Buchrezensionen

Von guten Glucken, dominanten Hähnchen und himmelblauen Eiern – Isabella Rosselini: Meine Hühner und ich, Schirmer Mosel Verlag 2017

Hühner sind eigentlich recht unspektakulär. Bestenfalls bieten sie pittoreskes Beiwerk für unser städtisches Bild vom Bauernhof. Aber die Federtiere erfreuen sich bei Haus- und Hofbesitzern inzwischen wieder großer Beliebtheit und besonders alte, selten gewordene Hühnerrassen sind bei Liebhabern gefragt. Eine dieser Liebhaberinnen ist Isabella Rossellini, die ihren Hühnchen mit »Meine Hühner und Ich« einen ganzen Band widmet. Walter Kayser hat das reizende Buch gelesen.

Wenn Hühner unsere Sprache sprächen und in Erfahrung bringen könnten, welche Rolle wir ihnen in Redensarten und Sprichwörtern so zuweisen, wenn der Tag lang ist, dann hätten sie mit uns vermutlich so manches Hühnchen zu rupfen. Wir halten sie für blind, zickig und albern wie einen Haufen von pubertierenden Mädchen, für ewig zankende Streithähne oder dumme Suppenhühner.

Inzwischen ahnt man: Das Tier, das sich sehr selbstgefällig als »homo sapiens sapiens« bezeichnet, irrte, als es einseitig einen evolutionären Zusammenhang zwischen dem Größenwachstum des Gehirns und der Entwicklung von Intelligenz zog. Rabenvögel aller Art zeigen deutlich, dass man mit winzigen Gehirnen auch gut denken kann. Sogar Hühner sind alles andere als dumm. Sie sprechen sich zum Beispiel durch Picksignale ab, damit sie möglichst synchron und wie aus dem Ei gepellt das Licht der Welt erblicken. So etwas wird dann in einem wissenschaftlichen Aufsatz der gelehrten Öffentlichkeit mitgeteilt; aber haben Sie schon einmal eine unterhaltsame Illustrierte über Hühner gelesen? (Wohlgemerkt, nicht so etwas Langweiliges wie die neuesten amtlichen Richtlinien des Bauernverbandes oder das dürre Jahresblättchen des örtlichen Geflügelzuchtvereins!)

Voilà, hier ist sie: eine schön gemachte Parade von illustren Stars aus dem Reich der Witwe Bolte? Man erinnert sich: »Mancher gibt sich viele Müh' /mit dem lieben Federvieh; / einesteils der Eier wegen, / welche diese Vögel legen; /zweitens: Weil man dann und wann / einen Braten essen kann;/ drittens aber nimmt man auch / ihre Federn zum Gebrauch […]«.

Anders als der armen, alten Frau, der seinerzeit von Max und Moritz übel mitgespielt wurde, kommt es Isabella Rossellini nicht so sehr auf das an, was die gefiederten Mitgeschöpfe an Profitablem abwerfen. Ihr Interesse am Federvieh entspringt eher einem Kantianischem Sinn für das »interesselose Wohlgefallen«, einem Schönheitsempfinden, das sich mit einer Prise ökologischer Sorge und Tierliebe paart.

Keine Frage: Hier lebt wohl jemand seinen Kindheitstraum aus vom Aussteigerleben auf dem alternativen Bauernhof irgendwo »on the sunny side of the street«.

Entsprechend ist dieses Buch, das soeben bei Schirmer/Mosel erschienen ist: Eine gelungene Osterüberraschung, leicht wie ein ausgeblasenes buntes Hühnerei, mit guten Glucken, dominanten Hähnchen und himmelblauen Eiern; ein kurzweiliges, erholsames Bilderbuch mit griffig gestärkten Seiten für Groß und Klein; mit wenig Text und schönen Fotos, - großzügig und geschmackvoll präsentiert wie Pralinen in ausgestanzter Goldfolie. Das alles in einem unbekümmerten Plauderton mit unprätentiöser Subjektivität und vielen Sätzen, die ganz selbstverständlich mit »ich« anfangen.

Dabei wissen wir doch: Mit manchen Zeitgenossen, die uns (Gewöhnlichen) als »Sohn von…« oder »Tochter von…« vorgestellt werden, meint es das Leben nicht gut. Denn eine Existenz, die unter dem Unglücksstern steht, als Prominentenkind eine bloß abgeleitete Funktion darzustellen, ist noch lange keine in sich ruhende Identität. Für die meisten von ihnen sind sogar mühsame Lehrjahre auf der Couch vorprogrammiert. Anders bei Isabella Rossellini. Sie ist bekanntlich als Frucht einer leidenschaftlichen und intensiven (wenngleich unverhältnismäßig kurzen) Liebesgeschichte aus einer der berühmtesten Künstlerehen des 20. Jahrhunderts hervorgegangen - damals, als sich die unvergleichliche Ingrid Bergmann und der Kultregisseur des Neorealismo Roberto Rossellini bei Dreharbeiten auf der Insel Stromboli fanden.

