Das Lebenswerk von zwei der wichtigsten deutschen Nachkriegsfotografen wird in diesen Tagen in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt. Sage und schreibe 480 Fotos von Ute und Werner Mahler füllen die großen Räume und erlauben die Auseinandersetzung mit einem über vier Jahrzehnte entstandenen anspruchsvollen Werk. Stefan Diebitz ist durch die Ausstellung gewandert.
Es ist eine sehr große, aber erstaunlich einheitliche Ausstellung, die das enorm umfangreiche Lebenswerk des Ehepaares Mahler in einer breiten Auswahl präsentiert. Beide Künstler waren immer dicht an der Realität, ohne jemals die Sensation zu suchen - ihnen kam es auf den Alltag und seine Geheimnisse an. Deshalb sind viele Bilder dicht an der Reportage, denn die Mahlers arbeiteten immer wieder für Zeitschriften, und auch das von Werner Mahler ausgesprochene Leitmotiv »Keine Situation schaffen, sondern die Situation erkennen und sie interpretieren« steht für das gemeinsame Werk und dessen objektiven Charakter. Die Mehrzahl der Bilder ist schwarzweiß, wenngleich immer wieder auch farbige Aufnahmen vorkommen. Die meisten farbigen Fotos stammen wohl von Werner Mahler, der anders als seine Frau auch Landschaften aufgenommen hat. Insgesamt dominieren Porträts sowie Fotos, in denen Menschen im Mittelpunkt stehen.
Besonders imponierend ist die Ausdauer beider Künstler. So hat Ute Mahler mit einer fantastischen Geduld von 1972 bis 1988 an ihrem Zyklus »Zusammenleben« gearbeitet. Eigentlich geschah dies immer nebenbei. Nachdem sie einen Auftrag erfüllt hatte – etwa ein Porträt zu fotografieren –, wartete sie auf eine Gelegenheit, auch das Zusammenleben des Porträtierten einzufangen. Sechzehn Jahre lang tat sie das, bis sie selbst 1988 das Thema abgeschlossen fand. Jetzt wird diese sehr umfangreiche Arbeit erstmals groß ausgestellt, und der Betrachter kann eine Menge ebenso realistischer wie intimer, aber niemals indiskreter Fotos anschauen.
Über die Jahre hinweg arbeiteten beide Fotografen für wichtige Zeitschriften der DDR, vor allem für die Modezeitschrift »Sibylle«. »Sibylle« zeigte eine für die DDR ganz und gar unrealistische Mode, der kein Angebot in den Warenhäusern entsprach. Ute Mahler, die auch die Modefotografie des Westens kannte, versuchte dieser ihren eigenen Stil entgegenzusetzen. Die langjährige Zusammenarbeit mit »Sibylle« belegt ebenso wie die verschiedenen Langzeitdokumentationen die Beharrlichkeit der Fotografin, die ebenso überzeugend ist wie ihre Objektivität. Denn sie stellt auf keinem Foto sich selbst mit ihren Abneigungen oder Leidenschaften in den Vordergrund, sondern nimmt sich zurück und lässt ihre Modelle sprechen. So durften sich die Frauen, die für die Modefotos posierten, ihre Stellung ebenso aussuchen wie später die rechtsradikalen Männer der Nachwendezeit, die 1993 in »Bomber« dargestellt wurden.
Immer wieder geraten Bilder in die Nähe bloßer Reportagen, von denen sie sich allerdings einerseits durch die hohe handwerkliche Qualität der Fotos, andererseits durch die sympathische Zurückhaltung der Fotografen unterscheiden, denen es niemals auf die Sensation oder auf das Zurschaustellen von irgendjemandem ankam. Das gilt auch für »Erotikprogramm«, das halb- oder ganznackte Tänzer und Tänzerinnen aus Erotikshows dokumentiert – eine Serie von 1988, also vor der Wende aufgenommen. Alle Bilder sind, so nackt die Tänzer auch sein mögen, gänzlich unerotisch: Die mageren Gestalten lassen in dem unbarmherzig harten Licht keinerlei Gedanken an Zärtlichkeit aufkommen.
Für ein Zentrum seines Werkes, bei dem allerdings trotz des hohen fotografischen Niveaus der dokumentarische Charakter überwiegt, hält Werner Mahler »Steinkohlen Werk Martin Hoop« von 1975, geschaffen zu einer Zeit, als er sein Studium noch gar nicht abgeschlossen hatte. Später hat Werner Mahler auch Landschaften fotografiert und hier mit Farbe gearbeitet, während ja fast alle Porträtfotos schwarzweiß sind. In den Landschaftsbildern gibt erst die Farbe den Bildern ihre Struktur. Während hier die Farbe unverzichtbar scheint, weil nur sie dem Raum Tiefe verschafft, vermisst man an den Porträts die Farbe überhaupt nicht; in vielen Fällen würde sie sogar stören.
