Ausstellungsbesprechungen

Von Schönheit und Tod – Tierstillleben von der Renaissance bis zur Moderne, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, bis 19. Februar 2012

Freude über den Reichtum der Natur, Spiel mit erotischen Zweideutigkeiten, die Nähe von Schönheit und Tod: Völlig unterschiedliche Aussagen sind mit den Darstellungen eines Genres verknüpft, das es noch zu entdecken gilt. Mit einer großen Sonderausstellung feiert die Kunsthalle Karlsruhe nun das Tierstillleben. Günter Baumann hat sie sich angeschaut.

Es ist kein Wunder, dass das Wort des Stilllebens in den Niederlanden erfunden wurde: Mitte des 17. Jahrhunderts tauchte der Begriff »still leven«, stilles Leben, erstmals auf. Da blühte das Goldene Zeitalter schon etliche Jahre, während dem rund fünf Millionen Gemälde entstehen werden, darunter ein hoher Anteil an Stillleben. Zwangsläufig mussten sich die Künstler spezialisieren, im weiten Feld dieser objektbezogenen Gattung teilten sich Küchenstücke, Blumenbilder, Vanitasdarstellungen ab, dazu entstanden Bücher-, Käse-, Pokal-Motive, und eben auch Tierstillleben.

Diese Unterabteilung nimmt eine Sonderrolle ein, handelt es sich doch um Darstellungen von Lebewesen, die eigentlich nicht ins Bild eines Stilllebens passen. Die romanischen Sprachen sind hier näher dran (zugleich weiter von den anderen Spielarten des Stilllebens entfernt): »natura morta« bzw. »nature morte« schließt nämlich zumindest tote Lebewesen mit ein. Die Kunsthalle Karlsruhe ist voll davon. So makaber das klingt, ergänzt sich der Odem des Todes im Museum von selbst.

Die Ausstellung führt den Partnerbegriff im Titel: Schönheit. Das Gros der Bilder stammt aus dem 17. Jahrhundert, wie man es durchaus auch erwartet. Die größten Überraschungen bieten jedoch die Beispiele aus der Renaissance und aus der Moderne. Eines der schönsten Exponate ist die Aquarellstudie »Tote Ente« von Albrecht Dürer, der eine »Tote Blauracke« Hans Hoffmanns zur Seite hängt. Dürer fühlte sich ausschließlich dem toten Tier verpflichtet, was das lakonisch einfache Bild so besonders macht; sein Nachahmer bemüht schon deutlicher die Komposition, die fortan eine wesentliche Rolle spielt. Am anderen Ende der Kadaverparade ragen Stillleben von Edouard Manet, Alfred Sisley, James Ensor, Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner oder Chaim Soutine, Max Beckmann gegenüber. Als Exot ist die Fotografie eines Fasans von Robert Mapplethorpe anzusehen: Die Raffinesse und Präzision, die den malerischen Arbeiten eigen ist, wird durch die Leichtigkeit des fotografischen Mediums fast konterkariert – wenn der Fasan nicht in dieser Erhabenheit von der Decke hängen würde.

Zwischen den historischen Eckmarken der Ausstellung entfaltet sich ein ganzes Gesellschaftspanorama: Zum einen inszenieren die Künstler barocke Salonstücke, zum anderen erschaffen sie elegant-höfische Charakterbilder. Sie rücken der Naturvorlage akribisch eng auf die Pelle (oder besser: aufs Fell) oder sie erfinden sich eine eigene Realität. Einmal erstrahlen die leblosen Körper in Schönheit, ein andermal triumphiert der Tod. Es ist letztlich nicht die Frage danach, wie man Tierleichen abbildet, es geht um unsere Beziehung zum Tod an sich und – mit dem Bewusstsein des allgegenwärtigen Todes – um eine neue Beschäftigung mit dem Leben. Es geht nicht nur um die pure Virtuosität im schöpferischen Prozess, bei dem es entscheidend ist, wie man die Tiere drapiert, wie man sie an einen Haken hängt, aber auch, wie man ein Fell oder ein Gefieder malt. Darüber hinaus brillieren die Maler im lustvollen Spiel mit Licht und Schatten – all das wäre ein billiger Sieg über die staunenden Besucher der üppig ausstaffierten Schau.

Betrieben wurde der ganze Illusionismus, um den moralischen Zeigefinger dahinter etwas zu kaschieren. Die meisten Exponate entstanden allein aus dem Zweck, vor der Fleisches- bzw. Sinnenlust zu warnen und dem Betrachter die Endlichkeit der Materie zu veranschaulichen. Rund 120 Werke machen dies deutlich, im Ausklang vielleicht auch mit der ernüchternden Erkenntnis, dass sich das Tierstillleben mit dem Ende eines moralisierenden Auftrags an die Kunst von selber überlebt: ein realistischer Reflex noch bei Courbet, ein scheinbar letztes Aufflackern ethischer Vorstellungen im Farbspektakel bei Corinth, dann entzieht sich das Thema der künstlerischen Darstellung. Belohnt wird der Betrachter freilich durch grandiose Arbeiten eines Frans Snyders, Siméon Chardins oder eines Jean-Baptiste Oudry. Leider bietet die Schau verhältnismäßig wenige Beispiele aus dem 20. Jahrhundert, um das moderne Desinteresse zu entkräften – dabei fänden sich durchaus Schlachtenbilder, mediale Auseinandersetzungen zur Tierhaltung, zu Tierversuchen usw.

Den Ausstellungsmachern war das Dilemma, dass das Thema des Tierstilllebens von der gegenwärtigen Position aus mit Vorbehalten belastet sein könnte (kulinarisch mag man sich ihm nicht nähern, die Faszination für die Jagd ist kaum noch nachvollziehbar), offenbar bewusst, denn die letztlich doch sinnenfreudige Präsentation wird von einem schwergewichtigen Katalog begleitet, der der toten Kreatur ein beachtliches Denkmal setzt. Bei der Nachbearbeitung der Ausstellung wird man sich erst bewusst, dass es noch nie eine so opulent vielfältige und farbgewaltige Schau zu diesem Teilaspekt des Stilllebens gegeben hat.

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