Ausstellungsbesprechungen

Von Poussin bis Monet. Die Farben Frankreichs, Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 17. Januar 2016

Einen Grundkurs in der Kunstgeschichte Frankreichs kann man sich selbst dieser Tage im Hamburger Bucerius Kunst Forum verpassen: 72 Arbeiten der berühmtesten Künstler seit der Gründung der Akademie bis hin zum Impressionismus können ausgestellt werden, weil die National Gallery in Dublin ihr Haus grundsaniert und deshalb ihre Franzosensammlung für einige Zeit entbehren kann. Ergänzt wird die irische Kollektion durch die Sammlung Rau aus Remagen, so dass sich Meisterwerke von Genies wie Watteau und Delacroix bis hin zu Cezanne aneinanderreihen. Und auch Vincent van Gogh sieht sich unversehens in einen Franzosen verwandelt. Stefan Diebitz ist zum Hamburger Rathausplatz gefahren.

Tatsächlich ist diese Ausstellung nicht thematisch, sondern rein historisch organisiert; sie beginnt im 17. und endet in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, und dazwischen wird in acht Kapiteln nicht allein der Wechsel des Kunstbegriffs, sondern ebenso die Veränderung des künstlerischen Selbstverständnisses vorgestellt. Gelegentlich ergeben sich Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Ausstellungsstücken, aber das geschieht eigentlich immer nur innerhalb der einzelnen Abschnitte – es sind benachbarte Werke, die miteinander sprechen, leider aber nicht die weit auseinander liegenden.

Der Titel der Ausstellung ist zweideutig, denn »Farben« kann einerseits die Politik meinen, wie sie unter anderem den Titel von Stendhals berühmten Roman »Rot und Schwarz« bestimmt, aber er kann sich auch auf die Palette der Maler beziehen. Dass die acht Kapitel sich schon rein atmosphärisch voneinander unterscheiden, wird niemanden wundern, aber für viele Besucher ist es schon überraschend, dass (und wie sehr!) das Interesse für die Bilder mit dem Alter der Bilder abnimmt – und das, obwohl sie doch die alte Kunst lieben. Wahrscheinlich hängt das mit der enormen Literarizität der Bilder aus dem 17. und 18. Jahrhundert zusammen, mit der Bedeutung des Mythos oder überhaupt von Geschichten, die uns selbst kaum noch etwas sagen – und zwar selbst dann, wenn wir sie kennen.

Christian Michel belehrt mich in seinem Katalogbeitrag, dass bereits im 18. Jahrhundert eben diese Kritik an Historienbildern aller Art geübt wurde, dass also »die behandelten Sujets das Publikum der Salonausstellungen kalt« ließen. Zwar standen diese Bilder und damit ihre Erschaffer an der Spitze der Rangliste, aber trotzdem wurden Tier- und Landschaftsmaler oft mehr geschätzt und konnten hohe Preise erzielen.

Während uns Gesten, Gesichter oder einzelne Bewegungen auch über die Jahrhunderte hinweg unmittelbar berühren können, ohne dass wir die dazu gehörigen Geschichten kennen oder verstehen, sinkt das Interesse an einem komplizierten Bild, wenn man die gelegentlich entlegenen Mythen nicht parat hat – da mag der Künstler noch so viel gekonnt, noch so geschickt den Bildaufbau gestaltet haben. Wenn den Betrachter die Geschichte nicht interessiert, dann wird ihn auch das Bild kalt lassen. Das gilt selbst für das eigentlich großartige »Acis und Galatea«, das der virtuose Nicolas Poussin 1627/28 gemalt hat. Viel ansprechender ist dagegen das eigentlich viel weniger bedeutende »Die vier Jahreszeiten« von Simon Vouet, ein kreisrundes Bild, das vom Künstler so vorsichtig in eine Rotation gebracht wurde, dass es sich fast zu drehen scheint.

Für das 18. Jahrhundert wird die höfische Festkultur mit zahlreichen Bildern unter dem Titel »Fête champêtre« vorgestellt; im Katalog hat Christoph Martin Vogtherr der »fête galante« einen Aufsatz gewidmet, der dieses Genre als »französische Pastorale zwischen Italien und den Niederlanden« bestimmt. Die nahezu totale Ausrichtung der wirklich großen Kunst jener Jahre auf den Hof ist wohl ein anderer Grund, warum uns diese Bilder eigentlich nur noch aus historischen Gründen interessieren: sie sind oft genug virtuos, aber das Verspielte und Leichtsinnige, vielleicht auch das Theatralische und Lebensfremde spricht uns ebenfalls weniger an.

Das alles ist wenig überraschend. Merkwürdig dagegen ist es, dass die ersten Bilder, die uns unmittelbar gefallen, unter der Überschrift »Moralische Malerei« zusammengefasst werden – wohl eine zumindest irreführende, wenn nicht gar falsche Überschrift. Beate Söntgen zeigt in ihrem Beitrag über Jean-Siméon Chardin, dass dessen Bilder keinesfalls »moralische Exempel« sein wollten, sondern dass es in ihnen um eine zurückhaltende Darstellung von Gefühlen und zwischenmenschlichen Beziehungen geht. Zum Beispiel zeigt dieser großartige Maler, wie ein junges Mädchen seinen kleinen Bruder im Lesen unterrichtet. Erst damals begann man damit, Kinder in ihrem eigenen Recht wahrzunehmen und entsprechend abzubilden, also nicht länger als kleine Erwachsene zu porträtieren. In diesem Abschnitt werden einige sehr hübsche Bilder von Kindern gezeigt, und es sind besonders die Bilder von Chardin, die den Betrachter noch heute unmittelbar ansprechen. Chardin war nicht allein ein technisch begabter Könner, sondern auch ein sensibler Beobachter, an dessen Bildern, wie Söntgen schreibt, »sich der Wandel von barocker, rhetorisch grundierter Affekttheorie zu moderner Modellierung von Gefühlen aufzeigen« lässt.

