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Umberto Pappalardo / Rosaria Ciardiello: Griechische und römische Mosaiken, Hirmer 2012

Aussuchen, herausschlagen, zuhauen, glätten, zerkleinern, zusammenstellen, einfügen. Das Erstellen von Mosaiken war eine langwierige Arbeit, die neben handwerklichem Geschick und einem guten Auge, viel Geduld erforderte. Dafür überstanden die steinernen Kunstwerke meist unbeschadet Naturkatastrophen und den nagenden Zahn der Zeit. Walter Kayser ist mit der Hirmer-Publikation »Griechische und römische Mosaiken« in diese Welt eingetaucht.

Es gab eine Zeit, da hieß die »Casa del Fauno« in Pompeji »Casa di Goethe«. Zugegeben: nur eine kurze Zeit. Denn der große deutsche Dichter hatte noch nicht betrachten können, was die Lava freigab, als man zwischen 1830-1832 das mit beinah 2500 Quadratmetern größte Privathaus der Stadt auszugraben begann. »Casa Goethe« wurde es trotzdem benannt, um Goethes Sohn August zu ehren, als dieser in den Fußstapfen seines Vaters und Großvaters im August 1830 auf der obligaten Grand Tour nach Italien hier Station machte.

Der antike Besitzer der »Casa Goethe« muss ein eminenter Kunstkenner gewesen sein, einer jener feinsinnigen Großkaufleute, die mit dem generösen Gaius Cilnius Maecenas wetteiferten. Wie so viele Bürger Pompejis war auch er sehr reich geworden, weil so gut wie alle Schiffe aus Afrika und Asien an der Mündung des Sarno anlandeten, bevor ihre Waren nach Rom umgeschlagen wurden. Es zeugte von Kennerschaft in seiner Zeit, dem Ende des 2. bis zum 3. vorchristlichen Jahrhundert, dass man sich als Liebhaber der griechischen Kunst erwies. Sie allein galt als unerreichbar. Und so ließ er zum Umbau seines Wohnhauses, das mit seiner Fläche gleich einen ganzen Block einnahm, Mosaiken von nie gesehener Pracht anbringen. Sie waren insbesondere auch alexandrinischen Ursprungs, zum Beispiel jene Entscheidungsschlacht zwischen Alexander d. Gr. und dem persischen König Dareios III., welche nach der Kopie eines griechischen Originals des Philoxenos von Eretia geschaffen worden war. – Ein Mosaik der Superlative, überzieht es doch eine Bodenfläche von 317 x 555 cm bei einer Dichte von 15 bis 30 Steinchen pro Quadratzentimeter, was eine sage und schreibe Gesamtzahl von 4 Millionen bedeutet! Es ist schier unglaublich, welche Prachtentfaltung im zufällig Erhaltenen punktuell aufscheint. Sie ist sicherlich exemplarisch für die überreiche Dekoration vieler Paläste und Villen. Neben dem Schlachtenmosaik suggerieren die anderen Fußböden dieser »Casa del Fauno« Freude am ausgelassenen Lebensgenuss und allen Welten des schönen Scheins: Theatermasken, Weinlaubgirlanden, Dionysos als Baby auf einem Tiger reitend, erotische Szenen.

Da das Mosaik ein immobiler, fester Bestandteil der Ausstattungen war, bestimmte nicht zuletzt die Funktion der Räume die Wahl der Motive und Platzierung der Bilder. Ob solche »Malereien für die Ewigkeit«, wie sie später der Renaissancekünstler Domenico Ghirlandaio nannte, Abkömmlinge der Textilkunst und mithin »Teppiche aus Marmor« waren, lässt sich nicht beweisen und höchstens vermuten, da alle organischen Materialien verloren gegangen sind. Nicht selten dürften diese Kunstwerke auch eine Art »kinetische Ästhetik« hervorgebracht haben, indem sie »die Betrachter zum Gehen und Innehalten veranlasste, ihr Kommen und Gehen lenkte und unterbrach […] In den Thermen wiesen die weißgrundigen Mosaiken mit vorwiegend geometrischen Mustern den Weg, einem Laufband vergleichbar«.

