Ausstellungsbesprechungen

Unruhe im Olymp. Gedichte, Zeichnungen und Skulpturen von Markus Lüpertz, Günter Grass-Haus, Lübeck, bis 10. November 2013

Mit Markus Lüpertz wird einer der bekanntesten Maler Deutschlands in diesen Tagen ganz groß in Lübeck ausgestellt: Vor dem Holstentor steht eine »Odysseus« benannte Skulptur und erregt die Gemüter, und im Günter Grass-Haus durfte der offenbar auch poetisch begabte Malerfürst die Wände mit seinen Gedichten beschriften. Stefan Diebitz hat sich beides angesehen.

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Lüpertz ist ein Künstler, den die Zuneigung der Sammler, nicht die Begeisterung der Massen reich und berühmt gemacht hat, und so konnte er nicht unbedingt mit der Zustimmung der breiten Bevölkerung rechnen, als er seinen »Odysseus«, einen immerhin vier Meter großen Herrn, vor dem Holstentor aufstellen ließ. Unmittelbar vor einer Ikone der deutschen Geschichte steht jetzt eine bunt angemalte und eher rohe und ungeschlachte Skulptur, die ohne ihren Namen wohl kaum jemand mit dem homerischen Helden in Verbindung gebracht hätte. Das Ergebnis dieser Aktion ist Lüpertz aus Salzburg und Augsburg bekannt und als solches zweifellos einkalkuliert: Seine Plastik stößt auf entschiedene Ablehnung, wenngleich in der kurzen Zeit seit der Aufstellung noch keine handgreiflichen Aktionen gegen sie versucht wurden, wie das andernorts geschehen ist.

Interessant und wahrscheinlich auch durchaus repräsentativ sind die Kommentare in einer Lübecker Internetzeitung. »Ich denke, Kunst sollte gefallen; in diesem Falle ist dies bei mir nicht so.« verkündet ein Forist selbstgewiss, und ein anderer weiß ebenso genau:
»Kunst soll nicht gefallen, Kunst soll anregen und zwar bestenfalls zum DENKEN!« Die Komik dieser Äußerungen (»bestenfalls«) ist natürlich wunderbar, aber darüberhinaus könnte oder sollte die Aufstellung und vorhersehbare bzw. provozierte schroffe Ablehnung der Skulptur schon zu einigen Überlegungen anregen, die sich mit den Schwierigkeiten von Kunst im öffentlichen Raum befassen: Ist es wirklich notwendig so, dass ein Jeder, der Lüpertz’ Arbeiten oder auch die eines anderen Künstlers ablehnt, notwendig ein Spießer ist? Rein theoretisch könnte es doch möglich sein, dass Lüpertz nicht, wie sein Galerist verkündet, der »größte lebende Künstler« ist. Auch könnte man darüber nachdenken, warum dasselbe Thema in Bild und Plastik so verschieden wirkt, einmal frisch und lebendig, das andere Mal roh und brutal. Vielleicht ist Lüpertz ein guter Maler, aber ein schlechter Bildhauer?

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Die Ausstellung im Grass-Haus bietet viel mehr als nur Odysseus. Die vier Wände des Raumes sind den vier Themen Liebe, Tod, Kunst und Krieg gewidmet. Neben einigen (sehr wackeligen!) und natürlich angemalten Gipsskulpturen werden Zeichnungen und Aquarelle gezeigt, und dazwischen hat der Künstler in Blockbuchstaben seine Gedichte auf die Wand geschrieben – Gedichte, die nicht von ihm, sondern von der Kuratorin Tatjana Dübbel ausgesucht wurden, wie ausdrücklich betont wurde. Wie die poetischen Aphorismen Gottwalts aus Jean Pauls »Flegeljahren« könnte man sie Streckverse oder Polymeter nennen, denn es sind »Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert«. So hat etwa Lüpertz gedichtet: »Die Benutzbarkeit / muss / unbedingt durch / viele Widerstände / verhindert werden. / Zum Beispiel / Ironie / Abstraktion / Geheimnisse / Fehldeutungen / Unerklärbarkeiten / Ständig verwirren / Ständig / Sich selbst / Widersprechen.«

Außer den vier Gedichten werden noch Vorarbeiten zu den Skulpturen »Hölderlin« und »Odysseus« und etliche Zeichnungen vorgestellt; dazu kommen einige von Lüpertz bemalte Plastiken. Entgegen allen voreiligen Annahmen versteht sich Lüpertz gar nicht als Allroundtalent, sondern als Maler, und eben deshalb gestaltet er auch seine Plastiken farbig. »Alles, was er macht, macht er als Maler«, verriet die Kuratorin und wies darauf hin, dass Lüpertz für Michelangelo schwärmt, der ja auch als Poet hervorgetreten ist, wenngleich er keine Streckverse, sondern richtige Sonette dichtete. Lüpertz erweist dem Renaissance-Genie mit einer Plastik namens »David« die Ehre.

Am besten gefielen mir selbst die vier Hölderlin gewidmeten Aquarelle, die mit starken Umrisszeichnungen und eher gedeckten bräunlichen Farben die Bewegungen eines Menschen aufzeigen. Warum dieser kräftige, vielleicht sogar muskulöse Mensch Hölderlin sein soll, das leuchtet vielleicht nicht jedem ein, aber die Plastizität und Lebendigkeit der Figur ist trotzdem erstaunlich und beeindruckend.

In der Lokalpresse wurde »Odysseus« als archaisch bezeichnet, aber eben als archaisch kann man ihn kaum empfinden. Nicht allein, weil ein Bezug zur Odyssee nicht augenscheinlich ist, wirkt die Plastik wenig überzeugend, sondern auch deshalb, weil das Gesicht mit den kleinen Augen keinerlei Ähnlichkeit mit den großäugig in die Ferne starrenden Augen der vorklassischen Plastiken besitzt. Der merkwürdig leere Blick und das »archaische« Lächeln lassen jeden Betrachter die Fremdheit eines längst vergangenen Menschentums so deutlich erfahren, dass es ihn überschauert. Vor dem Lübecker Holstentor aber steht ein moderner Mensch in einem winzigen Boot, der schon eher als Travefischer durchgehen könnte.

Etwas rätselhaft bleibt der Titel der Ausstellung »Unruhe im Olymp«. Schließlich haben Odysseus und Hölderlin kaum etwas mit diesem zu tun, so dass hier eigentlich nur der Verdacht bleibt, dass jemand ganz anderes sich selbst mit dem Olymp in Verbindung bringt.

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