Bedeutend war Chardin auch als Maler von Stillleben – eben als solcher wurde er in die Akademie aufgenommen. Michael Philipp zeigt, dass für ihn nicht »das Dargestellte, sondern die Art der Darstellung« wichtig war, »nicht das Sichtbare, sondern das Sehen.« Vielleicht ist das ein wenig zu sehr mit Blick auf das 19. Jahrhundert gesagt, aber Philipp kann wirklich zeigen, was alles dieser Künstler in seine Stillleben hineinlegen konnte. Dazu kommt noch, dass er in seinen Bildern tote Tiere nicht allein als Objekte darstellte, sondern auch das Mitleid des Betrachters mit der Kreatur provozierte – in seinen Stillleben war das Tote deshalb nicht mehr bloß ein konventionelles Symbol der Vanitas, sondern »zeitgemäßer Ausdruck der Empfindsamkeit«. Berühmt wurde er durch das Bild eines toten Rochens, das dessen toten Körper fast so präsentiert wie einen Menschen – mit dem Rochen bekommt das Leid der Kreatur ein Gesicht. Und es ist ein wirkliches Gesicht, denn das Bild zeigt die Bauchseite des Fisches mit Augen und Mund.

Dem Kapitel über den Menschen in der erhabenen Natur folgt eines über »antike und moderne Tugendvorbilder« – im Mittelpunkt steht natürlich Jacques-Louis David, insbesondere mit seinem großen Ölbild »Die Bestattung des Patroklos«. Auch der kalte Klassizismus jener Jahre spricht weniger an, ganz anders als die folgende Epoche des Realismus, für die die Ausstellung etliche eher holländisch anmutende Landschafts- und Genrebilder bietet. Am schönsten ist aber vielleicht ein anti-realistisches Tendenzbild – eigentlich eine böse Karikatur – von Thomas Couture, das einen schon durch seinen an der Wand hängenden Rucksack als Realisten gekennzeichneten Maler zeigt, der in einer Schlachterei einen Schweinekopf porträtiert. Dabei sitzt er auf dem abgebrochenen Kopf einer antiken Statue …

Dem Realismus folgt der Impressionismus mit einigen Glanzlichtern einer Ausstellung, die ja auch sonst genügend großartige Werke präsentiert; ob man ein Bild Alfred Sisleys, Claude Monets oder Pierre-August Renoirs bevorzugt, bleibt wohl jedem selbst überlassen. Der Höhepunkt der Ausstellung ist für mich die Zusammenstellung dreier Ölbilder, welche die Dachlandschaft von Paris porträtieren; zwei stammen von Gustave Caillebotte (1848 – 1894), eines von Vincent van Gogh. Caillebotte hat in seinen beiden Bildern Wintertage in Paris gemalt, und die vom Schneegrieseln erfüllte weiß-graue, in einem Fall von schwarzen Schornsteinen durchstoßene Winterluft ist großartig eingefangen. Caillebottes Bilder stammen aus Remagen, die Dachlandschaft van Goghs aus Dublin: hier ergänzen beide Sammlungen einander perfekt.

Mit das jüngste Bild der Ausstellung ist die »Frau auf der Terrasse« (1898) von Paul Signac (1853 – 1935), einem der Erfinder des Pointillismus. Hat die merkwürdige Farbzusammenstellung – Gelb, Lila, Rosa – damals zusammen mit der Maltechnik das Publikum provoziert? Immerhin scheint dieser Maler in bereits jungen Jahren sein Auskommen gefunden zu haben, denn er hat auf diesem Bild seine Frau auf der Terrasse seiner wahrscheinlich nicht direkt ärmlichen Villa porträtiert.

Als glanzvoller Schlusspunkt einer schönen Ausstellung sei ein 1876 entstandenes Bild von Paul Cezanne angesprochen, das »Das Meer bei L’Estaque« zeigt, einem Fischerdorf in der Nähe von Aix-en-Provence. Obwohl von einem noch jungen Cezanne gemalt, besitzt es in den Worten von Dorothee Hansen »einen Farbenklang«, »der für Cezannes spätere Bilder charakteristisch ist.« Seine Leuchtkraft und Harmonie sind jedenfalls erstaunlich, und vielleicht schaut kein anderes Bild dieser Ausstellung so weit in das 20. Jahrhundert hinein wie dieses.

Der Katalog bietet neben den Abbildungen der ausgestellten Werke noch sieben kluge Aufsätze, die durchaus geeignet sind, einige Feinjustierungen an der Kunstgeschichte vorzunehmen; nach ihrer Lektüre schaut man anders auf die Bilder.

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