Ausstellungsbesprechungen

Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch, Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 11. September 2016

Vor fünfhundert Jahren starb mit Hieronymus Bosch eine der rätselhaftesten Figuren der europäischen Kunstgeschichte. Das Bucerius Kunst Forum nimmt das Jubliäum zum Anlass, seine Bedeutung für die niederländische Kunst des 16. Jahrhunderts zu demonstrieren. Stefan Diebitz hat die lehrreiche und durchdachte Ausstellung besucht.

Es gibt nicht viele Künstler der frühen Neuzeit, die noch heute so populär sind wie Hieronymus Bosch; und es sind noch weniger, die mehr Anlass zu Spekulationen gegeben haben als der Meister aus s`Hertogenbosch. Wilhelm Fraengers Thesen über seine Mitgliedschaft in einer hypothetischen Sekte haben sich zwar als ganz falsch herausgestellt, aber das entsprechende Buch hat wesentlich zur Popularität des spätmittelalterlichen Meisters beigetragen, und auch die Affinität der Surrealisten zu seinen wüst-fantastischen Werken beruhte auf einem ziemlich heftigen Missverständnis, hat aber Boschs Bekanntheit ganz gewiss nicht geschadet.

Bosch war mit großer Wahrscheinlichkeit ein strenger Katholik, und die wildesten seiner Kreaturen und die bizarrsten seiner Fantasmen haben viel mit strenger Moral und deren Ausdruck in allerlei kraftvollen Sprichwörtern zu tun, aber schlechterdings überhaupt nichts mit irgendwelchen Sekten.

Auch ohne die großen Jubiläumsausstellungen in Boschs Heimat und in Madrid wären die Originale wohl niemals nach Hamburg gelangt – sie sind schon ihres Alters wegen kaum reisefähig. So macht der Kurator Michael Philipp in seiner Abschiedsausstellung aus der Not eine Tugend und zeigt 80 Kupferstiche und dazu noch einige Gemälde und Skulpturen, um den Einfluss des Meisters auf die folgenden zwei oder drei Künstlergenerationen zu belegen. Weil das Papier der Stiche höchst lichtempfindlich ist, handelt es sich um eine dunkle und wenig farbenfrohe Ausstellung, aber sie ist zugleich sehr lehrreich, denn sie verdeutlicht und veranschaulicht mit der Entwicklung der Kunst auch einen mentalitätsgeschichtlichen Wandel. Man lernt viel nicht allein über die Kunst des 16. Jahrhunderts, sondern über die ganze Epoche.

Am Ende des 16. Jahrhunderts gab es nicht mehr den lebhaften Glauben an Paradies, Hölle und Jenseits, der Bosch und seine Zeitgenossen so sehr bestimmte oder sogar tyrannisierte – das Leben war diesseitig geworden, und so trat im Vorgriff auf das 17. Jahrhundert, auf seine Stillleben, Sonette und Epitaphe, das Vanitas-Motiv immer mehr in den Vordergrund. Den Abschluss der Ausstellung bildet passenderweise ein Totenkopf auf einem Kupferstich von Jan Pietersz. Saenredam, und folgerichtig ist das letzte Kapitel »Erkenntnis der Vergänglichkeit« überschrieben.

Das 16. Jahrhundert war laut und heftig, ja brutal, so dass Egon Friedell die entsprechenden Passagen seiner »Kulturgeschichte« mit einem lakonischen »Der Ton war überaus roh.« beginnen konnte. Nur wenig später spricht er sogar davon, dass in den Menschen »in der Tat etwas Teuflisches« gewesen sei. Auf jeden Fall umfasste das Grobe und Ungeschlachte das Leben in seiner Totalität. Die ganze Entwicklung (die Abwendung von der Transzendenz, dazu die Verrohung und Veräußerlichung) lässt sich an Ölbildern wie an Kupferstichen in der Nachfolge Boschs direkt ablesen. Nur ein Beispiel unter vielen ist das Bild »Christus im Limbus«, das seiner eigenen Werkstatt zugeschrieben wird – allerdings erst nach seinem Tod. Das Bild wirkt effekthascherisch und kraftmeierisch und lässt ebensosehr die filigranen Einzelheiten des Meisters als auch die Durchdachtheit seiner Komposition vermissen. Im Katalog ist von der »Steigerung des Abwegigen und Bizarren« die Rede.

Zu diesem Thema – »Christus im Limbus« – finden sich neben zwei Gemälden auch mehrere Kupferstiche, und deshalb wäre es ganz angebracht gewesen, diese uns heute fernliegende Thematik zu erläutern. Limbus meint eine Art Vorhölle, in welche im Prinzip unschuldige Seelen wie zum Beispiel ungetauft verstorbene Kinder kommen, und für alles Höllenartige hat man sich ja ausgangs des Mittelalters nur zu sehr interessiert. Später geriet dieser Ort aus dem Focus, und vor ungefähr zehn Jahren hat sich die katholische Kirche doch noch aufgerafft und den Limbus gestrichen. Seitdem gibt es ihn nicht mehr.

