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Werkstatt Kunstkritik 2. Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik. Hrsg. von Montag Stiftung Bildende Kunst 2009

Mit gerade mal 66 Seiten haben wir sicherlich ein schmales Bändchen vorliegen, doch die Beiträge, die im Rahmen eines Praxisseminars der Montag Stiftung Bildende Kunst in der Villa Prieger in Bonn im März 2009 entstanden, haben es wirklich in sich: Neben Essays renommierter Referenten wie Bice Curiger, Chefredakteurin der Kunstzeitung Parkett aus Zürich, Holger Liebs, Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, Jan Verwoert, der u.a. für die Kunstzeitung frieze schreibt, einem spannenden Diskussionsbeitrag von Noemi Smolik und Julia Voss, die das Pro und Kontra zur Kunstkritik abwägen, beleben Statements der TeilnehmerInnen sowie sechs der von ihnen erstellten Ausstellungskritiken die Publikation. Unsere Rezensentin Verena Paul gibt für PKG einen Einblick in den Reader.

Werkstatt Kunstkritik 2: Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik©Montag Stiftung Bildende Kunst
Werkstatt Kunstkritik 2: Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik©Montag Stiftung Bildende Kunst

In ihrem informativen Essay „Erfahrung mit Parkett. Aufbruch ins Globale – von der stetigen Internationalisierung der Szene(n)“ tastet sich Bice Curiger an das heran, was für sie eine Kunstkritik ausmacht: „Sie ist eine vitale Quelle der Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen“, die „bereits im Künstleratelier an[fängt], wenn der erste Besucher erscheint und sich ein Gespräch entwickelt, der erste Schritt zur Auseinandersetzung und zur Öffentlichkeit gemacht wird. Insofern“, so die Autorin weiter, „gilt das alte Diktum, dass es keine Kunst gibt ohne Kunstkritik.“ Gleichzeitig wird die Entwicklung der Kunstkritik nachgezeichnet, die im Laufe der Zeit einem Wandel unterworfen worden war, der nicht zuletzt mit der Internationalisierung der Kunstszenen in den sechziger Jahren einhergeht. Wenn wir heute in der Presse Kritiken lesen, dann seien diese meist kein rechter „Verriss“ mehr, sondern „eine Melange von atmosphärisch aufbereiteter Information und analysierender Wertung.“ Auf jenen Vorüberlegungen aufbauend, stellt die Verfasserin schließlich das von ihr mitbegründete, künstlernahe Periodikum 'Parkett' vor, das als „ein Instrument der vertieften Auseinandersetzung“ 1984 „ein Zeichen der Verlangsamung […] in einer Zeit der allgemeinen Beschleunigung“ setzen sollte. Dabei war jene Kunstzeitung zugleich bestrebt, „eine Brücke zwischen den Kontinenten Europa und Amerika“ zu schlagen. Neben der Postulierung von Vielstimmigkeit, Verschiedenheit der Schreibstile und Herangehensweisen an die Themen, ging es den Gründern ebenfalls „um ein Zusammenführen von Mentalitätshintergründen, um affine Beziehungen und auch die Tatsache, dass wir alle immer gleichzeitig in verschiedenen Kulturen und Mentalitäten verwurzelt sind.“ Auf die Frage Bettina Funckes, der New York-Redakteurin von Parkett, ob der „geniale Punkt von Parkett darin [liegt], immer bei den Künstlern zu beginnen“, antwortet Curiger mit einer, nicht nur für Kunstkritiker, sondern für alle im Kulturbetrieb Tätigen bedeutenden, pointierten und von Erfahrung geprägten Aussage: „Künstler arbeiten ohne Fallnetz, wer sich in ihrer Nähe aufhält, wird selber beflügelt, die eigenen Konventionen des Tuns zu relativieren und dabei nur das Beste zu wollen.“

Dagegen legt Holger Liebs in seinem Essay "Inserate mit Engelszungen. Zärtliche Cousinen oder Wie sich die Kunstkritik freiwillig ihrer Stärken entledigt" das Ausgenmerk stärker auf den Balanceakt, den Kunstkritik zwischen Autonomie und Abhängigkeit vollziehen muss. Als Beispiel dient dabei der Katalog "Der dunkle Grund", der 2009 zur gleichnamigen Ausstellung Martin Eders in Dresden erschien. Wenngleich die Einschätzung des Autors hinsichtlich der Werke des Künstlers nicht teilen kann, scheint mir jedoch seine Argumentation hinsichtlich der von "namhaften deutschen Kritikern" verfassten Katalogbeiträge weitgehend einleuchtend: Hier habe sich, wie Liebs schreibt, "die Kunstkritik, die in bezahlten Katalogtexten ohnehin per definitionem zur Affirmation gezwungen ist, selbst mordend." Das ist soweit plausibel, denn die Kritiker werden sich in diesem Rahmen hüten, den zu besprechenden Gegenstand in Frage zu stellen, geschweige denn anzugreifen. Aber die Interpretation einer Passage aus dem Eingangsessay des Katalogs ist, von Liebes nicht nur salopp formuliert, sondern erfasst darüber hinaus nicht den Kern der Aussage, wenn es heißt: "Er [Eder] kann's halt nicht besser." Wenngleich ich dme Verfasser in Bezug auf die pathetische, bisweilen "vernebelte" Sprache beipflichten muss, ist seine Schlussfolgerung, die er aus den Sätzen zieht, nciht richtig. Insgesamt aber gibt Holger Liebs - und darauf kommt es an - dem Leser hilfreiche Informationen und Denkanstöße bezüglich der Gesetze des Kunsturteils. Möglicherweise macht seine, bisweilen spitzzüngige Darstellungsweise aber gerade den Charme des Essays aus, den man mit Freude lesen kann.

