Ausstellungsbesprechungen

Utopie beginnt im Kleinen – 12. Triennale Kleinplastik, Alte Kelter, Fellbach, bis 29. September 2013

Ob Sie es glauben oder nicht: Gerade im kleinen Maßstab gelingt es wunderbar, gesellschaftliche Wunschvorstellungen konjunktivisch zu vollenden. Gudrun Latten hat es sich auf der 12. Triennale Kleinplastik angeschaut.

»Utopie beginnt im Kleinen« ist diesmaliges Thema der Triennale der Kleinplastik. Das Kuratorenteam Yilmaz Dziewior und Andrea Nollert hat einen Weg gefunden, Visionen begreiflich zu machen. Der kleine Maßstab rückt ins Zentrum des Interesses und steht im Kontrast zu der unbegreiflichen, meist realitätsuntauglichen Utopie. In der diesjährigen Triennale werden die Bereiche Architektur, Theater und Design berücksichtigt. Man rechnet nicht nur mit einer schönen neuen Welt, sondern mit ganz vielen! Welche Gedanken laden heute noch zum Träumen ein? Welche Fantasien, die eine Allgemeinheit bewegen, bedürfen der Umsetzung in Realität? Der Besuchende geht mit großen Erwartungen in die Ausstellung und begibt sich auf die Suche nach den neuesten Utopien.

Eine große Wabe aus bunten Plastiktüten begrüßt ihn im Eingangsbereich. Auch dieses Mal hat man sich nicht vollständig auf das Kleinformat beschränkt, denn die Wabe erstreckt sich von der Decke bis fast zum Boden der Ausstellungshalle. In der Wabe klingt die ökologische Utopie an. Sie nimmt sich damit eines Bereiches an, welcher in der Ausstellung immer wieder zur Sprache kommt. Die Zeit nach 1989 wird als einschneidende Epoche für die Utopie betrachtet. Bei der Auswertung des zeitgenössischen Utopiebegriffes ist man sich über dessen wechselhafte Geschichte bewusst. Doch ist kein enzyklopädischer Anspruch bermerkbar. Ein ungleicher Querschnitt durch die Landschaft der Utopien wird ausgestellt.

Luis Camnitzers Vision besteht beispielsweise darin, ein menschliches Gesicht in eine Schafweide zu verwandeln. Ein erster Traum von Beschaulichkeit und Natur? Vor allem ein erstes Sinnbild für eines der Anliegen der Triennale: Size does matter! Zumindest in dieser Ausstellung. Auch die kleinen, ganz privaten Utopien kommen zur Sprache. Damit scheint man einem ihrer Probleme zu begegnen: Utopien müssen vorab formuliert werden, um als solche erkannt zu werden. Viele dieser Sorte sind im Laufe der Zeit als Neuerung in die Geschichte eingegangen.

Eine scheinbar kleine, individuelle Wunschvorstellung findet in der Kleinplastik des Designers Konstantin Grcic ihre Formulierung. Ein Pudel en miniature blickt in der Arbeit »Paramount« in den Spiegel. Dieser offensichtliche Kitsch birgt Potenzial für vielfältige Gedankenspiele – man läuft Gefahr, hier den Traum von einem Planet der Pudel zu sehen. Oder ist diese Vorstellung mit Hundemode und Hundeschauen bereits bis zu einem Maximum ausgereizt? Aber nein – es handelt sich um Jacques Lacans »Spiegelstadium«, welches hier bei Hunden herbeigesehnt wird. Jede der Kleinplastiken scheint sagen zu wollen, es handle sich um einen Riesenschritt für die Menschheit.

Viele der vorgestellten Visionen sind nicht undenkbar. Die Kleinplastiken bringen sie der Realität ein Stück näher. Hat also das Image von der Utopie als unmögliches Möglichkeitsmodell ausgedient? Es scheint sich bei den meisten Denkmodellen nur um eine Frage der Zeit zu handeln, bis diese realisiert werden. Offensichtlich umschreibt das bekannte »Noch-Nicht« des Philosophen Ernst Bloch auch die zeitgenössische Utopie treffend.

Ganz bezeichnend: Es wurden für diese Ausstellung verschiedene Architekturmodelle ausgewählt, bei denen absehbar ist, dass diese nicht mehr oder nicht in dieser Form gebaut werden. Also doch eine Rückkehr zum alten Modell von der Utopie, die einfach nur utopisch war? Der Entwurf, das Modell, der Gedanke: die Idee ist bereits vorhanden, doch die Realität stand und steht dieser im Wege. Nur im Modell konnte sie eine reale Form annehmen. Ein Architekturentwurf, welcher nicht in die Tat umgesetzt wird, scheint die einzige Form zu sein, welche der Utopie gerecht wird. Die Exponate sind in der ehemaligen Kelter wie gewöhnlich auf Tableaus angeordnet. Dieses Mal wurden sie von dem Architekten und Teilnehmer der Triennale Arno Brandlhuber entworfen. Er ließ die Tableaus waagrecht stellen und mit Fachwerkmustern bemalen. Diese Inseln wirken selbst wie Entwürfe, ähnlich auch Zeichenbrettern eines Architekten. Ein eleganter und vielschichtiger Schachzug an Ausstellungsarchitektur!