Das 16. Jahrhundert war eine sehr brutale Zeit, und so wurden die ohnehin fantastischen Vorstellungen Boschs von höllischen, buchstäblich infernalischen Quälereien durch seine Nachfolger noch einmal übertroffen und ins Groteske übersteigert. Aber gleichzeitig wurden die Jenseitsvorstellungen immer weniger bedeutend und verwandelten sich in ein Spiel oder in einen bloßen Vorwand, malerisches Können am Beispiel brennender Städte in der Nacht oder alptraumhafter Kreaturen zu demonstrieren.

Farbige Gemälde gibt es in dieser Ausstellung aber nur wenige – einige behandeln eben diese Thematik. Besonders schön ist »Die Verspottung des Hiob«, eine in festlich leuchtende Farben gekleidete Illustration des biblischen Buches. Fast ganz genau im Zentrum des Ölbildes sitzt eine Eule auf einem merkwürdigen Blasinstrument. Die Eule aber findet sich auf unzähligen Gemälden von Hieronymus Bosch, sie war tatsächlich sein Vogel (zumeist Symbol des Nächtlichen und Bösen), und so haben auch seine Nachfolger dieses Tier übernommen.

Bestimmend – schon für Hieronymus Bosch selbst, aber ebenso für seine Nachfolger – waren die strengen Moralvorstellungen der Zeit. So ist auch der Titel der Ausstellung zu verstehen, denn »Verkehrte Welt« war nicht, wie im deutschen 18. Jahrhundert oder im gleichnamigen Schauspiel Ludwig Tiecks, ein Ausdruck für die Satire, sondern in den Worten Michael Philipps »eine geläufige Formel, die zumeist moralisch falsches Handeln bezeichnete«. Im Detail demonstriert er das an einem gleichnamigen Kupferstich, und seine Interpretation macht deutlich, wie sehr diese Kunst von der Sprache, also von Sprichwörtern und Sprachspielen aller Art abhängig ist – so sehr, dass wir sie ohne einen derart genauen Kommentar gar nicht verstehen können. Philipp geht sogar so weit, das Bild mit einem Rebus, einem Bilderrätsel, zu vergleichen. Hier also ein längeres Zitat aus seinem Kommentar zum Kupferstich:

»Zu Füßen des Ritters sind zwei verschränkte Hände gezeigt, ein Symbol für Treue. Daneben ist eine Ente abgebildet; im Niederländischen werden ‚und’ und ‚Ente’ ähnlich ausgesprochen. Die ruhende Mutter mit den drei Kindern symbolisiert die schlafende Liebe. Daneben liegt auf dem Grund eine viereckige Grassode, niederländisch ‚soo’, was auch im Sinn von ‚wie’ verwendet werden kann.« Eine Allegorie der Zeit weist auf »ein aufgeschlagenes Buch, auf dessen linker Seite das niederländische Wort für ‚uns’ steht, während die rechte eine Leiter (niederländisch ‚leer’) und ein t zeigt, woraus sich ‚ons leert’, auf Deutsch: uns lehrt lesen lässt. Die Gesamtheit der Bildelemente ergibt den Satz ‚Heuchelei und Tyrannei halten die Welt verkehrt, während Treue und Liebe schlafen, wie die Zeit uns lehrt.« Philipp demonstriert mit seinem Kommentar, dass man ohne Kenntnis der niederländischen Sprache verloren ist.

Manches allerdings kann auch der Deutsche verstehen, insbesondere, wenn er das 1494 erschienene »Narrenschiff« Sebastian Brants gelesen hat – ein Werk, das man den moralischen Kupferstichen aus den Niederlanden jederzeit an die Seite stellen kann. Die Narretei, die Sebastian Brant geißelte, findet sich auch im Werk von Hieronymus Bosch, und ein bekanntes Bild dieser Art trägt sogar denselben Titel: »Das Narrenschiff«. Endlich ziert das Plakat zur Ausstellung der »Kopf eines Narren« von Philips Galle.

Ein schönes Beispiel für Narretei, in der Ausführung viel schwächer als von Boschs eigener Hand, wohl aber ganz und gar in seinem Stil, ist »Der Steinschneider«. Das Steinschneiden war ein Trick von Betrügern, die auf diese Weise arglose Menschen (oder eben Narren) von Kopfschmerzen oder, noch besser, von ihrer Begriffsstutzigkeit zu heilen vorspiegelten. Auch hier ist man ohne Kenntnis der außerkünstlerischen Zusammenhänge verloren. Aber schon für die Werke Boschs selbst ist die Kenntnis der Literatur unumgänglich, wie eingangs des Katalogs Gary Schwarz in seinem Beitrag »Eine Welt ohne Sünde« deutlich macht, denn er verweist auf die Quellen des Malers, die der »Handbibliothek der burgundischen Herrscher« entsprechen. »Zu diesen Büchern gehörten Werke wie der Roman des Mélusine, der Roman de la Rose […], ferner religiöse Allegorien […] sowie metaphorische Moraltraktate«. Besonders geht dieser Aufsatz auf »Die Visionen des Ritters Tondalus« (»Visio Tnugdali«) aus dem 12. Jahrhundert ein, die in der frühen Neuzeit mehrfach übersetzt und in zahlreichen Ausgaben verbreitet waren.

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