Ein klar strukturierter, vor allem aber spannend zu lesender Essay präsentiert sich uns auch in Jan Verwoerts Beitrag "Ist da draußen noch jemand? Wert, Macht und Ethik der Kritik angesichts der Anonymität der kulturellen Öffentlichkeit". Zu Anfang stellt sich der Autor die sicher nicht unwichtige Fragenach dem Wert der Kunstkritik. Seine Antwort: "Viele sagen, dass der Wert der Kritik in ihrer Wirkung liegt." Insofern sei das Publikum "der eigentliche Souverän. Die Kritik mag sich ihm noch als Konsumberatung anzubieten oder vielmehr anzubiedern versuchen, letzlich", so Verwoert weiter, "erleidet sie aber dasselbe Schicksal wie ihr Gegenstand, die Kunst und Kultur: Sie wird zum medialen Angebot und damit selbst zum Objekt der Beurteilung durch die Konsumenten." Dabei ist diese Öffentlichkeit anonym, was für viele Autoren ein seltsamer Schwebezustand darstellt. "Statt anzuerkennen, dass die Anonymität des Adressaten spätestens von Anbeginn der Moderne an ein wesentliches Merkmal publizistischer Tätigkeit war und dass Anonymität ebenso gut intensiv als Möglichkeitsbedingung einer anderen Art, sich zu begegnen, erfahren werden kann, träumen Nostalgiker von einem Zustand der organischen Einbettung der Kritik in die bürgerliche Gesellschaft als", wie der Autor überspitzt, aber präzise beschreibt, "paradisischer Situation des intimen Verkehrs mit erlauchten Adressaten und beklagen das Ende dieses Zustandes als Anzeichen des allgemeinen kulturellen Niedergangs."

Diesen ersten drei Beiträgen folgen Statements der TeilnehmerInnen zur der Frage: „Was erwarten Sie von einer Kunstkritik?“ Neben und unter Fotos der TeilnehmerInnen findet der Leser deren Vorstellungen von einer gelungenen Kunstkritik. Während Agata Dziacka von einer Kunstkritik „eine pointierte, charmante und informative Darstellung eines Kunstwerks oder einer Ausstellung“ erwartet, sollte sie für Anna-Catharina Gebbers „auf guter Recherche basieren und einen persönlichen Ansatz bzw. Standpunkt des Kritikers offenbaren.“ Kathrin Luz und Roland Meyer legen dagegen das Gewicht zusätzlich auf die Sprache: „eine präzise formulierte und plausibel entwickelte Meinung und ein sprachlich-stilistisches Lesevergnügen“ [Luz] bzw. sollte sie „ihre eigene Sprache“ [Meyer] finden. Thilo Westermann betont dagegen die Nachvollziehbarkeit von Gedankengängen in Kritiken, wenn er seinen Anspruch an eine Kunstkritik wie folgt beschreibt: „Jedes ernst zu nehmende Kunstwerk und jede ernst zu nehmende Ausstellung folgt bestimmten Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Diese nachvollziehbar aufzuzeigen und auf ihre innere Logik hin zu untersuchen sollte Aufgabe der Kunstkritik sein.“

Lohnenswert ist danach die Lektüre des kleinen Schlagabtauschs von Noemi Smolik und Julia Voss, die in ihrem Diskussionsbeitrag der Frage nachgehen: „Wirkungsvoll oder machtlos? Pro und Kontra zur Kunstkritik“. Während Smolik etwa die These aufstellt, dass Kunstkritik keine Urteile fällt und sich vielmehr darauf beschränkt, „auf einzelne Ausstellungen oder Künstler hinzuweisen und diese höchstens zu interpretieren“, argumentiert Voss dagegen: „Kunstkritik, ohne Meinung, wäre keine Kritik, sondern bestenfalls eine Beschreibung, schlechtestenfalls ein Pressetext. Insofern ist Kunstkritik natürlich voll von Meinungen.“ Doch ist die Meinung nur dann interessant, wie die Autorin hinzufügt, „wenn sie begründet wird.“ Weitere „Streitpunkte“ bilden die Frage, ob Kunstkritik durch die Bildtheorie gestärkt oder geschwächt wird oder ob sie engagiert und wirkungsvoll ist oder nicht.

Abschließend präsentieren je drei TeilnehmerInnen aus zwei Arbeitsgruppen ihre zum Teil diametral entgegenstehenden Kritiken zu Ausstellungen, die sie besucht haben. Diese Beiträge geben Einblick und machen neugierig auf das jeweilige Ausstellungsprojekt, so dass die Aufgabe, eine Kritik zu schreiben, bestens erfüllt wurde.

Fazit: Die vorliegende Publikation überzeugt durch klare Gliederung, ansprechendes Design, informative, sprachlich ausbalancierte Beiträge, die dem Leser den roten Faden in die Hand geben und eine bereichernde Lektüre versprechen, so dass er immer wieder auf Sätze gestoßen wird, die unterstrichen, notiert und bedacht werden möchten. Ob in Händen von Studenten, Wissenschaftlern, Kunstinteressierten, im Kultursektor Beschäftigten oder Kunstkritikern, diesen Band kann ich uneingeschränkt empfehlen!

Weitere Informationen

Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik. Hrsg. von Montag Stiftung Bildende Kunst, Bonn 2009, in deutscher Sprache, 67 Seiten, 8,- Euro.

Der Titel ist nicht im Buchhandel erhältlich und kann aber bei der Montag Stiftung per Mail bestellt werden: bildende-kunst@montag-stiftungen.de

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