Ohne Zweifel hat auch ihre Tochter Isabella Schreckliches durchgemacht; schließlich ist sie aber doch als erfolgreiche Schauspielerin (Blue Velvet von David Lynch!) und langjähriges Lancôme-Model aus dem Schatten der Stareltern herausgetreten, um dann am Ende in der Gegenwart (Brigitte Bardot vergleichbar) auf einer Farm irgendwo auf Long Island im Umkreis vieler Tiere allem Anschein nach ihr genügsames, spätes Glück zu finden.

Und so blättert man kurzweilig von Bild zu Bild durch dieses »Chicken-Journal« und betrachtet diese Hühner und diese Frau, die im Laufe der Jahre auf magische Weise schön geblieben ist. Sie strahlt eine Schönheit aus, welche von einer Aura von Warmherzigkeit und Natürlichkeit lebt und der faltige Hände oder feine Runzeln in Augenwinkeln nichts anhaben können.

Die nötigen Hintergrundsinformationen sind schnell erzählt: In gewöhnlichen Postpaketen ließ sich Isabella Rossellini aus dem Staate Iowa, aus jener ländlichen Gegend des mittleren Westens also, wo die Welt noch ländlich-sittlich ist und arglose Trump-Wähler leben, Eier von ungewöhnlichen Hühnerrassen zuschicken: »Heritage chicken Breeds« aus vorindustriellen Zeiten. Denn immerhin gibt es, wie wir nebenbei erfahren, etliche Milliarden dieser Tiere auf der Welt, genau genommen dreimal soviel wie Menschen; aber was die Vielfalt betrifft, so drohen etliche Rassen auszusterben, nur weil sie, was ihren rapiden Fleischzuwachs und ihre Legeleistung angeht, nichts optimal Ausbeutbares anbieten. Die traurige Folge ist, wie uns Rossellini anschaulich belehrt, »als gäbe [es] nur fettleibige Pudel und meterlange Dackel, weil wir sie essen wollen« (S. 82). Wie Supermodels oder die letzten Vertreter ehrwürdiger aristokratischer Familiengeschlechter werden einige von ihnen also vereinzelt vor weißem Tuch ausgeleuchtet und von dem Fotografen Patrice Casanova standesgemäß porträtiert. Tatsächlich ist es so, dass sie allein schon deshalb in so besonders komischen oder anmutigen Haltungen eingefangen sind, wie man sie gewöhnlich an ihnen nicht betrachten kann. Sind sie doch eigentlich fortwährend damit beschäftigt, wie seinerzeit Stummfilmstars, ADS-Kinder oder aufgedrehte Hühner eben, permanent nervös hin und her zu rucken und nicht still halten zu können. Aber auch dafür gibt uns Isabella Rossellini die fällige Erklärung: Hühner schauen halt mit dem einen Auge nach dem verlockenden Korn am Boden, während sie mit dem anderen zeitgleich den Himmel nach drohenden Greifvögeln abscannen können. Dabei sehen sie die Welt so farbig wie unsereins höchstens auf einem LSD-Trip, haben sie doch vier Farbrezeptoren, nicht nur drei wie ihre menschlichen Halter und Verzehrer.

Solche immer wieder eingestreuten Forschungsergebnisse sind meistens kurzweilig. Aber dann gibt es auch Passagen, in denen einige Selbstverständlichkeiten aus dem Bereich der Verhaltensforschung allzu breit ausgewalzt werden. Zum Beispiel die Geschichte der Domestizierung oder das Phänomen der Prägung. Aber vermutlich ist solche Beckmesserei ein wenig kleinlich. Denn hübsch sind wiederum die vielen Zeichnungen, mit denen die Autorin ihre Liebe zum Geflügel zu garnieren pflegt. Recht eigentlich ist das kunstlose Karikaturkritzelei. Will man die allerdings kunstgeschichtlich in eine Tradition stellen, so könnte man in der Art, wie die Umrisslinie mit wenigen Unterbrechungen durchgezogen ist und ganz auf Binnenmodellierung, Schraffur und plastische Ausarbeitung verzichtet, auf Picasso, Cocteau oder Matisse verweisen. Oder es kommt einem Antoine de Saint-Exupérys Hut-Zeichnung in den Sinn, die eigentlich eine Riesenschlange darstellt, welche gerade einen Elefanten verdaut - oder eben die Kritzeleien der erfolgreichsten deutschen Jugendbuchautorin Cornelia Funke und ihre »Wilden Hühner«.

PS: Seltsam - himmelblau leuchten uns Eier in aller Regel entgegen, wenn ihre stolzen Hühner blaue Ohrlappen besitzen.

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