Das Wort »Mosaik« wird abgeleitet von dem spätlateinischen Ausdruck »opus Musaicum«, also »das Werk, welches des Musen gewidmet ist«. Und tatsächlich ist dieser Technik etwas von der überirdischen kindlichen Faszination eigen, die dem Sammeln von allem, was am Boden liegt, innewohnt, – den Muscheln und Steinchen, insbesondere wenn sie glitzern und funkeln. Im engeren Sinn versteht man ursprünglich unter musivische Technik das Zusammensetzen von verschiedenfarbigen flachen Plättchen (aus Stein, Metall, Holz, etc.) zu dekorativen Mustern. Im Laufe der Zeit haben sich hier sehr rasch die verschiedensten Techniken herausgebildet, von einfachen farbigen Flusskiesel über die Steinschnittarbeiten (das so genannte »opus sectile«) bis hin zu den besonders fein gearbeiteten und oft nur auf wenige Millimeter zugehauenen Steinchen und Glasquader, die man »opera vermiculata« nannte und die zunächst in einem hölzernen Setzkasten vorbereitet wurden.

Sämtliche Gattungen wurden gepflegt, Stillleben wie Portraits, Tier- und Genreszenen (mit Vorliebe die »venatio« als aristokratisches Vergnügen) wie historische und mythologische Geschichten, und nicht selten lassen nur noch diese Mosaiken Rückschlüsse auf längst verschollene Malereivorlagen zu. Beeindruckend auch, welch große Nähe das lebendige Bildnis einer pompejanischen Matrone zu den berühmten Mumienporträts in Enkaustiktechnik aus dem Fayum am Nil verrät. Dass es heute (wie so vieles aus diesem Bildband) im Nationalmuseum von Neapel aufbewahrt wird, mag darin seine Erklärung finden, dass der Autor Umberto Pappalardo als Direktor der Ausgrabungen in Herculaneum und Pompeji auch noch seit 1995 Professor für Geo-Archäologie in Neapel ist. Auch Rosaria Ciardiello hat hier ihren eindeutigen wissenschaftlichen Schwerpunkt.

Das vorliegende Buch ist eine stupende optische Glanzleistung, für welche die einschlägigen Begriffe wie »opulent« und »Prachtband« fällig sind. Wenn auch der Preis nicht gerade günstig ist und man Prachtbände dieser Art vom Verlagshaus Hirmer gewöhnt ist, so ist doch die Befriedigung stets vom neuen groß, ein solches Buch in den Händen zu halten.

Der Aufbau gliedert sich im Wesentlichen in zwei Abschnitte. Zunächst ein systematischer Teil, der synchron die Ursprünge und den etymologischen Begriff des Mosaiks vorstellt; ferner werden die unterschiedlichen Techniken, einschlägige Schriftquellen antiker Autoren, und der Beruf der Mosaizisten beleuchtet und das, was man über die Werkstätten und verwandte Gattungen sagen kann. Das zweite und dritte Drittel des Bandes stellt auf über 200 Seiten die wichtigsten »Stätten der Mosaikkunst« in monographischer Würdigung vor. Dieser Teil ist zugleich chronologisch angeordnet. Der Bogen ist, wie der Titel ja auch für sich beansprucht, weit gespannt und gibt somit einen stilgeschichtlichen Überblick über die Mosaikkunst von Pella, der makedonischen Residenz im 4. Jahrhundert vor Christus, bis hin zu den spätantik-byzantinischen Reichsmosaiken des 6. Jahrhunderts, die in der Basilika San Vitale in Ravenna vom einzigartigen imperialem Glanz Ostroms zeugen. – Nur die Glanzpunkte eines ganzen Jahrtausends, die sich rund ums Mittelmeer, die Drehscheibe der antiken Welt lagern. Auffällig ist dabei gleichwohl, wie üppig die Nymphäen in der Vesuvregion vertreten sind. Als »ars topiaria« verwandelten sie mit ihren entmaterialisierten Grottenwände und Brunnen einen Garten in einen »locus amoenus«. Auf Sizilien, an der Straße von Catania nach Agrigent, liegt ein Musterbeispiel für einen solch noblen Ruhesitz: »Die Villa von Piazza Armerina und die anderen derartigen Anlagen, die auf Sizilien wie Patti und Tellaro gefunden wurden, zeigen die Bedeutung einer Villa mit großen Latifundien in der Spätantike. Hierher zogen sich die römischen Senatoren zu einem Leben der Muße und des Studiums zurück«.