Auch räumlich im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine der drei gemeinsamen Arbeiten von Ute und Werner Mahler – eine lange Reihe von großformatigen Porträtfotos zieht sich eine Wand entlang. Allerdings widerlegt sie den oben zitierten Ausspruch Werner Mahlers – »Keine Situationen schaffen« - schlagend. Es werden eine ganze Reihe von »Monalisen der Vorstädte« gezeigt, das sind halbwüchsige Mädchen vor einer unscharf aufgenommenen Landschaft. Ute Mahler hatte mit diesem Projekt begonnen, von ihrem Mann zunächst nur als Assistent begleitet, bis sie nach langen Diskussionen gemeinsam den Stil ihrer Bilder fanden und die Arbeit gemeinsam abschlossen.
Während der Vorstellung der Fotos wurden die Mädchen »unglaublich umwerfend« genannt, aber diese Bezeichnung ist eher unglaublich falsch und trifft diese samt und sonders todernst in die Kamera schauenden Mädchen überhaupt nicht. Sie alle wurden aus derselben Distanz aufgenommen und zeigen ein verschlossenes Gesicht ohne die leiseste Andeutung einer Mimik; keine lächelt, keine öffnet auch nur den Mund. Allerdings findet sich auf einigen Bildern doch so etwas Ähnliches wie die Andeutung einer Geste – mehr aber auch nicht. – In jedem Fall stehen alle Monalisen immer in derselben Situation, und diese wurde in einer höchst künstlichen Art von den Fotografen geschaffen, nicht etwa von ihren Modellen.
Bei Leonardos Bild ist bekanntlich der Hintergrund ebenso interessant wie das Bild der Mona Lisa selbst, und etwas Ähnliches haben auch die Mahlers versucht, denn in ihren Porträts verschwimmt der Hintergrund und lässt sich kaum identifizieren. Anders als bei Leonardo allerdings wecken die kahlweißen Flächen vor den Hochhäusern kaum Interesse, so wenig wie der fahle, unstrukturierte Himmel – Wolken finden sich nicht, auch keine Bäume. Hier vermisst man die Farbe schmerzlich, denn der Hintergrund ist wirklich nur Hintergrund, nicht mehr als eine Folie, von der sich die Figuren scharf abheben. Vielleicht hätten, wenn es technisch möglich gewesen wäre, die Gesichter schwarzweiß und sehr scharf, die Hintergründe farbig und verschwommen aufgenommen werden müssen.
Die Bilder wurden in fünf europäischen Städten aufgenommen, die sich nicht unterscheiden lassen: offenbar fanden die Aufnahmen in allen Fällen in ärmlichen Randbezirken statt. Der Betrachter jedenfalls nimmt einen düsteren, fast hoffnungslosen Eindruck mit. Diese Arbeit wirkt sehr ernst und seriös, aber in ihrem Purismus größtenteils wenig herzerwärmend. Dies ist ein Eindruck, der die ganze Ausstellung bestimmt: die Bilder sind wenig emotional. Das wird besonders bei den Porträts deutlich, denn die Gesichter der Schauspieler oder Musiker, bei denen man Sympathie voraussetzen darf, werden mit derselben kühlen Distanz abgelichtet wie der Neonazi im Unterhemd.
Die große Schau in den Deichtorhallen zeigt insgesamt drei gemeinsame Arbeiten des Ehepaares, die einander lange Jahre nur assistierten und begleiteten. Gemeinsam arbeiteten sie erst zuletzt: »Monalisen der Vorstädte« (2009 - 2011), »Wo die Welt zu Ende war« (2010 – 2012 – eine Dokumentation der ehemals deutsch-deutschen Grenze) sowie »Die seltsamen Tage« (seit 2010), eine Serie von Fotos ohne Menschen, in denen geheimnisvolle oder jedenfalls nicht sogleich zu verstehende Situationen eingefangen wurden, aufgenommen für das »Zeit-Magazin«. Hier wird eine Art Rasenstück gezeigt, ein grober Stiefelabdruck im Matsch, ein ertrunkenes (?) Kitz oder ein seltsamer Kellerraum: alles etwas mystisch und rätselhaft und eigentlich sehr viel anders als die früheren, sich nah an der Reportage bewegenden Fotos.