Ausstellungsbesprechungen

Volker Lehnert - Malerei, Stadtmuseum Lindau, bis 14. Oktober 2012

Noch bis zum Sonntag gilt es, die in Lindau ausgestellten Werke von Volker Lehnert zu enträtseln. Auf großformatigen Bilduntergründen verbindet der Maler unterschiedlichste Handlungsstränge miteinander, die in ihrer verästelten Erzählweise an Neo Rauch erinnern. Günter Baumann hat sich die Gemälde angeschaut.

Die Bildwelt von Volker Lehnert zieht den Betrachter in Szenerien hinein, die ihn zugleich irritiert auf Distanz halten. Es hilft ihm wenig, die Motive auszumachen oder gar die Technik zu bestimmen – beides folgt durchaus bewährten Mustern figurativ-gegenständlicher Gestaltung und gängiger Zutaten, bevorzugt Eitempera auf Leinwand. Doch geht es dem Künstler ausdrücklich nicht um das Was und Wie, sondern um den Antrieb zum Akt des Malens, das bekanntermaßen schon vielfach totgeredet wurde, aber nach wie vor nicht kleinzukriegen ist. Lehnert setzt auf archaische Spuren, die mal fragil, mal vehement und meist rätselhaft aufscheinen.

In dieser Rätselhaftigkeit wird man an Neo Rauch erinnert, der zu den Erneuerern der Figuration gehört, aber die Bildillusion geht bei dem in Saarbrücken geborenen und in Stuttgart als Professor lehrenden Volker Lehnert weiter, sprich tiefer. Begnügt sich Rauch mit der malerischen Aura unhinterfragbarer, wenn auch faszinierender Oberflächen, spielt Lehnert als scheinbar unbeteiligter Beobachter mit den verschiedenen Wahrnehmungsfeldern: »Den Punkt«, so meint er, »wo Gewusstes, Gefühltes und Gesehenes im Bild zu einer Einheit zusammengeführt werden«. Diese unterschwelligen Schichten unserer Erinnerungen und Wünsche ergeben eine surreal wirkende Landschaft, in der sich Comic-Elemente und Westernromantik mischen und die im linearen Stil an flüchtige Graffiti genauso denken lässt wie an Buchillustrationen bzw. Buchmalerei. Nur das Großformat weist die Arbeiten letztlich als Malerei aus. Grandios ist der ironisch tiefergelegte Witz, der in großer Geste ein Pathos vorgibt, das im selben Moment, wie es reflexhaft empfunden wird, auch schon wieder konterkariert wird: »Held (nutzlos)« heißt etwa eine Arbeit. Neo Rauch hätte sich im Stadium des pathetisch Gesetzten gefallen …

Mit großer Erwartung geht allerdings auch der Betrachter an die Arbeiten Lehnerts heran: Ob ein Wortspiel Neugierde weckt (»Der Hirte irrt«), ob eine Erzählung anhebt (»Ausflug ins Gebirge«) oder noch ein erzählerisches Motiv versprochen wird (»Landschaft mit Rest von Umarmung«). Auf der Suche nach dem Was steht man plötzlich ratlos im Bild, umgeben von erinnerten Trugbildern, realen Fragmenten aus vergessenen Zusammenhängen und gänzlich irrealen Traumszenen aus der Werbung oder anderen Fiktionen. Die zum Teil grelle Farbigkeit täuscht darüber hinweg, dass Volker Lehnert nicht nur ein begnadeter Zeichner ist, sondern über die Zeichnung erst klare Angebote an die Realwelt macht: Ein Haus, ein Zelt einerseits, und auf der anderen Seite agierende Menschen – nur machen die Behausungen einen verschlossenen Eindruck und die Menschen kommen etwas seinsvergessen daher. Drumherum entfaltet sich die pure Malerei einer Landschaftlichkeit, die gestisch die angedeuteten Signaturen überwuchert oder so verwaschen und verwischt ausgeführt wird, als wäre gerade ein Prozess des getrübten Sehens, des Vergessens überhaupt im Gange. Der Betrachter ertappt sich dabei, dass er umso gieriger die Szenen auszumachen versucht, um die verborgene, ja verschwindende Geschichte dahinter doch noch zu erhaschen.

Die Ausstellung in Lindau zeigt vor allem derartige, vom Menschen nur noch als bedeutungsschwer erahnte Landschaften. Die nahezu dramatische Ausleuchtung in dem gewölbeähnlichen Raum schreckt auf den ersten Blick, so dass man sich wünscht, die Arbeiten einmal bei Tageslicht zu sehen. Doch fügt sich diese Irritation letztlich zur sinnlichen Anlage des Werks, das im extremen Kunstlicht noch surrealer wirkt, als es konzeptionell schon ist.

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