Die Utopie ist nicht nur ausformuliert meist schwer fassbar, sondern auch als Begriff. Eine literarische Gattung ist sie nicht. Sie kann einer Religion nahestehen. Sie ähnelt einer Fantasie, die umgesetzt werden soll. Die utopische Vorstellung muss an einer Stelle der Realität fremd sein. Sie muss einen neuen, fantastischen Wesenszug aufweisen, zukunftsweisend sein. Vielerlei Anforderungen, die da gestellt werden! Doch lässt sich die Utopie sehr gut mit Kunst vereinbaren und vereinen, da ihr ein innovatives Moment innewohnt, sie sich der Realität, den Naturgesetzen nicht unterordnen muss.

Eine Utopie bleibt meist Traum. Welche mag sich wohl in der preisgekrönten Miniaturkirche von Nathan Coley verstecken? Hat sich die »Camouflage Church« als Kirche getarnt oder tarnt die Form den Anstrich? Ist das Kleinformat die Utopie? Handelt es sich um einen Traum von Lilliput? Demnach müssten wir alle kleiner werden. Es scheint ein Traum von kleinen, kontrollierbaren, beschaulichen und süßen Verhältnissen zu sein. Das ist die elementare Idee der gesamten Ausstellung. Der große Gedanke wird im Modell ganz klein, kann von Nahem als Ganzes und im Detail betrachtet werden. Wie durch ein Mikroskop können kleine Kosmen, politische Neuerungen und soziale Veränderungen beobachtet werden. Die Vorzüge des kleinen Formates werden deutlich: es lassen sich im Entwurf und im Modell Ideen formulieren, welche im Großformat undenkbar sind. Eins ist sicher, es ist das Format, welches die Utopie ausmacht!

Carlos Garaicoa hat ein ungewöhnliches Architekturmodell entwickelt. Aus der Fläche eines monochromen roten Tonkartons hat er eine Stadtansicht en miniature gebaut. Einfache, geometrische Formen werden aufgeklappt, ein dreidimensionales Bild entsteht. Doch bleibt die Architektur flach und körperlos, vereinheitlicht, vereinheitlichend und zugleich inhaltslos. Mit dem Tonkarton und dem einfachen Scherenschnitt kann nur die Hülle der Architektur wiedergegeben werden. Es ist eine abstrakte Architektur, die zwar ein klares, jedoch unrealisierbares Modell von einer Mustersiedlung in Kuba abgibt. Ein vielschichtiges und aussagekräftiges Sinnbild für die Utopie vom Sozialismus. Eins ist sicher, er funktioniert in der Kunst vor allem in der Fläche. Jede der Kleinplastiken wirft zahllose Fragen auf. Der Sozialismus scheint ähnlich dem Modell und Entwurf eine »Immer-Noch«-Utopie zu sein. Nie ist eindeutig, welcher Aspekt der weltbewegendste ist.

Das »Blei in den Flügelschuhen« der Utopie, welches Ernst Bloch einst Schriften von Karl Marx zugestanden hat, findet man bei dieser Ausstellung in den kleinen Träumen. Das Modell eines Bühnenbildes steht in der Mitte des Raumes. Es ist nicht klar, was hier aufgeführt werden soll, das Modell bietet Raum für persönliche Fantasie. Die komplexen Ideen der Utopie werden auf wenigen Zentimetern wiedergegeben. Das Modell – ob nun technischer oder ideologischer Natur – muss nicht einsatzbereit sein. Es darf Denk- und Konstruktionsfehler enthalten, denn sie fallen fast nicht ins Gewicht. Das Verhältnis zur Realität und zum menschlichen Maß nimmt der Utopie im Kleinformat etwas von ihrem Schrecken. Sie wirkt niedlich und leicht, überschaubar.

Eins ist sicher, nach dieser Ausstellung möchte man sich der Utopie nur noch in der Kleinplastik annähern. Viele verschiedene »Nirgendplätze« oder auch »Schöneplätze« haben bei der Triennale einen Ort erhalten. Doch wird mit eben diesem Schachzug, mit der Verwirklichung, mit ihr dem Bau, die Utopie zerstört. Ein Glück, dass es sich bei den vielen Architekturen en miniature nur um Modelle handelt! So scheint die Utopie vorerst gerettet – oder? Die Ausstellung regt zum Träumen an und versprüht zugleich eine leichte Melancholie des Unvollendeten.…

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