). Dieses Lied (»Deinem Heiland, deinem Lehrer ...«) bringt das katholische Eucharistieverständnis in poetisch-fassliche Form und will mit der Wendung »trotz Natur und Augenschein« besagen, dass sich die Transsubstantiation, d. h. die Wandlung der Naturdinge Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, unsichtbar, außerhalb der uns bekannten Ordnung der Dinge (»praeter rerum ordinem«) vollzieht.

Die Supranaturalität, die Unsichtbarkeit des Substanzwandels von der gebackenen Oblate zur geweihten Hostie, verlangte nach Darstellung, nach Versinnlichung in liturgischer, aber vor allem auch in bildlicher Gestalt. Und dieses Paradox: die Repräsentation des Unsichtbaren im visuellen Medium macht die spezielle Faszinationskraft der im vorliegenden Buch in brillanter Qualität reproduzierten Sakralgegenstände aus.

Elf theologisch-kunstgeschichtliche Essays geben dem Ganzen ein solides theoretisches Fundament, wobei zu bemängeln sein könnte, dass kein ausgewiesener Dogmatiker unter den Autoren zu finden ist, der über den heutigen Stand der kirchlichen Eucharistielehre von Berufs wegen hätte aufklären können. Aber es haben sich sechs Schriftsteller gefunden, darunter Ulla Hahn, Navid Kermani und Arnold Stadler, die unter der Rubrik »Wandlung in Literatur« eigene Texte beisteuern.

Aus kunsthistorischer Perspektive ist es vielleicht am überzeugendsten, dass jeder der über hundert Abbildungen (nicht alle im Band präsentierten Werke werden im Kolumba ausgestellt) ein sehr kenntnisreicher Kommentar beigegeben wurde, der auch für die Nichteingeweihten das bildgewordene Geheimnis zum Sprechen bringt. Gründliche Erläuterungen sind insbesondere in solchen Fällen unverzichtbar, in denen die ikonische Struktur des Bildwerks die schier unsagbare Komplexität des Wandlungsmysteriums illustrieren soll. Eine Miniatur aus der »Mettener Armenbibel« (1414/15) bedient sich dabei ausgiebig des Mediums Schrift: In rahmenden Medaillons »äußern sich Autoritäten – Engel, Apostel, Kirchenväter, Päpste, Propheten, Ecclesia und Synagoge sowie drei Dichter, die als Zeugen fungieren – zu drei wesentlichen Themenkomplexen der Messfeier: dem Geheimnis der Gottessohnschaft, dem Geheimnis der Eucharistie und dem Geheimnis der Priesterschaft«.

Das Bildzentrum dieser Miniatur zeigt den Priester im Augenblick der Elevation der Hostie; darüber den Auferstandenen, dessen Fußwunden das heilige Blut in den Kelch entströmt und die Hostie benetzt. Oben thronen Christus (oder Gottvater?) und Maria inmitten der himmlischen Chöre. Ein Schriftband, das von der Rechten des Auferstandenen zur Hostie hinfließt, trägt die Wandlungsworte »Hoc est enim corpus meum (Das ist mein Leib).«

Um zwei ausgesprochen erklärungsbedürftige Bildmotive handelt es sich bei dem »Christus in der Kelter« und bei der »Eucharistischen Mühle«. Der »Keltertreter« als Schmerzensmann trägt den Balken der Kelter wie das Kreuz. Die rote Flüssigkeit, die sich in den Kelch ergießt, ist eine Mischung aus dem Blut des Leidens und dem Saft der Trauben. Auf einem Ölbild aus dem Koblenzer Mittelrhein-Museum besagt das Schriftband: »Nam pro te torculareum sole calcavi (Denn für dich allein habe ich die Kelter getreten).«

Die »Eucharistische Mühle« aus dem Erfurter Dom St. Marien verbindet das Thema der Inkarnation mit dem der Eucharistie. Wir sehen das Christuskind in einem goldenen Messkelch, gerahmt von vier Kirchenlehrern, welche die theologiegeschichtliche Kontinuität der Eucharistielehre verbürgen. In der oberen Bildzone schütten die vier Evangelisten »aus Säcken ihre Evangelien in den Trichter der Mühle, die seitlich von den Aposteln mit Handkurbeln betrieben wird«. Das Mahlgut, also die Evangelien, gelangt als Mehl des Wortes Gottes in den auf dem Altar befindlichen Kelch, der den leibhaftigen, menschgewordenen Jesus Christus birgt.

Die wachsende Verehrung des in der Hostie gegenwärtigen Herrenleibs organisierte sich in der Einrichtung des Fronleichnamsfestes und in Fronleichnamsprozessionen. In Monstranzen, aufwendigsten Meisterschöpfungen der Goldschmiedekunst, wurde das »Allerheiligste« durch die Straßen getragen. Nach der Reformation – Luther verurteilte das Fronleichnamsfest aufs schärfste – gerieten die Prozessionen zu pompösen gegenreformatorischen Demonstrationen des mächtigen Selbstbewusstseins der katholischen Kirche.

Heute besteht kein Grund mehr zu derartigem eucharistisch motiviertem Triumphalismus. Indem aber das besprochene Buch zur Pflege eines wesentlichen Moments der alteuropäischen Kultur beiträgt, bewahrt es einen traditionalen Wertbestand vor den gedächtnisruinierenden Attacken der globalen Identitätszerstörungsmaschinerie. »trotz Natur und Augenschein« heißt daher auch: trotz Säkularisierungszwang und Profanierungsdruck.

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