Buchrezensionen

Volker Adolphs (Hrsg.): Unheimlich. Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann, Hirmer 2016

Die eigenen vier Wände sind eigentlich ein Rückzugsort, bieten Geborgenheit, Sicherheit und schützen vor dem Blick der Außenwelt. Oder nicht? Nicht immer, wie der Katalog zur Ausstellung »Unheimlich« beweist: Er vereint Bildbeispiele, die das traute Heim zu einem Ort des Grauens werden lassen. Stefanie Handke sieht ihr Heim nun mit anderen Augen.

Interieurmalerei wird oft mit dem Bild eines heimeligen Raumes assoziiert. Dass das zu kurz greift, das hat die Ausstellung des Kunstmuseums Bonn bewiesen, deren Katalog die dort gezeigten Werke düsterer und unheimlicher Innenräume nach Hause bringt. Der ist ganz auf die Präsentation der unheimlich-düsteren Werke ausgerichtet: Jede Abbildung kann sich auf einer Seite allein präsentieren und kommt so zur vollen Wirkung. Neben den im Untertitel genannten Munch und Beckmann finden sich da Werke von Édouard Vuillard. James Ensor und Vilhelm Hammershøi, Erich Heckel und Felix Nussbaum.

In insgesamt neun Kapiteln sind diese angeordnet, unter jeweils einem Motto. Einsame Räume finden sich da, albtraumhafte Orte und Totenhäuser, aber auch Schattenreiche und albtraumhafte Innenräume. Ihnen beigeordnet sind insgesamt drei Aufsätze, die sich der Faszination des Dunklen und Unheimlichen widmen, während der Band sonst vor allem auf die Bildwirkung der eindrücklichen Werke setzt.

Grundlegend widmet sich dabei Herausgeber Volker Adolphs der Bedeutung des Unheimlichen und der Angst in der Interieurmalerei, denn bereits mit den ersten gemalten Innenräumen im 14. Jahrhundert war das Geheimnis deren Thema, wenn sie Mariä Verkündigung, Empfängnis oder die Geburt Christi darstellten. Seit dem 17. Jahrhundert wird das Interieur zu einer eigenen Gattung, die im 19. und 20. Jahrhundert schließlich auch ganz auf den Raum konzentriert und nicht mehr nur Schauplatz einer Handlung ist. Damit ist auch der Weg frei weg von einer heimeligen Abgrenzung zur Außenwelt hin zu düsteren Innenräumen. Dabei entstehen sehr unterschiedliche Motive des Unheimlichen: subtile Hinweise auf die Düsternis des Dargestellten wie bei Vuillard oder Hammershøi, dunkle Räume, aber auch eindeutige Gestalten wie Gespenster und Masken bei Alfred Kubin oder James Ensor. Entstanden sind diese Bilder dabei aus Angsterfahrungen, die aber im Bild kalkuliert eingesetzt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Munch und Beckmann. Insbesonder Edvard Munch hat in seinen Werken immer wieder sein Innerstes auf seine Umgebung übertragen, während Beckmann eine Distanz zu seiner Umgebung aufbaute. Eine andere Strategie verfolgen die Nabis eine andere Strategie. So erschließt sich in Bonnards »Interieur mit zwei Kindern« (ca. 1902) erst auf den zweiten Blick die Düsternis der Szene. Weitere Elemente des Unheimlichen sind eine große Leere der Räume, Fenster und Türen als Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, große Dunkelheit und Gegenstände, die ein Eigenleben entwickeln.

Auf den dem Aufsatz folgenden Seiten kann man vor allem Werke von Vuillard und Vallotton bewundern, bei denen die Figuren in düsteren Schatten verschwinden, oft nur noch Andeutung sind, die Räume diese regelrecht für sich beanspruchen wie es bei Félix Vallottons Holzschnittserie ». Intimitäten« (1897/98) der Fall ist, wo zugleich die Nähe zwischen den dargestellten Personen zur beunruhigend Übergriffigkeit wird. Einsame Protagonisten finden sich ebenso, z.B. in Munchs »Mondschein. Nacht in St. Cloud« (1895) oder natürlich Hammershøis »Interieur (Strandgade 30)« (1899), aber auch bei Léon Spilliaerts Schlafzimmern oder seinem »Alleine« (1909). Albtraumhafte Wesen warten im folgenden Abschnitt auf den Betrachter, ganz offensichtlich als Fledermaus bei Richard Müllers »Alpdrücken« (1903) oder Alfred Kubins »Gespenst« (1915) oder nur auf innere Albträume bezogen bei seinem »Wahnsinn« (1899). Treppen, Fenster und Türen bieten kein Entkommen – hier treten Wilhelm Hammershøi, Odilon Redon oder Conrad Felixmüller den Beweis an.

Felix Krämer erkundet in seinem Aufsatz »Die Schwärze der Nacht«, sowohl die offensichtliche Dunkelheit in dunklen Bildern Munchs und zieht die Verbindung zu den dramatischen Werken des Dramatikers Maurice Maeterlinck. Überhaupt tritt am Ende des 19. Jahrhunderts die Dunkelheit des Innenraums in die Kunst ein, wenn der private Raum zu einem Ort der Bedrohung avanciert. Ähnlich düster, aber subtiler umgesetzt sind die unheimlichen Innenräume, die Johannes Binotto in seinem Aufsatz »Da/Zwischen: Die Bildräume des Unheimlichen« untersucht. Er stellt heraus, dass sich dieses Unheimliche, das die in den im Band zu findenden Bildern vereint, eben nicht immer an offensichtlichen Bildelementen festmachen lässt, sondern sich auch in als diffus empfundenen Raumsituationen manifestiert. Besonders manifestiert sich das in Hammershøis Interieurs, aber auch in Leon Spilliaerts »Interieur mit grüner Pflanze« (1907) oder Frank Radziwills »Das (karierte) Handtuch« (1933). Gerade in diesen Bildern nehmen ganz alltägliche Gegenstände die Rolle dämonischer Kulissen ein – Krüge und Waschdevotionalien werden zu Protagonisten der Düsternis.

Freilich kommen auch die Toten und ihre Verwandten nicht zu kurz; James Ensor glänzt hier mit Dämonen, Skeleten und Masken, Max Klinger illustriert die »Pest« (1898-99), aber auch Krankenzimmer und Siechenhäuser ebenso wie Irrenhäuser, etwa von Erich Heckel, Munch, oder Felixmüller finden sich hier. Ganz anders einzuordnen sind dagegen die Werke im Abschnitt »Die Anderen«, die Menschen in unterschiedlichsten Kontexten als unheimliche Wesen offenbaren – nicht nur im Irrenhaus, sondern auch im Café (Max Beckmann: »Cafémusik«, 1918) oder im Zirkus (Ders., »im Artistenwagen«, 1940). Und last, but not least muss ein solcher Band natürlich auch »Tatorte« in den Blick des Betrachters rücken – angefangen bei Edvard Munchs »Mords« (1906) über Otto Dix‘ »Lustmörder« (1920) bis hin zu Felix Nussbaums »Das Geheimnis« (1939).

Auf diese Weise eröffnet die Publikation ein Panorama des Düsteren In der Kunst vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – einer Zeit, in der Sigmund Freud seine Psychoanalyse entwickelte und begründete und damit zugleich die Grundlage für die Interpretationen des Unheimlichen ermöglichte.

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