Besonders hervorzuheben bei dieser einmaligen Publikation ist zum Ersten: Der Text des Prachtbandes ist genüsslich zu lesen. Nicht wissenschaftliche Faktenklauberei, die oft genug in Fußnoten verschwinden sollte, sondern eine packende, lebendige Darstellung ist da zu lesen. Sie zeugt einerseits von souveränem Überblick und zeichnet sich durch Perspektivenreichtum und den Mut zu einem persönlichen Urteil aus; auf der anderen Seite aber lebt sie auch von einer erfrischenden Unmittelbarkeit und vermag durch ihren Sinn für narrative Vergegenwärtigung des Geschehens zu fesseln. Ein Beleg aus der Beschreibung des berühmten Alexander-Mosaiks: »Überall ist Blut: auf der Lanzenspitze, die ihn durchbohrt hat, und an den Nüstern seines stürzenden Pferdes […] Jeder Versuch, den König zu schützen, scheint aussichtslos; Alexander ist schon zu nahe. So ergreift der Wagenlenker die Initiative: Er wendet seine Schlachtrösser um neunzig Grad nach rechts und peitscht wütend auf sie ein[…]«.

Zum Zweiten: So nah, wie der Text an die Geschichte heranführt, so nah wird der Betrachter durch die doppelseitigen Fotos und großen Ausschnitte an die fantastischen Kunstwerke herangerückt. Alles an diesem Bildband ist wohlüberlegt und repräsentiert in beispielhafter Weise, was man nur von einem Standardwerk erwarten kann: unübertrefflich scharfe Fotoreproduktionen, Platzierung auf ganzen Doppelseiten oder Details mit großzügig belassenen Rändern. Abbildungshinweise mit kurzen Anmerkungen, die zum vertieften Lesen verleiten. Daneben, wenn hilfreich, Grundrisse, Abbildungen von Modellen und zeichnerische Rekonstruktionen.

Ähnlich wie Teppiche verbinden Mosaiken die Ausdrucksgewalt und formale und inhaltliche »inventio«, wie sie auch anderen Bildern zukommt, mit der beeindruckenden Präsenz des Handwerklichen, der Geschicklichkeit und schlafwandlerischen Sicherheit von abertausend Händen, die den Stein aussuchten, herausschlugen, zuhauten, glätteten, zerkleinerten, zusammenstellten und ästhetisch einbinden mussten. Anders gesagt, nie kann man vergessen, dass Kunst, wie Karl Valentin dereinst so unübertrefflich kalauerte, zwar schön ist, aber auch Arbeit macht. Die Materialität und Stofflichkeit, die anschließend von jenen »happy few«, den »very important persons« der Antike, die heute niemand mehr kennt, mit den Füßen getreten wurde, bleibt so stets im Bewusstsein gegenwärtig. Sie ist das Verdienst der vielen Namenlosen, welche einmal nicht von der Blutmühle Geschichte zermalmt wurden, sondern etwas Bleibendes hinterließen.

In Rilkes »Malte«-Roman gibt es eine Stelle, wo der Ich-Erzähler sich an seine Kindheit erinnert. Von Zeit zu Zeit habe seine Maman für ihn die Schublade eines Sekretärs aufgemacht, in welcher geklöppelte Spitzenstücke ruhten. Zusammen rollen sie diese Pracht ab und staunen über die Muster an unüberbietbar filigraner Feinheit, die sich vor ihnen abrollt. »›[…]Denk nun erst, wenn wir sie machen müssten‹, sagte Maman und sah förmlich erschrocken aus. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich ertappte mich darauf, dass ich an kleine Tiere gedacht hatte, die das immerzu spinnen und die man dafür in Ruhe lässt. Nein, es waren ja natürlich Frauen. ›Die sind gewiss in den Himmel gekommen, die das gemacht haben‹, meinte ich bewundernd.«

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